Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

40, 2014/2

Dominique Kirchner Reill

Nationalists Who Feared the Nation

Review by: Marco Bellabarba

Authors: Dominique Kirchner Reill
Title: Nationalists Who Feared the Nation. Adriatic Multi-Nationalism in Habsburg Dalmatia, Trieste, and Venice
Place: Stanford CA
Publisher: Stanford University Press
Year: 2012
ISBN: 978-0-8047-7446-8

Reviewer Marco Bellabarba - Università di Trento

Citation
M. Bellabarba, review of Dominique Kirchner Reill, Nationalists Who Feared the Nation. Adriatic Multi-Nationalism in Habsburg Dalmatia, Trieste, and Venice, Stanford CA, Stanford University Press, 2012, in: ARO, 40, 2014, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2014/2/nationalists-who-feared-the-nation-adri-marco-bellabarba/

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In vorliegendem Buch erzählt Dominique Kirchner Reill die Geschichte einer mehrjährigen intellektuellen Freundschaft, die sechs Schriftsteller und Politiker zur Zeit der habsburgischen Herrschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts miteinander verband. Auf den ersten Blick möchte man kaum glauben, dass Niccolò Tommaseo, Francesco Dall’Ongaro, Pacifico Valussi, Medo Pucić, Ivan August Kaznačić und Stipan Ivičević ein gemeinsames Schicksal teilen. Deren Biografien wurden zumindest seit Ende des Jahrhunderts nach dem Prinzip des gegenseitigen Ausschlusses nachgezeichnet, das mögliche Verbindungen und Gemeinsamkeiten im Verborgenen hielt: Die ersten drei wurden gemeinhin als Verfechter der «italianità» gegenüber der «slawischen Barbarei» und die letzten drei als Boten der serbischen «Wiedererwachung» oder des begrenzteren kro- atischen Nationalismus beschrieben. Will man verstehen, weshalb die Autorin ihre Erzählung mit einer Darstellung des geopolitischen Raumes beginnt, so muss man eben von dieser postumen Kanonisierung der Protagonisten ausgehen.

Der erste Teil bietet einen historischen Abriss der Adriatic region in der Zeit des Übergangs von der venezianischen und napoleonischen Herrschaft bis zur Eingliederung in das Kaisertum Österreich. Mit der Rückkehr der Habsburger werden alte räumliche Gegebenheiten aufgebrochen und neue geschaffen: Venedig und Teile von Friaul werden in das Königreich Lombardo-Venetien eingegliedert; Triest, die Gefürstete Grafschaft Görz und Gradisca, das neue Kronland Küstenland (Litorale) einschließlich Istrien werden an das von Fürst Metternich gewollte vergängliche österreichische «Königreich Illyrien» angeschlossen; Dalmatien wird von Zara bis Cattaro zu einem Österreichischen Kronland, ist aber durch das Soldatenland auf dem Landweg von den übrigen Kronländern abgeschnitten. Dank der teilweisen Öffnung während der Habsburger Herrschaft bahnen sich die «six writers and local leaders» im politischen und wirtschaftlichen Leben jener Zeit langsam einen Weg. Der bedeutendste unter ihnen – zumindest für den italienischen Leser – ist Niccolò Tommaseo, der zugleich auch Schlüsselfigur des Buches ist. Nicht nur, weil er für die übrigen fünf der Gruppe ein fester Bezugspunkt ist, sondern vor allem aufgrund einer originellen Konstruktion von «Multinationalismus», die das Band ihrer Freundschaft zumindest bis zu den Revolutionsereignissen von 1848/49 nicht abreißen lässt. In einigen seiner Werke, so etwa Scintille, ein in fünf Sprachen – Italienisch, Latein, Französisch, Neugriechisch und Südslawisch – erschienenes Sammelwerk mit Prosa- und Gedichtstücken, präsentiert Tommaseo eine Konzeption von inklusivem Nationalismus, die auf der Hypothese der kulturellen Gemeinschaft zwischen allen Völkern des Adriatischen Raumes beruht.

