Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

42, 2016/2

Emanuele Felice

Ascesa e declino

Review by: Andrea Leonardi

Authors: Emanuele Felice
Title: Ascesa e declino. Storia economica d’Italia
Place: Bologna
Publisher: Il Mulino
Year: 2015
ISBN: 978-88-15-25785-7

Reviewer Andrea Leonardi

Citation
A. Leonardi, review of Emanuele Felice, Ascesa e declino. Storia economica d’Italia, Bologna, Il Mulino, 2015, in: ARO, 42, 2016, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2016/2/ascesa-e-declino-storia-economica-dita-andrea-leonardi/

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Der junge Autor, nach einem Aufenthalt an der Autonomen Universität Barcelona erst seit Kurzem wieder an einer italienischen Universität tätig, hat schon in den vergangenen Jahren seine Fähigkeit zur Analyse unter Beweis gestellt. Ihr gehen sorgfältige Forschungen voraus, die er flüssig und ausgesprochen gut lesbar präsentiert. Insbesondere seine Arbeit Perché il Sud è rimasto indietro, 2013 im Verlag Il Mulino erschienen, löste eine lebhafte Debatte aus. Denn Felice vertrat darin die These, das nach wie vor bestehende Gefälle zwischen dem italienischen Süden und Nord- bzw. Zentralitalien sei auf die lokalen Eliten Süditaliens zurückzuführen – also nicht, wie in der lange Zeit üblichen Mezzogiorno-Analyse, auf eine von den «Piemontesern» und den herrschenden Klassen des neuen geeinten Nationalstaates bewusst betriebene Bevormundung. Sein neues Werk ist das Ergebnis intensiver Forschung anhand von Kriterien der Kliometrie, zu deren herausragenden Vertretern der Autor selbst gehört. Es gelingt ihm, im Vergleich zu seinen früheren Arbeiten noch einen Schritt weiterzugehen: Er legt dar, dass der wirtschaftsgeschichtliche Ansatz der Geschichtswissenschaft wie auch den Wirtschaftswissenschaften nicht nur als akademische Übung dient, sondern vielmehr eine große Chance bietet, sowohl den aktuellen Stand der Ökonomie zu durchleuchten als auch zu bewussten Entscheidungen zu verhelfen.

Der Autor geht souverän mit der internationalen Literatur zur Wirtschaftsgeschichte um, bezieht die Anregungen für seinen Ansatz aber vor allem aus der besonders gelungenen und aussagekräftigen Arbeit von Vera Zamagni, 1990 im Verlag Il Mulino veröffentlicht (Dalla periferia al centro. La seconda rinascita economica dell’Italia, 1861-1990), und aus der vielschichtigen Diskussion, die das Buch bei seinem Erscheinen ausgelöst hat. Davon ausgehend gelangt Felice im zweiten Kapitel seines Werkes zu einer besonders stimmigen Analyse. Denn er begnügt sich nicht damit, die Ergebnisse dieser anregenden geschichtswissenschaftlichen Debatte darzustellen, vielmehr arbeitet er die Stärken und Schwächen der verschiedenen Standpunkte heraus. In seiner ausführlichen und detailreichen Untersuchung lässt er keinerlei Zweifel am Erfolg der italienischen Anstrengungen, die dazu geführt haben, dass es das Land, das nach der ruhmreichen Epoche der Renaissance lange Zeit nur eine marginale Rolle innehatte, geschafft hat, nach seiner Nationalstaatseinigung vor allem ab der Zeit der Belle Époque zu den weitaus dynamischeren Ländern des Westens aufzuschließen. Er betont, dass dieser Aufholprozess einen keineswegs linearen Verlauf nahm, vielmehr wechselten sich Phasen der Erschöpfung mit ungleich vitaleren Phasen ab. Dank seiner genauen Erforschung vor allem der quantitativen Indikatoren wird deutlich, wie sich – nach einer langen Zeit des Wachstums nach dem Zweiten Weltkrieg – in den letzten Jahrzehnten ein immer offenkundigerer Abwärtstrend zu verfestigen scheint. Der Autor sieht die Gründe für diesen Wechsel von Auf- und Abschwung in der Wirtschaftsgeschichte Italiens in der Rolle der Institutionen und der herrschenden Eliten des Landes. Solange diese auf der Höhe der Anforderungen waren, die aus dem internationalen Umfeld erwachsen, konnte das Land die Voraussetzungen schaffen, um auf technologischer Ebene mit dem globalen Fortschritt mitzuhalten. Doch in den letzten anderthalb Jahrzehnten haben diese Anstöße nachgelassen, was Italien einen klar erkennbaren Abwärtstrend eingebracht hat.

