IV, 2021/2

Paolo Preto
Walter Panciera, Andrea Savio (eds.)

Falsi e falsari nella Storia

Review by: Alexander Hilpert

Authors: Paolo Preto
Editors: Walter Panciera, Andrea Savio
Title: Falsi e falsari nella Storia. Dal mondo antico a oggi
Place: Roma
Publisher: Viella
Year: 2020
ISBN: 9788833132891
URL: link to the title

Reviewer Alexander Hilpert - Universität des Saarlandes

Citation
A. Hilpert, review of Paolo Preto, Walter Panciera, Andrea Savio (eds.), Falsi e falsari nella Storia. Dal mondo antico a oggi, Roma, Viella, 2020, in: ARO, IV, 2021, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2021/2/falsi-e-falsari-nella-storia-alexander-hilpert/

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Die Themen Fälschung und Lüge haben mit der Debatte um fake news und Verschwörungstheorien in den letzten Jahren eine neue gesellschaftliche und damit auch geschichtswissenschaftliche Relevanz bekommen. Freilich gibt es bereits Gesamtdarstellungen zu historischer Fälschung, Geschichtsklitterung und politischer Manipulation in der Geschichte. Häufig ist es nur eine begrenzte Anzahl von prominenten Fällen, die immer wieder von Neuem behandelt wird. Doch bislang ist dem Rezensenten keine an spannenden, aber weniger bekannten Beispielen so dichte Monographie in die Hände gefallen, wie das jüngst erschienene Buch «Falsi e falsari nella Storia». Paolo Preto, zu Lebzeiten Professor für moderne Geschichte in Padua, starb am 26. Januar 2019 und hinterließ ein unvollendetes Manuskript, offensichtlich das Ergebnis jahrelanger Beschäftigung mit dem Unechten. Walter Panciera und Andrea Savio, beide Historiker an der Universität Padua, haben ein Jahr nach Pretos Tod dieses Buch auf den Markt gebracht. Die Herausgeber sehen darin ein «compendio generale» aller Lügen, Fälschungen und Manipulationen von der Antike bis zur Gegenwart. Nicht nur in der epochen- sondern auch in der disziplinenübergreifenden Anlage des Buches liegt seine Besonderheit und Stärke. Von einer «falsch verstandenen Form der Interdisziplinarität»[1], vor der Anne-Kathrin Reulecke vor einigen Jahren gewarnt hat, welche die Eigenart der Fälschungen in den unterschiedlichen Bereichen außer Acht ließe, kann bei Pretos Kompendium nicht die Rede sein. Sehr dicht geschrieben wendet sich das Buch vor allem an ein historisch interessiertes Fachpublikum und unterscheidet sich damit von populärwissenschaftlichen Arbeiten zum Thema.

Strukturiert ist das Buch in sechszehn in Umfang und Untergliederung sehr unausgewogene Oberkapitel. Obwohl Preto den Herausgebern zufolge keine Einleitung und kein Fazit vorgesehen hatte, kann das erste definitorische Kapitel die einleitende Funktion sehr gut übernehmen. Preto vermeidet eine Diskussion abstrakterer Fälschungstheorien und beginnt gleich mit seiner eigenen Definition: Er versteht darunter: «alterazione parziale o totale del vero (verità) in documenti, testi letterari, atti giuridici, firme, sigilli, chiavi, merci, prodotti, pesi, misure, opere d'arte, teorie, ricerche scientifiche, dottrine religiose e politiche» (S. 11). Der Autor geht sein Thema zunächst chronologisch an: Die Antike (Kapitel 2) nimmt sehr viel weniger Raum ein als das Mittelalter (Kapitel 3), das als «l'età dell'oro» der Fälschungen bezeichnet wird. An anderer Stelle gesteht der Autor auch dem Ottocento einen solchen Primat zu (S. 436). Am stärksten wird denn auch die Neuzeit im vorliegenden Buch berücksichtigt. Hierbei wird eine weitere chronologische Ebene eröffnet: Orientierten sich die Kapitel 2 und 3 an dem Entstehungszeitpunkt der Fälschungen, wird in den folgenden Kapiteln relevant, zu welcher Epoche zugehörig ein Objekt vom Fälscher ausgegeben wird. Kapitel 4 unterscheidet insbesondere neuzeitliche Mystifikationen mit Bezug zur Antike und solchen mit Bezug zum Mittelalter, von denen viele laut Preto ihre Wirkung erst im Kontext des aufkommenden Nationalismus entfalten konnten. Neben Frankreich, Spanien, Deutschland und England findet auch der mittel- und osteuropäische Nationalismus seinen Platz in diesem Kapitel: Beispielsweise waren einige Handschriften, welche angeblich alt-tschechische Dichtung überlieferten, aber tatsächlich von Václav Hanka hergestellt und als echt ausgegeben worden waren, lange Jahre ein nationales Symbol der Tschechen. Deutlich wird in Kapitel 4 jedoch auch die weitgehend auf Europa und die westliche Welt konzentrierte Sicht auf das Phänomen der Fälschung, die sich durch fast alle Kapitel zieht. Dass der umfangreichste geographische Abschnitt von der italienischen Halbinsel handelt und sogar den Rang eines Kapitels (5) einnimmt, mag sicherlich mehr dem Forschungsinteresse des Autors als der Tatsache geschuldet sein, dass es auf der Apennin-Halbinsel auch eine höhere Frequenz an Fälschern in der Neuzeit gegeben habe, wie es z.B. Theodor Mommsen gesehen habe dürfte (S. 335). Die Einschätzung des Kirchenhistorikers Henri Leclercq, Italien sei das Herkunftsgebiet der meisten archäologischen Fälschungen (S. 363) relativiert Preto durch Hinweis auf die große Fülle an Funden, die insgesamt aus italienischem Boden geborgen worden seien. In Kapitel 5 hat Preto auch Venezien, zeitlebens sein regionaler Forschungsschwerpunkt, ein eigenes Unterkapitel gewidmet. Kapitel 6 wendet sich den historisch-politischen Fälschungen seit dem 19. Jahrhundert (z.B. der Emser Depesche) bis hin zu den Hitler-Tagebüchern der Nachkriegszeit zu. Darin finden sich auch Fälle, die nicht zum üblichen Kanon allgemein bekannter «falsi» gehören.

