Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

41, 2015/2

Marco Gervasoni

Le armate del presidente

Review by: Gabriele D’Ottavio

Authors: Marco Gervasoni
Title: Le armate del presidente. La politica del Quirinale nell’Italia repubblicana
Place: Venezia
Publisher: Marsilio Editori
Year: 2015
ISBN: 978-88-317-2085-4

Reviewer Gabriele D’Ottavio

Citation
G. D’Ottavio, review of Marco Gervasoni, Le armate del presidente. La politica del Quirinale nell’Italia repubblicana, Venezia, Marsilio Editori, 2015, in: ARO, 41, 2015, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2015/2/le-armate-del-presidente-la-politica-de-gabriele-dottavio/

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Ein anerkannter Verfassungsrechtler des vergangenen Jahrhunderts, Jean Rivero, schrieb: «Im Unterschied zu Satelliten bleiben die Institutionen in den wenigsten Fällen in dem Umkreis, in dem sie ihr Schöpfer ansiedeln wollte. Sie entziehen sich dem Willen des Verfassungs- und Gesetzesgebers, der ihnen Leben eingehaucht hat». Der zu präsentierende Band zeigt, dass diese These auf die Institution des Präsidentenamtes der italienischen Republik angewandt werden könnte.

Dabei handelt dieses Buch nicht vom Staatsoberhaupt als Ausleger der Verfassung in der Geschichte des republikanischen Italiens, es ist vielmehr eine Studie über die «Macht» im Sinne Max Webers, und mehr eine Studie über den Präsidenten als über die «Gewalten» (S. 9). Dies ist die Prämisse eines Bandes, der nach Aussage des Autors das Ziel verfolgt, in historischer Perspektive das Staatsoberhaupt als politischen Akteur sowie seine Möglichkeiten darzustellen, Einfluss auf eine politische Situation auszuüben, Kräfteverhältnisse zu verändern und seine eigenen Entscheidungen den Parteien aufzuerlegen. In der Geschichte gibt es keinen abstrakten und «perfekten» Präsidenten. Es gibt konkrete Präsidenten der Republik, Menschen, die aus den komplexen Läufen der politischen Geschichte Italiens hervorgehen, und dies oft aus glücklichen Umständen heraus. Je nach Persönlichkeit und historischen Umständen haben diese Männer eine Institution verkörpert, die in vielfacher Hinsicht immer neu auf ihre eigene Weise mehrdeutig war.

Wie der Autor eingangs erläutert, ist die Auslegbarkeit der Institution des Präsidialamts mit seiner Entstehung verbunden: Die Väter der italienischen Verfassung statteten den Präsidenten mit zu großen Machtbefugnissen aus, als dass er lediglich eine repräsentative Funktion hätte übernehmen können, aber sie wollten aus ihm dennoch keine Figur machen, die sich dem Parlament und der Regierung aktiv widersetzen könnte. Da sie ferner fürchteten, das Staatsoberhaupt könne sich von ihrer Kontrolle emanzipieren und ihre Macht zu sehr einschränken, taten die Parteien im Lauf der Jahre alles, um es an sich zu binden. Diese Dynamik – und dies ist eine Kernthese des Bandes – brachte ein paradoxes Ergebnis hervor: Durch ihre Vereinnahmungsversuche unterwarfen die Parteien den Präsidenten den Regeln der Politik und begünstigten somit letztendlich genau jenes semi-präsidiale Modell, das sie versucht hatten abzuwenden.

Im Verlauf der politischen Geschichte Italiens gab es nie «notarielle Präsidenten» im eigentlichen Sinne. Selbst jener, dem das Verlangen nach Interventionen wohl am fernsten lag, mit anderen Worten der Liberale Luigi Einaudi (1948-1955), sah sich nach dem Abgang des Premierministers aus der Democrazia Cristiana, Alcide De Gasperi, dazu gezwungen, mit den «governi del presidente» zu experimentieren. Seitdem hat der Quirinal in der Staatspolitik immer die Rolle eines beteiligten Akteurs gespielt. Der gegen den Widerstand der Mehrheit der Mitte-Regierung und des damaligen Sekretärs der Democrazia Cristiana gewählte Giovanni Gronchi (1955-1962) war vielleicht der erste Präsident, der seine Rolle in einer Weise auslegte, die von der Verfassung nicht ausdrücklich vorgesehen war: jener, neue politische Einverständnisse und Bündnisse zu erleichtern und somit als Architekt eines eigenen, notwendigerweise persönlichen politischen Plans aufzutreten, den er umzusetzen anstrebte. Der von Aldo Moro als Gegengewicht zu der von ihm selbst unter großen Anstrengungen geschmiedeten Mitte-Links-Mehrheit ausgewählte Antonio Segni (1962-1964) verzichtete nicht darauf, die verschiedenen Anführer der Democrazia Cristiana zum vertraulichen Rapport einzubestellen, um ihnen seine Desiderate und Richtungsweisungen zu unterbreiten. Giuseppe Saragat (1964-1971), seines Zeichens ein Unterstützer und Garant jener Mitte-Links-Mehrheit, wurde hingegen in Gestalt eines unglücklichen Versuches aktiv, die zwei sozialistischen Parteien zu vereinen.

