Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

41, 2015/2

Marino Sanudo
Gian Maria Varanini, mit Beiträgen von Alfredo Buonopane, Antonio Ciaralli, Michael Knapton, John Law, und Gian Maria Varanini (eds.)

Itinerario per la Terraferma veneziana

Review by: Katia Occhi

Authors: Marino Sanudo
Editors: Gian Maria Varanini, mit Beiträgen von Alfredo Buonopane, Antonio Ciaralli, Michael Knapton, John Law, und Gian Maria Varanini
Title: Itinerario per la Terraferma veneziana. kritische Ausgabe
Place: Roma
Publisher: Viella
Year: 2014
ISBN: 978-88-6728-127-5

Reviewer Katia Occhi - FBK-ISIG

Citation
K. Occhi, review of Marino Sanudo, Gian Maria Varanini, mit Beiträgen von Alfredo Buonopane, Antonio Ciaralli, Michael Knapton, John Law, und Gian Maria Varanini (eds.), Itinerario per la Terraferma veneziana. kritische Ausgabe, Roma, Viella, 2014, in: ARO, 41, 2015, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2015/2/itinerario-per-la-terraferma-veneziana-katia-occhi/

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Vom 15. April bis zum 3. Oktober 1483 begleitet Marin Sanudo seinen Cousin Marco auf einer Reise durch die Terraferma. Sie beginnt in Padua und der Polesine, inmitten des Krieges von Ferrara zwischen Venedig und den Este. Sie führt weiter durch die venezianisch beherrschte Lombardei (Brescia, Bergamo und Crema), dann zum Gardasee, Riva und Rovereto und über die Hauptsitze der Gouvernements unter einem Podestà: Verona, Vicenza, Treviso, Feltre und Belluno. Von dort aus erreichen die Reisenden das Friaul, Istrien, Pola und schließlich Albona. Über diese Reise, die eine Art von informellem politischen Lehrgang darstellte, der von vielen Patriziern absolviert wurde, schrieb der damals siebzehnjährige Sanudo zwei Manuskripte, von denen eines heute in der Biblioteca Nazionale Marciana in Venedig aufbewahrt wird und nur einige Stationen der Inspektionstour umfasst, das andere hingegen in der Universität Padua. Bei dem Itinerario, von dem beide Fassungen in diesem Band veröffentlicht werden, handelt es sich um den Erlebnisbericht aus dem Gefolge der drei Sindaci inquisitori (von denen einer der Cousin des Autors war), nämlich der von der Venezianischen Regierung mit periodischen Inspektionen der Städte der Terraferma und der Unterstützung der Statthalter bei der Rechtsprechung beauftragen Amtspersonen.

Sanudo war bekanntlich ein produktiver Autor. Berühmt ist er vor allem für seine 58-bändigen Diarii, die erst in den Jahren 1897 bis 1903 veröffentlicht wurden. Hier ist sein Modell Flavio Biondos Italia Illustrata (1448-1453), eine mit Verweisen auf die Hauptpersonen angereicherte historisch-geographische Beschreibung, die auf die Tradition der klassischen Ethnographie rekurrierte. Ausweislich der vielen Verweise auf seine Leser wurde das in Volkssprache verfasste Itinerario nicht als ricordanza oder Tagebuch privaten Charakters konzipiert. Dennoch blieb es lange unediert und wurde erst im Jahr 1847 durch Rawdon Brown (aus der Paduaner Handschrift) und im Jahr 1881 durch den Abt Rinaldo Fulin (aus dem Venezianer Manuskript) herausgegeben.

Bevor wir zur Edition und dem kritischen Kommentar durch Gian Maria Varanini kommen, sei hervorgehoben, dass ihr eine detaillierte historische Einführung vorangestellt ist. Fünf verschiedene Spezialisten beleuchten in ihr den Text anhand der aktuellsten Studien zu Verwaltung, Rechtsprechung, Steuerwesen, öffentlichen Finanzen, Verteidigung sowie Wirtschafts- und Kirchenpolitik der Republik Venedig.

M. Knapton und J. Law zeichnen für das Kapitel «Marin Sanudo e la Terraferma» (S. 9-80) verantwortlich, welches als das aktuellste historiographische Kompendium bezeichnet werden kann. Sie zeigen, wie Sanudo architektonischen Überbleibseln und Epitaphen der Antike sowie den aktuellen Ereignissen, also den militärischen Konflikten Venedigs und den Ergebenheitsritualen (dedizioni) der unterworfenen Territorien besondere Aufmerksamkeit widmet. Das Itinerario ist ein Abbild der politischen Geographie des in der Mitte des 15. Jahrhunderts konsolidierten venezianischen Herrschaftsraumes. Es war eine Zeit, in der Venedig ein großes Konglomerat an Territorien unter seine Herrschaft gebracht hatte, die größtenteils über eine solide und entwickelte Wirtschaft verfügten, sich allerdings durch eine Pluralität von Regierungsstrukturen auszeichneten, die in der geographisch-politischen Fragmentierung begründet war. Zumeist aber kam es zur Unterwerfung von politischen Gebilden auf der Terraferma unter die höhere Autorität eines republikanischen Regimes, das durch das venezianische Patriziat kontrolliert wurde.