1844 in serbokroatischer Sprache unter dem Titel Iskrice («Funken») erschienen, verzeichnet das Sammelwerk einen gewaltigen Erfolg. Das beschriebene Paradigma der Nationen als Gemeinschaften mit eigener Sprache und Tradition und nicht als bloße Verwaltungseinheiten trägt zur Verbreitung von Tommaseos Ideen im Österreichischen Kronland Dalmatien bei. Medo Pucić, Ivan August Kaznačić und Stipan Ivičević, die zu Beginn ihrer Karriere mit dem slawischen kulturellen «Risorgimento» sympathisieren, lösen sich später von dieser Vorstellung und wenden sich der Sache eines «harmonious, multi-national borderland realm» (S. 111) zu, der die Koexistenz von italienischer und slawischer Ethnie zu realisieren vermag. In der Zwischenzeit erlangt Tommaseo auch in Triest, dem politischen und wirtschaftlichen Zentrum der österreichischen Adriatic region große Bekanntheit. In den späten 1830er Jahren wecken die von den beiden bedeutendsten Journalisten der Stadt, Francesco Dall’Ongaro und Pacifico Valussi, verfassten Artikel auch bei den Akteuren von Wirtschaft und Kultur das Interesse für die Geschehnisse in den nahegelegenen slawischen Provinzen.

Das Versprechen eines multiethnischen Adriatischen Raumes stößt jedoch gegen die Mauer der zwanzig Jahre anhaltenden Revolutionsereignisse, in denen für jeden der sechs Protagonisten die Tätigkeit als writer gegenüber jener als political leader in den Hintergrund tritt. Wenngleich ihre Freundschaft in den beiden Jahren 1848 und 1849 nicht wegen des überzeugten Bekenntnisses zur revolutionären Bewegung zerbricht, trennen sich dennoch ab jenem Zeitpunkt ihre Wege. Während Niccolò Tommaseo als Minister für Unterricht mit Daniele Manin an die Spitze der provisorischen Regierung Venedigs gestellt wird, aber trotzdem weiterhin Botschaften mit Freundschaftsbekundungen gegenüber den slawischen Völkern des Adriatischen Raums verbreitet, verlassen Dall’Ongaro und Valussi Triest, um nach Venedig zu eilen, wo sie mit immer lauterer und proitalienischer Stimme für die Sache der Unabhängigkeit Venedigs Partei ergreifen. Pucić, Kaznačić und Ivičević verteidigen hingegen vor dem Hintergrund des Drucks der kroatischen und italienischen Nationalisten die dalmatische Diversität in der Hoffnung, dass Wien sich dazu entscheidet, ihr Land von den übrigen Österreichischen Kronländern zu lösen.

Das in vorliegendem Buch nachgezeichnete wundersame Kartenhaus von politischen Versprechungen ist demzufolge nur von kurzem Bestand. Nach der Einführung des Neoabsolutismus im Jahre 1851 durch Kaiser Franz Joseph I. wurden die Aufstände in Ungarn durch die kaiserlich-österreichischen Truppen blutig niedergeschlagen; aber auch in Italien wurden gegen alle Personen, die sich des Ungehorsams gegen das Kaisertum Österreich schuldig gemacht hatten, strenge Disziplinarmaßnahmen verhängt. Tommaseo und Dall’Ongaro bezahlten ihre Beteiligung am Widerstand der Republik Venedig gegen die Habsburger mit dem Exil; Valussi mit einer streng überwachten Konfination in seine Geburtsstadt Udine. Ihre dalmatischen Freunde auf der anderen Seite der adriatischen Küste fokussierten derweil ihre Aufmerksamkeit auf die möglichen Vorteile, die sich aus einer multi-national neutrality für Dalmatien als eigenständiges Territorium ergeben könnten. Über die jüngsten Geschehnisse reflektierend, gelangten alle drei zur Überzeugung, dass die Zukunft in der früheren oder späteren Wiedervereinigung mit einem der slawischen Staaten liegen würde – auch wenn keiner der drei einstweilen einen bestimmten im Sinn hatte.

