V, 2022/1

Fabio Ecca

L'Avanti! di Nenni

Review by: Jens Späth

Authors: Fabio Ecca
Title: L'Avanti! di Nenni. Le inchieste sulla corruzione fascista (1921-1925)
Place: Roma
Publisher: Arcadia Edizioni
Year: 2020
ISBN: 9788832104219
URL: link to the title

Reviewer Jens Späth - Universität des Saarlandes

Citation
J. Späth, review of Fabio Ecca, L'Avanti! di Nenni. Le inchieste sulla corruzione fascista (1921-1925), Roma, Arcadia Edizioni, 2020, in: ARO, V, 2022, 1, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2022/1/lavanti-di-nenni-jens-spath/

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Seit der Jahrtausendwende ist unter jüngeren Historikerinnen und Historikern ein erneuertes Interesse an der Geschichte des europäischen Sozialismus und damit auch des Partito Socialista Italiano festzustellen. In diesen Trend reiht sich die vorliegende Arbeit von Fabio Ecca über den «Avanti!» Pietro Nennis ein. Der Untertitel präzisiert, dass es vor allem um die Recherchen über faschistische Korruption in den Jahren 1921 bis 1925 gehen soll; doch tatsächlich bietet Ecca in dem schmalen Band mehr, nämlich eine biographische Studie der sozialistischen Jahrhundertfigur Pietro Nenni, von seiner Geburt bis zum Rücktritt als Herausgeber des «Avanti!» Ende 1925 – freilich mit klarem Fokus auf seinen journalistischen Aktivitäten. Was Ecca trotz der detaillierten Nenni-Biographien von Giuseppe Tamburrano und Enzo Santarelli sowie der gründlichen Geschichte des «Avanti!» aus der Feder von Gaetano Arfé auf derart knappem Raum an neuen Informationen und Perspektiven zutage fördert, ist beachtlich. Er zeigt zudem, dass es durchaus lohnt, die weniger intensiv erforschten frühen Jahre Nennis und die Zwischenkriegszeit wieder stärk in den Blick zu nehmen.

Ausgehend von über 600 Artikeln in 23 Zeitungen, ergänzendem Archivmaterial und einer sechsseitigen Literaturliste beschreibt Ecca, wie Nenni aus einer privilegierten Position heraus den schnellen und gewaltsamen Wandel Italiens hin zum Faschismus beobachtete, analysierte und mit seinem einfachen und effizienten Stil kommunizierte. Er unterstreicht damit eindrucksvoll, dass Nenni vor allem und sein ganzes Leben lang ein Journalist war, der – laut eigener Aussage – nur seine Frau mehr liebte als den «Avanti!». Nenni vermochte es, virtuos auf der Klaviatur der modernen Massenpresse zu spielen. Er griff schnell und instinktsicher aktuelle Themen auf, die seinen Adressatenkreis, die italienischen Arbeiterinnen und Arbeiter sowie die in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung, umtrieben. Zudem setzte er als Herausgeber des «Avanti!» in bester sozialistischer Tradition die Linie eines investigativen Journalismus fort, die bereits seine Vorgänger Benito Mussolini und Giacinto Menotti Serrati begründet hatten.

Zunächst zeichnet Ecca in zwei Kapiteln die 32 Lebensjahre Nennis nach, bevor dieser 1923 zum Herausgeber des «Avanti!» wurde. Er beschreibt darin die Geschichte des jungen Republikaners mit seinen ersten journalistischen Gehversuchen bei verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften sowie erste Auslandserfahrungen. Aufbauend auf den neueren Studien von Marco Severini und Antonio Tedesco erfährt der Leser Wichtiges über Nennis Radikalisierung in Jesi und den Marken, seine zahlreichen Verhaftungen und seine komplizierten Militärerfahrungen als freiwilliger Interventionist mit ausgeprägtem Sinn für soziale Gerechtigkeit im Ersten Weltkrieg sowie seinen überaus widersprüchlichen und keinesfalls geradlinigen Weg zum Sozialismus. Auf die Mitbegründung des Fascio di combattimento in Bologna im April 1919 und die Freundschaft mit Mussolini folgte im Jahr darauf die Erkenntnis, dass dem Kampf für die Republik derjenige gegen das Kapital vorausgehen müsse, weshalb er aus der republikanischen Partei austrat. Wiederum ein Jahr später finden wir Nenni als PSI-Mitglied und Auslandskorrespondent des «Avanti!» in Paris, wo er sich in kurzer Zeit hohes journalistisches Ansehen erwarb. Den parteiinternen Streit um innenpolitische Autonomie der Sozialisten gegen seinen einstigen Mentor Serrati entschied er 1923 für sich, wurde Herausgeber des «Avanti!» und übernahm das sozialistische Flaggschiff im Zeichen zunehmender faschistischer Gewalt und Aggression. Er verstand seine journalistische Linie nicht nur als Opposition gegenüber der faschistischen Regierung, sondern wollte mit den behandelten Themen auch mehr Bewusstsein in Italien für die sozio-ökonomischen Probleme der einfachen Bevölkerung gegenüber den Eliten wecken, was ihm dank seines ausgeprägten sozialen Instinkts auch gelang.

Die folgenden Kapitel drei und vier bilden den eigentlichen Kern von Fabio Eccas Buch: eine Untersuchung der Beziehungen zwischen Wirtschaft, Nachrichtenwesen und Politik im Zeichen von Skandalen, Falschmeldungen, Korruption, Gewalt, Verfolgung und Zensur 1923 bis 1925 unter Mussolinis faschistischer Regierung. Anknüpfend an seine Doktorarbeit über Kriegsgewinne und industrielle Kriegsprofiteure in Italien zwischen 1914 und 1922 zeigt Becca quellennah, wie erfolgreich Pietro Nenni diese Themen im «Avanti!» aufgriff und zur Aufklärung von Skandalen beitrug. Im Verbund mit den anschaulichen Karikaturen Giuseppe Scalarinis, von denen 26 im Anhang abgedruckt sind, forderte Nenni die sozialistische Leserschaft immer wieder zum Nachdenken darüber auf, wie das Geld der «Kriegshaie» nach 1918 investiert wurde. Er enthüllte dabei einen aktiven Schwarzmarkt in mehreren norditalienischen Provinzen unter Beteiligung vieler wichtiger Unternehmen, die Finanzierung des Marsches auf Rom durch liquidierte Kriegsbestände und Skandale um verschuldete Faschisten. Zudem kämpfte er mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen Zensur und die allgemeine Nachrichtenkontrolle durch Faschisten und Nationalisten.

Insgesamt gelingt es Fabio Ecca in seinem flüssig geschriebenen Buch zu zeigen, wie Nenni den «Avanti!» zwischen 1921 und 1925 mit einer neuen sozio-ökonomischen Linie inhaltlich modernisierte und zudem trotz aller Verhaftungen, Beschlagnahmungen und Repressalien einen in der Summe von einigen Erfolgen gekrönten Kampf gegen den Faschismus führte, indem er erstmals die Kriegsgewinne zum Nutzen des Faschismus öffentlich machte. Ecca benennt zudem immer wieder offene Forschungsfragen und regt damit zum weiteren Nachdenken an. Insofern hat er einen kleinen, aber wichtigen Beitrag dazu geleistet, die Person Nennis, die Geschichte des Partito Socialista Italiano samt seines Zentralorgans «Avanti!» und den Übergang des Landes von der Kriegsgesellschaft zum Faschismus noch besser zu verstehen.

 

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