Zum entscheidenden Wendepunkt kam es mit Sandro Pertini (1978-1985). Er machte aus dem Staatspräsidenten eine «Orientierungsfigur» oder anders ausgedrückt einen «moralischen Wächter der Nation» und stellte sich so gegen ein nunmehr im Niedergang begriffenes System, das von den Parteien beherrscht wurde. Sehr erhellend sind die Ausführungen des Autors zur Amtszeit des Präsidenten Francesco Cossiga (1985-1992), auf den sich die führenden Parteien in dem (irrigen) Glauben geeinigt hatten, der Anführer der Democrazia Cristiana werde eine weniger aktive Rolle spielen als sein Vorgänger. Innerhalb seiner siebenjährigen Amtsperiode schien Cossiga sich in der Tat zunächst fünf Jahre lang mit dem Part des «Notars» zu begnügen. In den letzten zwei Jahren äußerte er allerdings heftige Kritik am Parteiensystem, was ihm den berühmten Spitznahmen «picconatore» [d.i. ungefähr «Der Mann mit der Spitzhacke», Anm. d. Über.] einbrachte. Auch angesichts der Erfahrungen mit Cossiga versuchten die Parteien, die Einflussnahme des Staatsoberhaupts einzudämmen. Allerdings eröffneten sich im Moment der größten Krise der italienischen Parteienherrschaft für den Staatspräsidenten noch weitere Spielräume. Cossigas Nachfolger Oscar Luigi Scalfaro (1992-1999) nutzte dies vollständig aus. Teilweise bewegte er sich mit einem dem Autor zufolge nicht immer unparteiischen Verhalten oft an der Grenze. Präsident Carlo Azeglio Ciampi (1999-2006) war seinerseits Urheber einer bedeutsamen Neuerung, als er es sich zur Aufgabe machte, einer durch eine tiefe Identitätskrise geprägten Nation eine «wiederaufbauende Erzählung» zu geben. Auch dies war eine Form der Machtausübung, und sie hat ein Eingreifen durch «moral suasion» etabliert, zu dem es nicht hätte kommen können, wäre ihr nicht durch jene Rolle des «Erzählers» Legitimität verliehen worden, die Ciampi ins Leben gerufen hat.

Der Band endet mit einer gründlichen Untersuchung der neunjährigen Präsidentschaft Giorgio Napolitanos (2006-2015), des ersten Präsidenten in der Geschichte der Republik, der es, persönlichen Vorbehalten zum Trotz, hinnehmen musste, dass mit der Usance gebrochen wurde, nicht neu für das Amt zu kandidieren. Der Autor zeigt gut auf, wie Napolitano angesichts der schwersten Wirtschaftskrise seit 1929 und einer immer stärkeren Fragmentierung und Delegitimierung des Parteiensystems nichts weniger als die Rolle eines Ersatzes für eine Führungsriege spielte, die unfähig war, sua sponte politisch-institutionelle und wirtschaftliche Reformen auf den Weg zu bringen, die den italienischen Bipolarismus und die Bindung an Europa hätten retten können. Um die große «politische Macht» zu verdeutlichen, die Napolitano verkörperte, hebt der Verfasser mit Recht hervor, dass dieser in den Jahren von 2011 bis 2015 drei Persönlichkeiten – Mario Monti, Enrico Letta und Matteo Renzi – das Amt des Ministerpräsidenten verlieh, ohne eine direkte Legitimation durch das Wahlvolk einzuholen.

Auf der anderen Seite distanziert sich der Autor mit seiner Untersuchung implizit von den Kritiken, denen Napolitano des Öfteren ausgesetzt war: Insbesondere ein Teil der Presse hat ihm vorgeworfen, angeblich dem Amt des Präsidenten eine semi-monarchische Wende zu geben. Die Amtsführung Napolitanos ist nicht nur Teil einer problematischen Tradition, in der fast alle Präsidenten eine politisch aktive Rolle gespielt haben. Sie scheint auch die Gültigkeit einer der wenigen ungeschriebenen Regeln zu bestätigen, die ebenso auf alle seine Vorgänger angewandt werden kann: Welch große politische «Macht» die Staatspräsidenten auch hatten, selbst die stärksten und prägendsten unter ihnen, jene, die am meisten gemahnt und die Richtung gewiesen haben, sahen sich letztlich dennoch gezwungen, sich anderen anzuvertrauen.

Dieser gut geschriebene und argumentativ klare Band ist ein ausgezeichnetes Handbuch für das Studium und das historische Verständnis der Rolle einer der Schlüsselfiguren des politischen Systems in Italien.

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