V, 2022/3

Gabriele B. Clemens

Geschichte des Risorgimento

Review by: Thomas Kroll

Authors: Gabriele B. Clemens
Title: Geschichte des Risorgimento. Italiens Weg in die Moderne (1770-1870)
Place: Göttingen
Publisher: Vandenhoeck & Ruprecht
Year: 2021
ISBN: 9783412520946
URL: link to the title

Reviewer Thomas Kroll - Friedrich-Schiller-Universität Jena

Citation
T. Kroll, review of Gabriele B. Clemens, Geschichte des Risorgimento. Italiens Weg in die Moderne (1770-1870), Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2021, in: ARO, V, 2022, 3, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2022/3/geschichte-des-risorgimento-thomas-kroll/

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Mit ihrem Buch legt Gabriele B. Clemens einen bündigen Überblick zur Geschichte Italiens in der Epoche des Risorgimento (1770-1870) auf dem neuesten Forschungsstand vor, der sich in der universitären Lehre rasch als Standardwerk etablieren dürfte. Überdies bildet der Band eine solide Grundlage, auf der die international-vergleichende Forschung aufbauen kann. Unter «Risorgimento» versteht Clemens die «Zeit der Nationalstaatswerdung» (S. 11), also «jene Epoche, in der die italienische Nationalstaatsgründung vorbereitet und besiegelt wurde» (S. 7). Insofern soll der Band nicht nur eine Geschichte der nationalen Bewegung im engeren Sinne bieten, sondern auch eine umfassende Darstellung der vielfältigen gesellschaftlichen und politischen Transformationsprozesse, die Italien seit etwa 1770 durchlief.

In diesem Zusammenhang setzt sich der Band kritisch mit der jüngeren kulturgeschichtlichen Forschung zum Risorgimento auseinander, die sich in den letzten beiden Jahrzehnten im Anschluss an die Studien von Alberto Mario Banti entwickelt hat und heute das Forschungsfeld weithin dominiert. Zwar greift Clemens auf produktive Weise ebenfalls kulturgeschichtliche Problemstellungen auf, doch vermeidet sie die «Diskursanalyse in Reinform» (S. 71), indem sie mittels einer Art struktur- und sozialgeschichtlicher Modernisierungserzählung den Weg Italiens vom «Ancien Régime» in die «Moderne» nachzeichnet. So plädiert sie etwa für eine Übertragung des in der deutschen Forschung etablierten Konzepts der «Sattelzeit» (1750-1850) auf die italienische Geschichte. Dementsprechend beginnt die Darstellung auch nicht erst mit den Folgewirkungen der Französischen Revolution auf der Apenninenhalbinsel, namentlich dem jakobinischen und napoleonischen Italien, sondern mit dem Reformabsolutismus des 18. Jahrhunderts und dem Wirken von aufklärerischen Intellektuellen (wie Pietro Verri oder Cesare Beccaria). Auch wenn es im Rahmen dieser Modernisierungserzählung einleuchtet, die Geschichte der italienischen Nationalstaatsbildung insgesamt als «wichtigen Schritt der globalen Entwicklung des Liberalismus» (S. 236) zu kennzeichnen, erscheint es dennoch nicht in allen Zusammenhängen überzeugend, die der Moderne zugeneigten Kräfte oder modernisierende Reformen (etwa jene der napoleonischen Zeit) als «liberal» zu kategorisieren.

Als überaus innovativ kann die Integration transnationaler, verflechtungsgeschichtlicher Perspektiven in die Synthese gelten, die bei der Darstellung von Migrationsprozessen und der politischen Exilanten des Risorgimento seit den 1820er Jahren besonders zum Tragen kommt. Nicht selten stammten die Frauen und Männer des politischen Exils aus dem Adel, dessen fundamentale gesellschaftliche und politische Rolle im Italien der ersten beiden Drittel des 19. Jahrhunderts Clemens angemessen berücksichtigt und anschaulich darstellt. Dies gilt namentlich für den gemäßigten Liberalismus, dessen politisch gestaltende Kraft betont wird. Allerdings gerät dabei manchmal aus dem Blick, dass sich die Dynamik des Risorgimento (als politische Bewegung) erst aus dem zwar konfliktreichen, aber dennoch komplementären Zusammenwirken der moderati mit den zumeist bürgerlichen Demokraten ergab. Hervorzuheben bleibt schließlich, dass die Darstellung von Clemens vielfältige Perspektiven bündelt und ein beeindruckendes Gesamtbild präsentiert, indem sie sich etwa mit der Geschichte von Musik, Literatur, Kunst und Kunstpolitik befasst, gleichermaßen aber auch die ökonomischen und sozialen Strukturen Italiens in der Epoche des Risorgimento behandelt.

