Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

42, 2016/2

Umberto Grassi - Giuseppe Marcocci (ed.)

Le trasgressioni della carne

Review by: Fernanda Alfieri

Editors: Umberto Grassi - Giuseppe Marcocci
Title: Le trasgressioni della carne. Il desiderio omosessuale nel mondo islamico e cristiano, secc. XII-XX
Place: Roma
Publisher: Viella
Year: 2015
ISBN: 978-88-6728-306-4

Reviewer Fernanda Alfieri - FBK-ISIG

Citation
F. Alfieri, review of Umberto Grassi - Giuseppe Marcocci (ed.), Le trasgressioni della carne. Il desiderio omosessuale nel mondo islamico e cristiano, secc. XII-XX, Roma, Viella, 2015, in: ARO, 42, 2016, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2016/2/le-trasgressioni-della-carne-il-desider-fernanda-alfieri/

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In diesem klugen, von G. Grassi und U. Marcocci herausgegebenen Werk begegnen sich die islamische und die christliche Welt auf dem noch unbekannten, dafür umso fruchtbareren Terrain des homoerotischen Verlangens. Vom einen zum anderen Ufer des Mittelmeers, zwischen Mittelalter und zwanzigstem Jahrhundert, spinnen sich ähnlich beschaffene Fäden (von intensiver Körperlichkeit und allgemein menschlich) zu den gleichen Objekten der Liebe. Die Reaktionen auf dieses Verlangen und seine Praktiken in den hier behandelten Kulturräumen sind erwartungsgemäß zu keiner Zeit neutral. Worüber man heute staunen mag, schon seit Jahrhunderten an Dichotomien und Stereotypen gewöhnt, die den Islam mit Intoleranz verbinden und den christlichen Westen mit Vernunft und Toleranz, sind Reaktionen, die genau das Gegenteil belegen. Im ersten Beitrag beschreibt Everett K. Rowson einen spätmittelalterlichen Islam, der den homoerotischen Beziehungen alles andere als nur feindselig gegenübersteht; und die darauf folgende Arbeit zeigt einen Westen, der schon sehr früh keinen Zweifel an der Verdammung jener Beziehungen aufkommen lässt. Tief und fest ist die Vorstellung verankert (die als Grundsatz alles durchdringt), die homoerotische Liebe überschreite («trans-gredire») stets die Grenzen, die Recht und Moral vorgeben, die beide gern das Erlaubte mit dem «Natürlichen» gleichsetzen. Und das Natürliche, erklärt Giacomo Todeschini in seinem Aufsatz, hat mit der Vorstellung von einer Menschheit zu tun, die sich fortpflanzt, produktiv und nutzbringend, was in der christlichen Welt zur eindeutigen Definition findet. Immer wieder Gegenstand systematischer Betrachtungen, vor allem ab dem Spätmittelalter und mit dem Einsetzen des Diskurses zur klerikalen Disziplin (beispielhaft das Liber Gomorrhianus), wird diese Definition alles bestimmen. Wie der Wucherer, der Häretiker, der Kriminelle – weitere Figuren des «In-Humanen» – agiert auch der Sodomit im ausschließlich eigenen, diesseitigen Interesse: Er handelt gegen die grundsätzliche Pflicht gegenüber der Gemeinschaft, zum Erhalt der Spezies beizutragen, ihm geht es nur um die ureigene Befriedigung seiner Gelüste (wie der Wucherer, der nur an seiner persönlichen Bereicherung interessiert ist, gleichgültig den Gesetzen des Marktes und der Kirche gegenüber, und wie der Kriminelle, der sich beim Verüben seiner Missetaten nicht um das Urteil der Gemeinschaft schert). Die Figur des Sodomiten ist aber noch weiteren Verurteilungen ausgesetzt: Sie wird zum Sinnbild des Inakzeptablen, wenn die homoerotische Sexualpraktik von einem dem priesterlichen Dienst geweihten Körper ausgeübt wird. In diesem Fall kommt zur Verletzung der Pflicht zur Fortpflanzung auch noch der Verrat an der Verpflichtung zur totalen Integrität – die Voraussetzung für die Rolle des Wächters über die heilige Ordnung. Eine Weltordnung, die auf dem Prinzip der Ähnlichkeit des Menschen mit Gott aufbaut (wie Gott erzeugt der Mensch), im Einklang mit einem Naturgesetz, das bestrebt ist, sich ewig zu fortzusetzen. Von einer bedachtsamen Rezeption der Auffassung von Naturgesetz nach Justinian (natürlich ist, «quod natura omnia animalia docuit») durch Grazian und die summistae, und weiter zum Verständnis von Rational und Natürlich bei Thomas von Aquin, wird die Natur «das semantische Feld, innerhalb dessen die Normen von Moral und Recht ihre Sprache finden konnten» (S. 67). In der Geschichte der christlichen Kulturen entwickelt sich die Vorstellung von der Sodomie als Bruch mit der natürlichen Ordnung parallel zur Vorstellung von Sodomie als einer Häresie, wie Vincenzo Lavenia erläutert. Hier findet eine Verknüpfung von Vorstellungen (und von menschlichen Typologien, genauer von «in-humanen» Typologien) statt, die mit der Gründung von Glaubensgerichten im Spätmittelalter in repressive Praxis umgesetzt werden, welche in der spanischen Inquisition nach der Eroberung von Granada ihren brutalsten Ausdruck findet. In den Territorien der katholischen Krone, der limpieza de sangre, «der religiösen Minderheiten, die mit Gewalt