Die Bedeutung von Sanudos Werken und das Interesse an ihnen in den nachfolgenden Jahrhunderten werden in dem Aufsatz «Marin Sanudo: le opere, la fortuna storiografica» von J. Law dargestellt (S. 81-94), der das Zustandekommen der ersten Fassung aus dem Paduaner Manuskript durch den ersten Verlager rekonstruiert. Alfredo Buonopane beschäftigt sich hingegen in seinem Beitrag «Marin Sanudo e gli «antiquissimi epitaphii» (S. 95-104) mit Sanudo als Sammler von Epigraphen, beweist so seine humanistische Kultur und korrigiert damit das teils negative Urteil Theodor Mommsens.

Kommen wir aber nun zum Manuskript. In einem Einführungskapitel stellt Gian Maria Varanini in paläographischer und kodikologischer Analyse die beiden Fassungen vergleichend vor (S. 105-126). Antonio Ciaralli beschäftigt sich mit den Merkmalen des Paduaner Manuskripts (S. 127-129), der Herausgeber hingegen mit jenen der venezianischen Handschrift (S. 129-130). Am Ende des einführenden Teils stehen die «Criteri di edizione» (S. 131-134) und eine Erläuterung zum Münz- und Maßsystem (S. 135-136).

Aus den gründlichen Untersuchungen geht hervor, dass das venezianische Manuskript die erste Redaktion des Reisetagebuchs darstellte, welche in der Paduaner Redaktion erweitert und komplettiert ist, die auch 31 Skizzen, hauptsächlich zu Mauern und Befestigungsanlagen umfasst. Die Paduaner Version wurde mehrfach überarbeitet, wie anhand von Varianten in Schrift und Tinte deutlich wird, ebenso wie an der Einfügung der Zeichnungen und Daten zu den Funktionären auf der Terraferma sowie von Angaben zu Steuereinnahmen. Viele freigelassene Stellen zeigen jedoch, dass auch das Paduaner Manuskript ein Werk in fieri darstellt und mit weiteren Daten vervollständigt werden sollte, was von dem produktiven Anwärter auf die Stelle des Geschichtsschreibers der Republik später nicht mehr geleistet wurde, dem zuerst Andrea Navagero (1516) und dann Pietro Bembo (1530) vorgezogen wurde.

Wie erwähnt wird das Itinerario durch eine Reihe von Skizzen der besuchten Orte bereichert. Sie dienten dazu, dem Leser ein möglichst detailliertes Bild im Hinblick auf politische, judizielle und militärische Informationen zu geben, was nicht ohne die Tendenz zur Lobpreisung geschah. Sanudo lieferte eine reiche geographische Beschreibung der Orte, gibt Informationen zu Höhenlagen, Flussverläufen, Fruchtbarkeit der Böden und zu den Befestigungsanlagen. Besondere Aufmerksamkeit gilt den Verkehrsverbindungen. Dies geht etwa aus den Angaben zu Entfernungen zwischen den besuchten Orten hervor, anhand derer das Zusammenspiel der Infrastrukturen zu Wasser und zu Land verständlich wird, was heute aufgrund von späteren, die Landschaft verändernden Eingriffen oft nicht mehr nachvollziehbar ist.

Im Itinerario finden sich auch Informationen zum Straßen- und Verkehrswesen zwischen Italien und Deutschland und zur Anwesenheit deutscher Unternehmer, beispielsweise im Bergbau und im Hüttenwesen, so etwa in einem Verweis auf Castenuovo di Quero im Piavetal: «von hier gehen die Waren auf Karren von Venedig nach Deutschland» («de qui va le robbe in terra todescha da Veniexia su carri», S. 392); oder über: «maestro Sboicer, todesco» wird im Distrikt von Agordo gesehen, in der Nähe der «Gruben» («buse») und «Schmieden, wo man Kupfer einschmilzt» («fusine dove si colla rami») (S. 398).

All dies wird vom Herausgeber auf mehr als dreihundert Seiten beschrieben, die das Manuskript begleiten. Ebenso wie der bemerkenswerte Kommentar zu der Paduaner Fassung (S. 150-467), erlauben sie es, die Inspektionen der Sindaci inquisitori nachzuvollziehen und einen Ausschnitt der Gesellschaft sowie der venezianischen Territorien zu erkennen, der die Kräfteverhältnisse und die Rollenverteilungen zwischen gesellschaftlichen Schichten und Institutionen auf der Terraferma und ihrer Hauptstadt am Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit besser verstehen lässt.

Der Band wird durch ausgezeichnete kritische Apparate vervollständigt. Neben dem sechzigseitigen «Indici degli autori moderni, dei nomi di persona e dei nomi di luoghi» gilt es ein «Glossario» (S. 511-519) zu erwähnen, das ein nützliches Instrument für Nicht-Spezialisten und diejenigen darstellt, die mit dem venezianischen Volkssprache des 15. Jahrhunderts nicht vertraut sind. Erwähnenswert ist ferner das «Repertorio dei patrizi veneziani citati dall’Itinerario» (S. 521-570), welches auf der Basis der durch B. Kohl verantworteten Datenbank www.rulersofvenice.org und anderer Grundlagen erstellt wurde, die in der Vorrede erwähnt werden. Dieses Repertorium liefert jeweils einen Eintrag zu Nachname, Name und Patronym sowie zu Amt und Funktion der zweihundertneunundsechzig Personen, die Sanudo erwähnt.

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