I, 2018/2

Francesca Brunet, Florian Huber (eds.)

Vormärz

Review by: Elena Taddei

Editors: Francesca Brunet, Florian Huber
Title: Vormärz. Eine Geteilte Geschichte Trentino-Tirols / Una storia condivisa Trentino-Tirolese
Place: Innsbruck
Publisher: Universitätsverlag Wagner
Year: 2017
ISBN: 9783703009440
URL: link to the title

Reviewer Elena Taddei - Universität Innsbruck

Citation
E. Taddei, review of Francesca Brunet, Florian Huber (eds.), Vormärz. Eine Geteilte Geschichte Trentino-Tirols / Una storia condivisa Trentino-Tirolese, Innsbruck, Universitätsverlag Wagner, 2017, in: ARO, I, 2018, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2018/2/vormarz-elena-taddei/

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Die bisher aus verschiedenen, u.a. auch quellenbedingten Gründen wenig beachtete Zeit des Vormärzes im Kronland Tirol war Gegenstand einer im Dezember 2014 an der Freien Universität Bozen stattgefundenen Tagung. Die nun vorliegenden Beiträge haben – das gegenseitige historiographische Desinteresse überwindend – dieses Forschungsdesiderat aufgegriffen.

Im Einleitungsbeitrag geht Florian Huber von den Tiroler Erbhuldigungsfeiern für Kaiser Ferdinand 1838 aus, die dem Monarchen durch die ausgeglichene Vertretung aller Talschaften und Sprachgruppen ein harmonisch-einförmiges, idyllisch-romantisches Kronland präsentieren sollten. Tatsächlich aber war die Realität von der Unterrepräsentanz der italienischsprachigen Tiroler, vom Mangel an Konfessionsvielfalt und an ständischer Durchmischung geprägt, wodurch die Herausbildung von zwei “Subregionen” mit divergierenden Diskursen gefördert wurde. Es handelt sich somit um einen komplexen Grenzraum, den der Band, von einem inneren Kolonialismus ausgehend, gesamtheitlich erforschen will und dabei der Frage nachgeht, inwieweit durch zentralistische Homogenisierung und “bürokratische Überformung” (S. 32) kulturelle Unterschiede abgeflacht wurden. Der methodische Ansatz ist der verflechtungsgeschichtliche der Geteilten Geschichte von Shalini Randeria und Sebastian Conrad, der auch Thema des heurigen Deutschen Historikertages (2018) ist.

Stephanie Schlesier betrachtet in ihrem Vergleichsbeitrag den Grenzraum zwischen der südlichen preußischen Rheinprovinz, Lothringen und dem Großherzogtum Luxemburg, in dem die Bevölkerung ein Bewusstsein für ihre periphere Lage entwickeln und demzufolge der Zentralregierung gewisse Freiheiten abringen konnte. Entlang der Staatsgrenze entstanden somit besondere privilegierte Handlungsspielräume, wie jene der hier untersuchten jüdischen Bevölkerung.

Mit Isabella Consolatis Aufsatz beginnt der Reigen der geteilten Geschichte im Tiroler/Trentiner Raum. Die Autorin greift das im Vormärz neu erwachte Interesse für Raum und Geografie auf und zeichnet anhand der Niederschrift verschiedener Geografen die Rezeption von einheitlichem Raum und Grenzen im historischen Tirol nach. Ein dabei verfolgter Ansatz war jener der Verhältnislehre von Carl Ritter, der einen Mittelweg zwischen natürlich geformtem Raum und Inhalt (Flora, Fauna, Mensch, politische Grenzen) also ein Verhältnis zwischen Natur und Geschichte propagierte.

Mauro Nequirito betrachtet in seinem interessanten Beitrag eine Auswahl von zwischen 1814 und 1848 gedruckten Reiseberichten, die auf den Raum des historischen Tirols Bezug nahmen. Die Eindrücke und Wertungen über diesen sprachlich, kulturell und klimatisch heterogen rezipierten Grenzraum bedienen oft widersprüchliche Stereotypen. Nichtsdestotrotz reflektieren sie eine sich immer genauer abzeichnende Trennung von Welschtirol und dessen Ausrichtung nach Italien.