konvertiert wurden, und in der weltweiten Verbreitung des Katholizismus» (S. 107) läuft der Kampf gegen religiöse Andersartigkeit – der maurischen, judaischen, sodomitischen – unter Einsatz derselben Mittel (es sind dieselben Gerichte, die sich damit beschäftigen) und derselben kriminalisierenden Argumentation. Grundlage dieser Sicht war die spätmittelalterliche Auslegung des Verses: «Eure Frauen sind ein Saatfeld für euch; darum bestellt euer Saatfeld wie ihr wollt». (Sure 2: Al-Baquara, Vers 223, zitiert auf S. 111), interpretiert als Legitimierung der sodomitischen heterosexuellen Praktik durch den Propheten. Wenn der Koran den Männern die Sodomie an ihren Frauen erlaubt, würde er sie auch zwischen Personen gleichen Geschlechts und zwischen Menschen und Tieren akzeptieren (ist die erste monströse Grenze überschritten, ist der Schritt zu weiteren Überschreitungen nicht groß). Zum gespenstischen Szenario des Bruches mit der natürlichen Ordnung, auf das, wie das Beispiel von Sodom lehrt, die göttliche Strafe folgt, gehören auch Infektion und Ansteckung: physisch in Form der Pest und im metaphorischen Sinne, und kaum weniger erschreckend, in Form der Häresie. Die männlichen rechtsprechenden Autoritäten (unterstützt von den ebenfalls männlichen theologischen auctoritates) müssen die Reinheit der spanischen Seelen und Körper gegen eine vielgestaltige Bedrohung verteidigen. Diese Bedrohung wird in zahlreichen Abhandlungen thematisiert – Lavenia führt ihre vielfältigen Aspekte vor –, um schließlich die Brutalität der Repression zu rechtfertigen. Das Problem scheint im Wesentlichen immer die Andersartigkeit zu sein. Die Andersartigkeit in Bezug auf ein Ideal von Menschsein, für das Menschsein gleichbedeutend ist mit männlich, heterosexuell, auf die Fortpflanzung ausgerichtet, rational (beziehungsweise sich selbst und die anderen beherrschend). Somit wird die selbstbezogene Sodomie zum Gespenst der Neuen Welt, gleichgesetzt mit dem «In-Humanen» der Indios, was ihre Unterdrückung rechtfertigt. Doch es gab nicht nur Unterdrückung, wie das Essay von Tomás Mantecón Movellán verdeutlicht. Die friedlichen Kontakte, besser gesagt die Liebesbeziehungen zwischen christlichen und islamischen Alteritäten, gab es entgegen aller rigiden Normen, zu denen auch unsere heutigen Sichtweisen gehören. Dabei war ausgerechnet das Spanien des Siglo de oro und des Hasses auf die Andersartigkeit das Terrain, auf dem es zu diesen friedlichen Begegnungen kam – unter schwierigen Bedingungen des Zusammenlebens und unter Androhung der Todesstrafe. Von dieser lebendigen Welt der Beziehungen und Kontakte, der verschlüsselten Verständigung und besonderer Botschaften mithilfe der Körpersprache (geradezu eine Subkultur) legt, neben anderen zeitgenössischen Beobachtern, der Jesuit Pedro de León Zeugnis ab. In Sevilla war er vielen Männern beigestanden, die durch die Hand der Justiz starben. So erfährt man von Hamete, «der Türke» genannt, und von Don Pedro Dávila, von Francesco Galindo und vom «Schwarzen» Machuca. Diese Männer mit ganz unterschiedlichem religiösen und sozialen Hintergrund einte das gleiche Schicksal –das des infamen Sodomiten (weswegen wir überhaupt erst, grausames Paradox, ihre Geschichten kennen) – und zuvor dasselbe Verlangen. Auch wird an den berühmten Fall (über den die Gerichtsakten Auskunft geben) der freien Andalusierin Elena de Céspedes erinnert, Tochter einer konvertierten muslimischen Sklavin und eines cristiano viejo, die sich als Mann kleidete und in dieser Rolle derart überzeugte, dass sie eine andere Frau heiraten konnte. Eine nicht einzuordnende Kreatur, einer doppelten Anatomie verdächtig – eine in der Neuzeit verbreitete, medizinische Vorstellung, die Verwandlungsprozesse sehr wohl für möglich hielt und beim Blick auf die Geschlechter nicht nur Trennung und unüberwindliche Unterschiede sah. Die Geschichte der Elena zog alle Aufmerksamkeit auf sich, die repressive der Autoritäten sowie die neugierig-faszinierte der damaligen Zeitgenossen, die von dem Fall weit weniger angeekelt, schockiert und empört waren, als hätte es sich bei dieser Verwandlung um einen Mann gehandelt. Wurde die Feminisierung des Mannes als ein bedrohlicher Angriff auf das Naturgesetz aufgefasst, so war die Vermännlichung der Frau im Naturgesetz nicht einmal vorgesehen. Fälle wie der der Elena blieben normalerweise im Bereich des Undenkbaren, über sie wurde der Mantel des Schweigens gebreitet. In der ganzen Vielschichtigkeit der hervorragenden Arbeiten der Herausgeber und der Autoren wird dieser Mantel gelüftet und das Schweigen wird symptomatisch für einen weißen Flecken in der Geschichtsschreibung, der sich zweifellos (aber nicht nur) aus dem übermächtigen Interesse an der unabdingbaren Virilität des männlichen Körpers in den hier behandelten mediterranen Kulturen und aus den uns verbliebenen Quellen erklärt.