Um zu diesen Schlussfolgerungen zu gelangen, schlägt der Autor einen Interpretationsschlüssel vor, der nicht einfach nur die Zeit nach der nationalen Einigung, sondern einen sehr viel längeren Zeitraum einbezieht. In der Tat scheint es unter vielen Gesichtspunkten ungewöhnlich für eine Arbeit, die sich vornehmlich mit den letzten 150 Jahren befasst, mit den Betrachtungen zum Wirtschaftsverlauf der Halbinsel schon in der Antike zu beginnen, um dann mit den charakteristischen Ökonomieformen des italienischen Mittelalters bis zur Neuzeit fortzufahren. Um den Blick für die langen Phasen des Aufstiegs und des Abstiegs zu schärfen, geht er dem Reichtum des Römischen Reiches nach sowie dessen Verfall, dann dem wirtschaftlichen Aufschwung im Spätmittelalter bis in die Renaissance und anschließend der rückläufigen Entwicklung von der Neuzeit bis zu den Anfängen der zeitgeschichtlichen Gegenwart des 19. und 20. Jahrhunderts. Für diese letzte Zeitspanne arbeitet er – anhand aktueller Forschungsarbeiten, die das Gewicht des italienischen Bruttoinlandsprodukts neu bewerten – einige entscheidende Phasen heraus: die ersten 35 Jahre nach der Einheit, in denen das Königreich Italien nicht in Schwung kommen will; die letzten Jahre des sogenannten «liberalen» Italien, als sich ein Aufschließen zu den fortschrittlichsten Ländern abzeichnet; die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, in der Italien trotz allem mit den westlichen Industrienationen Schritt halten kann; die Zeit des Wirtschaftswunders (1950-1973), ein wahrlich goldenes Zeitalter für Italien; darauf folgen die Jahre, die der Autor als «silberne Periode der Halbinsel» bezeichnet (1973-1993); schließlich die Phase des Abschwungs (1993-2011). Diese Phasen, die er in vier außerordentlich interessanten Kapiteln (III.-VI.) analysiert, behandelt Felice mit dem Bewusstsein, dass sich die Wandlungsprozesse in der italienischen Wirtschaft nur dann in ihrer ganzen Komplexität begreifen lassen, wenn man das internationale Szenarium und dessen geschichtswissenschaftliche Analyse angemessen berücksichtigt. So verdeutlicht der Autor, wie weit die wichtigsten Aspekte der italienischen Wirtschaftsgeschichte mit den maßgeblichen Entwicklungen der internationalen Zeitgeschichte einhergehen: die erste Globalisierung, begleitet vom imperialistischen Wetteifern der großen europäischen Mächte, an dem auch Italien teilhaben wollte (1871-1913); die von der internationalen Fragmentierung und der Krise von 1929 gekennzeichneten Jahre zwischen den Kriegen; das goldene Zeitalter der Weltwirtschaft (1945-1973) mit seinen keynesianisch orientierten staatlichen Eingriffen; schließlich die Periode, die mit den Ölkrisen einsetzt, und dann mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Blocks (1989-1991) konfrontiert ist und schließlich in der zweiten Globalisierung und in einer neuen multipolaren Weltordnung mündet.

Ohne die sorgfältige Analyse des Autors abwerten zu wollen, die den umfangreichsten Teil des Werks ausmacht (S. 113-343), in dem er aus jeder der genannten Epochen seine Schlussfolgerungen zieht und damit die Qualität seiner Untersuchung unterstreicht, sind es vor allem das II. und VIII. Kapitel, in denen der methodologische Ansatz sowie die Weltanschauung des Autors besonders deutlich werden. Das ist nebenbei bemerkt nicht nur ein Charakteristikum dieses Werks, sondern durchzieht die gesamte Forschungsarbeit von Emanuele Felice.