Dem Aufbau der Staatenwelt Italiens bis 1861/1870 entsprechend werden die Wandlungsprozesse regional vergleichend und nicht als «gesamtitalienische Geschichte» (S. 159) dargelegt. Dies gilt für die in den ersten beiden Kapiteln behandelte Ära der Reformen des 18. Jahrhunderts und des französischen Italiens, aber auch für die in Kapitel 3 geschilderte Epoche nach dem Wiener Kongress, in der Bestrebungen der Restauration und der Revolution (1820, 1821, 1830/1831) in recht unterschiedlichen Konstellationen aufeinandertrafen. Als besonders gelungen darf eine Skizze der nationalpolitischen Kräfte gelten, in die nicht nur die Liberalen (Neoguelfen oder Parteigänger der Savoyer) sowie Demokraten (wie die Mazzinianer), sondern auch Anhänger adelsrepublikanischer Vorstellungen und die Gruppe der «Erzkonservativen» (S. 64) einbezogen werden. Letztere waren politisch weniger homogen, als es erscheinen mag, denn deren aufgeklärte Vertreter knüpften teilweise mit Unterstützung von Metternich (so Fossombroni oder Consalvi) an die Reformen des Settecento an.

Diesen eher chronologisch angelegten Abschnitten des Bandes folgen Kapitel über die in der Risorgimento-Geschichtsschreibung allzu oft vernachlässigte «Wirtschaft» sowie zu «Gesellschaft und Kultur», die gewissermaßen den strukturellen Rahmen der Entwicklung abstecken. Auch wenn man keineswegs sämtliche historischen Urteile im Detail teilen muss (etwa zum ökonomischen Entwicklungspotential der Landwirtschaft oder zur Rolle der Unternehmer), bieten diese Kapitel einen lesenswerten Einblick in die Gesellschaftsstrukturen der italienischen Staaten bis 1870. In den Kapiteln 6 und 7 wird wiederum eine konzise und manchmal regelrecht packende Darstellung der politischen Entwicklungen von der Revolution von 1848/1849 bis zur Eingliederung des Kirchenstaates 1870 geboten. Dabei wird für den «Weg zum Nationalstaat» seit den 1850er Jahren – einem eher traditionellen Erzählmuster folgend – die zentrale nationale Rolle von Hauptakteuren wie Cavour, Garibaldi und des (als illiberal charakterisierten) piemontesischen Königs Vittorio Emanuele II. betont. Abgeschlossen wird der Band durch eine strukturgeschichtliche Analyse der 1860er Jahre, namentlich der autoritär-liberalen Regierungspolitik der Destra Storica sowie des gegen deren Nationalisierungs- und Zentralisierungsbestrebungen gerichteten Briganten- bzw. Bürgerkriegs im Mezzogiorno.

Gerade wenn man die nationale Bewegung nicht als Massen-, sondern als Elitenphänomen versteht, hätte eine vertiefte Analyse der Rolle der Volksschichten sowie des Konflikts von Staat und Kirche die Darstellung weiter abrunden können. Doch geht aus dem ohnedies schon sehr facettenreichen Band klar hervor, dass die spezifische Form der Nationalstaatsgründung in Italien zahlreiche Belastungen für die weitere Geschichte des Landes mit sich brachte. Der Band von Gabriele B. Clemens, so lässt es sich zusammenfassen, stellt eine beeindruckende historiographische Syntheseleistung dar und kann fortan als unverzichtbares Referenzwerk der Risorgimento-Forschung gelten.

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