Um männliche Körper geht es auch in den Prozessen der portugiesischen Inquisition, die Gegenstand des Beitrags von Luiz Mott sind. Hier begegneten sich Muslime aus Portugal und Christen portugiesischer, französischer und spanischer Herkunft, die (nicht von ungefähr) ihrem Glauben abgeschworen hatten und sich aus den unterschiedlichsten Gründen in Marokko befanden (die meisten als Kriegsgefangene). Geschichten voller Odysseen und extremem Leid, erlitten noch bevor die Menschen in den Fängen der Justiz landeten (den Übergriffen ihrer Eigentümer ausgesetzt und zusätzlich durch ein Umfeld gedemütigt, das sie aufgrund ihres Schicksals als minderwertig ansah). Ihr Leid wurde vor Gericht detailliert festgehalten (auch, mag man vermuten, um den Verdacht der Mitverantwortung zu schwächen), und durch dasselbe Gericht wurde ihnen weiteres Leid zugefügt. Doch neben Leid und Verurteilung (ein unvermeidlicher Aspekt in der auf normativen Quellen basierenden Historiografie «anderer» Sexualitäten) finden sich in diesem Band auch die Sichtweisen der Liebe, die Beschwörung der Schönheit und der Gesang des Verlangens – ein reiches Fresko, das die Arbeit von Selim S. Kuru von der ottomanischen Literatur der Frühen Neuzeit zeichnet. Mit dem Thema des Blickes schließt der Band, mit dem Aufsatz von Jean-Raphaël Bourge über den europäischen Blickwinkel, die koloniale Sichtweise, die des Abendlandes. Antropologie, Literatur, Fotografie (die Erzählarten der Moderne, die nicht minder normgesteuert sind als die explizit an Normen orientierten des Ancien Régime fixieren die Körper der kolonisierten Menschen, sie sehen in ihnen zugleich ein explizites Angebot, dessen man sich mit einer Gier bedienen kann, die dem Blick auf die Körper unter ihresgleichen, also denen, die dem Westen zugehören, nicht gestattet ist. So findet sich auch hier das Stigma des «In-Humanen». Auch hier ein zweideutiger Blick, der zwischen Liebeswunsch und dem Willen nach Beherrschung oszilliert, was sich – durch die Jahrhunderte hindurch – wie ein roter Faden von einem Ufer des Mittelmeers zum anderen spannt.

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