Marco Bellabarba untersucht hingegen die konfuse und nicht leichte Wiedereinführung der österreichischen Rechtsprechung in Tirol nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Systems. Es war der Zentralregierung in Wien ein wichtiges Anliegen, dass die Wiedereinführung ausschließlich von oben erfolgte und die Machtbefugnisse genau geregelt wurden. In diesem Sinne zeichnete sich der Zentralismus der Restauration in Tirol und im Trentino vor allem durch eine Kontrolle der öffentlichen Ordnung und ihrer Funktionäre aus.

In ähnlicher Weise stellen Ellinor Forster und Margareth Lanzinger in ihren Beiträgen die aufgrund von herrschaftspolitischer Heterogenität und der Konkurrenz von Kirche und Staat entstandene undurchsichtige Rechtspluralität besonders in Bezug auf das Eherecht und die Eheagenden (Eheverbote, Heiratsbeschränkungen, Ehekonsens) vor. Das 1813/14 eingeführte, neu überarbeitete, nicht rückwirkende österreichische Gesetz traf auf das im Königreich Italien angewandte französische Recht, auf die Tiroler Landesordnung und das Trienter Statut und “begünstigte die Fortschreibung von Unterschieden” vor allem im Ehe- und Erbrecht eher als dass es eine “einende Klammer wurde” (S. 102-103).

Im Aufsatz von Tommaso Mariotti geht es um die Wehrpflicht und die Zusammenarbeit von militärischen und zivilen Bereichen bei den Truppenaushebungen. Dabei werden die diesbezügliche allgemeine kaiserliche Gesetzgebung und die normative Ebene, der Sonderfall des Kaiserjäger-Regimentes, die Praktik des Losungsverfahrens und die Tiroler Eigenheit des Landlibells von 1511 behandelt, wodurch den Tirolern ein Einsatz außerhalb ihrer Heimat erspart blieb.

Marcello Bonazza spricht in seiner Beschreibung des kulturellen Vormärz ̓ in Tirol und im Trentino von einer geteilten und hierarchisierten sowie asymmetrischen Geschichte, die – wenig erfolgreich – vom Staat und – etwas gewinnbringender – vom Land und ihren jeweiligen Institutionen vorangetrieben wurde. Besonders das pantirolisch ausgerichtete Ferdinandeum förderte Veröffentlichungen und Sammlungen auch im und aus dem Trentino. Andere Einrichtungen wie der Verein zur Beförderung der Tonkunst hingegen hatte keinen Austausch mit oder Kontakt zur Società Filarmonica di Trento. Grund dafür waren einerseits Sprachbarrieren und andererseits gesellschaftliche Differenzen zwischen kulturellen und politischen Eliten.

In seinem Beitrag Vom Bergisel nach “Italien” versucht Michael Span in mikrohistorischer Herangehensweise am Beispiel des Stubaier Metallwarenhersteller und -vertreibers Michael Pfurtscheller (1776-1854) Einblicke in die Lebenswelt des Vormärz und in die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Tirol und dem Trentino zu geben.

Mirko Saltori schlägt entlang des Themas des revolutionären Gedankenguts und des politischen Aufruhrs in dem nach den antinapoleonischen Erhebungen verdächtigen Tirol und dem nach Italien und einer gewissen Autonomie äugenden Trentino einen Bogen von Andreas Hofer über die Jakobiner und Freimauer bis zu Karl Marx. Der Autor bietet auf knappem Raum eine detailreiche, mit der Schweiz, Frankreich und England vernetzte und verwobene Ideengeschichte mit einigen wenigen Ansätzen einer geteilten Geschichte, wenn z.B. von Trentinern im Innsbrucker Jakobinerclub berichtet wird.

Dass die “Geteilte Geschichte” nicht in allen Beiträgen im gleichen Maße berücksichtigt wurde/werden konnte, ist darauf zurückzuführen, dass wir es eher mit einer separierten Geschichte und mit einer starken Eigenwahrnehmung als mit einem Netzwerk zu tun haben, wie Marco Meriggi in seinem Schlusswort festgestellt hat. Dennoch ist ihm beizupflichten, dass es sich um eine interessante und untersuchungswürdige Zeit in einem spannenden Raum handelt, zu deren Erforschung der Sammelband einen wichtigen Beitrag leistet.

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