Mit Kapitel 7 verlässt der Autor die chronologische Gliederung und wechselt zu einer thematischen: Unter den «Falsi ebraici e falsi antisemiti» vereint Preto eher disparate Fälle wie den angeblich moabitischer Inschriften aus dem Heiligen Land, die 1872 nach Berlin verkauft wurden (Shapira-Affäre), aber auch die gefälschten «Protokolle der Weisen von Zion» oder die Lügen des Holocaust-Leugners David Irving. Die nächsten Kapitel wenden sich jeweils einer Fachdisziplin zu: Ein sehr umfangreiches Epigraphik-Kapitel (Kapitel 8) ist der Masse an vorwiegend griechisch-römisch anmutenden Inschriften und den eher lokalpatriotischen Motiven ihrer Fälscher gewidmet, während Fälschungen in der (klassischen) Archäologie und in der Anthropologie (Kapitel 9 und 10) nur wenig Raum einnehmen. In Kapitel 11 greift der Autor eine andere sehr aktuelle Thematik ausnahmsweise einmal aus der Sicht des Historikers auf: Die Kunstgeschichte des Inauthentischen von der Antike bis in die zeitgenössische Kunst. Ein knappes Kapitel zur politischen Manipulation mittels Bildern, das sich ebenfalls mit der bildenden Kunst, vor allem aber mit Fotografie und Film befasst, findet sich weiter hinten im Buch (Kapitel 13). Das weite Feld der literarischen Fälschungen handelt Preto in einem erneuten geographischen Durchgang ab (Kapitel 12). Auch hier liegt der Schwerpunkt auf einem Unterkapitel über Italien, dessen letzter Abschnitt (Il falso Salgari) Fragment geblieben ist. Den Herausgebern zufolge hat Preto bis zu seinem Tod daran gearbeitet. Das Kapitel zu den «falsi letterari» behandelt auch Plagiatsfälle, die vor wenigen Jahren vor allem in Deutschland stark die medialen Debatten geprägt haben. Erst seit den amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2016 hat das Thema fake news im öffentlichen Interesse auch bei uns den Plagiatsskandalen den Rang abgelaufen. Zu letzterem Aspekt gehört auch Pretos knappes Kapitel über journalistische Fälschungen (Kapitel 14), in dem er zwischen irrtümlichen Falschmeldungen und intentionalen bufale unterscheidet und wenige aktuelle Beispiele anführt. Auch der Betrug in den Naturwissenschaften (Kapitel 15) wird leider nur sehr kurz abgehandelt. Das letzte Kapitel (16) untersucht epochenübergreifend die Fälschung von Münzen und Banknoten zusammen mit Markenfälschung und Produktpiraterie, ein Thema von globaler Dimension.

Die rechts- und kriminalitätshistorische Perspektive wird leider nur knapp im Kontext mittelalterlicher Fälschungen (crimen falsi etc.) angerissen. Ansonsten lässt der Autor aber kaum einen Aspekt aus, der die «forza del falso» (Umberto Eco) in der (Welt)Geschichte belegen könnte, und hat zu allen Abschnitten eine Fülle an Material (vor allem aus der Sekundärliteratur) zusammengetragen. Ein Manko ist, dass sich kein Literaturverzeichnis findet und man sich nur anhand der Endnoten hinter jedem einzelnen Kapitel einen Überblick über die verwendeten Titel verschaffen kann. Als nützlich innerhalb des dichten und von Personennamen gesättigten Argumentations- und Erzählstils erweist sich dagegen das 71 Seiten umfassende Namensverzeichnis. Abgesehen von der Abbildung eines Gemäldes von Lorenzo Lippi auf dem Titelbild (das falsch datiert wird) finden sich keine Illustrationen im Buch. Zusammenfassungen sowohl zum Gesamten als auch zu den einzelnen Kapiteln hätten Pretos Monographie eine noch größere wissenschaftliche Rezeption gesichert. Doch auch so wird diese reich gefüllte Fundgrube (weitgehend) unbekannter Betrugsfälle hoffentlich so manche zukünftige Einzel- oder Gesamtuntersuchung zum Phänomen der Fälschung anregen. Zu bedauern ist, dass der Autor seinem Buch nicht mehr selbst den letzten Schliff verleihen konnte. Um so mehr ist aber den Herausgebern zu danken, dass sie dieses wichtige Kompendium ans Licht der Öffentlichkeit gebracht haben.

 

[1] A.-K. Reulecke, Eine Einleitung, in A.-K. Reulecke (Hrsg.), Fälschungen. Zu Autorschaft und Beweis in Wissenschaften und Künsten, Frankfurt a.M., Suhrkamp, 2006, S. 26.

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