Um die Reichweite seiner Analyse zu erfassen, muss man sich anschauen, was der Autor im II. Kapitel seiner Arbeit behandelt, nämlich eine Reihe methodologischer Ansätze. Dabei hebt er seine Orientierung an der Kliometrie sowie sein Interesse an der Unternehmensgeschichte hervor. Seiner Ansicht nach sind im Hinblick auf die Makroökonomie diejenigen Recherchen besonders ergiebig, die die quantitative Rekonstruktion und ihre Synthese mithilfe der Anwendung und Verarbeitung statistischer Daten ermöglichen und sich damit interpretativer Muster, analytischer Modelle und des ökonometrischen Instrumentariums der Wirtschaftswissenschaften bedienen. Aber auch die für die Wirtschaftsgeschichte wesentliche Bedeutung der qualitativen Quellenforschung vernachlässigt er nicht. Und genau hier stößt man an eine mögliche Grenze dieser Arbeit, die ansonsten ausgezeichnet angelegt, ausgearbeitet und geschrieben ist: Der Autor beschränkt sich bei der Verwendung des qualitativen Materials – anders gesagt der Archivforschung anhand von Quellen aus erster Hand – vollständig auf die Mikroökonomie. Der umfangreiche, vielseitige bibliografische Apparat zu seiner Arbeit umfasst unter der beachtlichen Auswahl an «qualitativen» Untersuchungen – außer denen aus dem Bereich der Kliometrie – fast ausschließlich Studien aus dem Feld der Unternehmensgeschichte. Doch sollte die qualitative Forschung in der Wirtschaftsgeschichte nicht auf die mikroökonomische Ebene beziehungsweise auf Unternehmensgeschichten beschränkt bleiben. Vielmehr umspannt sie weitaus komplexere Szenarien und Situationen, aus deren Analyse sich eine ganze Reihe nützlicher Elemente gewinnen lassen, die zum Verständnis der Daten sowohl aus dem makroökonomischen als auch aus dem betriebswirtschaftlichen Bereich beitragen können. Hätte sich der Autor nicht dazu verleiten lassen – wie auf den Seiten 85-87 –, die beiden Bereiche als ein nahezu alles andere ausschließendes Begriffspaar zu behandeln, wäre die Arbeit noch stimmiger ausgefallen. Dann hätte er die Rolle der italienischen Wirtschaft noch besser in ihrer ganzen Komplexität herausarbeiten können, ausgehend vom jeweils spezifischen Beitrag des Primärsektors, des staatlichen und privaten Finanzsektors sowie des Sektors der touristischen Dienstleistungen, der heute von enormer Bedeutung ist, hier aber in nur wenigen Zeilen abgehandelt wird. So gesehen gelingt es dem Autor nicht, den Knoten zu lösen, der die wirtschaftshistorische Forschung in Italien knebelt, nämlich die komplexe Beziehung zwischen Archivrecherche und quantitativer Analyse.

Nun handelt es sich hier nur um ein eher nebensächliches Manko, denn es gehörte wohl nicht zu den vorrangigen Zielen des Autors, diese außerordent- lich komplexe Problematik zu lösen. Was an dieser Arbeit hingegen besonders überzeugt, ist die Rolle, die sie dem «Handwerk» des Wirtschaftshistorikers zuschreibt. Diese Zielsetzung tritt nicht nur im letzten Kapitel deutlich zutage, sie durchzieht das gesamte Werk, beispielsweise in Bezug auf die Arbeiten von Acemoglu und Robinson (Perché le nazioni falliscono, Mailand, il Saggiatore, 2013), wie auch auf die von North, Wallis und Weingast (Violenza e ordini sociali, Bologna, Il Mulino, 2012) – aber tatsächlich dürfte die vom Autor vorgeschlagene neue Lektüre von Machiavelli und Hobbes noch nützlicher sein. Um Erfolge und Misserfolge Italiens zu bewerten, muss man sich nach Ansicht des Autors mit der Rolle der italienischen Führungseliten auseinandersetzen, und was das heutige Italien betrifft, hat er keine Zweifel: Aus der Krise Italiens führe nur ein «Fürst», bestimmt kein «Leviathan», denn nur «eine langfristige Politik und eine entsprechend vorbereitete Führungsklasse können die Kompetenzen und die Kraft aufbringen, um das System zu reformieren» (S. 364). Diese Überzeugung vertritt der Autor seine gesamte Arbeit hindurch, und er kommt zu dem Schluss, dass man, «um den Niedergang auf lange Sicht zu verhindern, nur eine Möglichkeit hat: sich mit einer sozio-institutionellen Struktur und mit Grundressourcen auszustatten, die in der Lage sind, die Standards der großen fortschrittlichen Nationen zu erreichen und zu halten; das heißt, den bürokratisch-verwaltungstechnischen Apparat sowie die Institutionen zu reformieren, in Bildung und Innovation zu investieren, Regeln einzuführen, die das legale Verhalten von Bürgern und Unternehmen belohnen» (S. 359). Eine ausgesprochen deutliche Botschaft als Schlussfolgerung aus einer gelungenen historischen Rekonstruktion, die betont, dass man, um handeln zu können, erst einmal verstehen muss. Oder wie Einaudi in den Jahren des Wirtschaftswunders zu sagen pflegte: «Wissen, um zu entscheiden.»

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