Welche Lehren lassen sich aus dem dargestellten Abschnitt in der Geschichte des Adriatischen Raums ziehen? Zunächst, dass es nach wie vor schwierig ist, Nationalismus und Pluralismus miteinander in Einklang zu bringen. Daneben, so die Autorin, ergibt sich als wichtigstes Fazit die Anregung, historischen Erzählungen, die die Gegenwart als Realisierung vergangener Erfahrungen oder Erlebnisse deuten, stets skeptisch gegenüber zu stehen. Die sechs Protagonisten konnten die Zukunft der Welt nicht erdenken. Dadurch, dass sie aber mit Namen als fiktive Vertreter des italienischen oder kroatischen «Risorgimento» erscheinen, drücken sie das später erfüllte Bedürfnis «of imagining a nation, founding a nation, and then consolidating it» (S. 243) aus. Die Empfehlung, jeden Anschein von nationalen Theologismen zu vermeiden, ist nur eines der Verdienste des Buchs. Neben dem Bild eines entgegen den gewohnten Darstellungen weniger blutigen und autoritären Vormärz machen die Briefe, Zeitungsartikel, politischen Pamphlete, die zu Hunderten zwischen den beiden Küstenstreifen ausgetauscht wurden, das Bestehen eines Literatenkreises deutlich, der über die territorialen Grenzen hinweg agierte und sich abseits der politischen Schranken bewegten. Dank der tadellosen Sprachkenntnisse der sechs Protagonisten (Italienisch, Serbokroatisch und Deutsch) kehrt die Autorin mit ihrem eindrucksvollen kulturgeschichtlichen Experiment das herkömmliche Bild von den Österreichischen Kronländern um: So legt sich über eine von den kaiserlich-österreichischen Sicherheitsbeamten streng überwachte Abgeschiedenheit ein Netz freundschaftlicher Beziehungen, das die von der Restauration aufgezwungenen geopolitischen Grenzen zu überwinden vermag.

In den letzten Jahren ist das Interesse für die Erforschung von Phänomen wie etwa national indifference und/oder national ambiguity in den östlichen Kronländern der Habsburgermonarchie enorm gestiegen. Nationalists Who Feared the Nation dokumentiert die mangelhafte Durchdringung der Politik mit den Ideen des «Risorgimento» in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Daneben zeigt das Buch aber auch, wie die Kühle, mit der man Nationalismen begegnete der Herausbildung einer überzeugenden Konzeption – um nicht zu sagen überzeugender Konzeptionen – des Nebeneinanders der im Adriatischen Raum lebenden Völker Platz macht. Und eben dieses Bild von den adriatischen borderlands suggeriert, die Vorstellungen der Schüler Tommaseos und die in anderen Kronländern des Kaisertums Österreich nationalen Sensibilitäten einander gegenüberzustellen. Abgesehen vom Radikalismus der Kossuth-Anhänger in Ungarn machen die Zeugnisse politischer Akteure in Böhmen, Galizien oder dem Trentino aus jener Zeit eine starke Verbreitung des multi-nationalism auch außerhalb des dargestellten Adriatischen Raums deutlich. Die typischen Formulierungen von Politikern wie etwa Joseph von Eötvös aus Ungarn, Leo von Thun-Hohenstein (zukünftiger neoabsolutistischer Minister für Unterricht) aus Böhmen, ja sogar von politischen Akteuren in Dalmatien lassen sich auf dieses Modell zurückführen, gleichwohl mit unterschiedlichen Differenzierungen, die vom aristokratischen Konservatismus bis zum reformistischen Liberalismus reichen.

Dieses Schwanken des multi-nationalism zwischen gegensätzlichen Polen des politischen Horizonts hätte demnach eine tiefere Betrachtung in einem so vorzüglich geschriebenen und suggestiven Werk verdient. Vielleicht, so möchte man meinen, war der Traum des Multinationalismus von Anfang an mit zahlreichen Mängeln behaftet. Zwar waren Valussis und Dall’Ongaros Bestrebungen kohärent mit den Zielen ihrer Geldgeber, nämlich Triest zu einem Anziehungspunkt für Händler aus der ganzen Welt zu machen, doch wurden sie Tommaseos Lehren nur vordergründig gerecht und erwiesen sich letztlich sogar für den in Dalmatien erhofften wirtschaftlicher Fortschritt als hinderlich. Neben seiner doch eher facettenreichen intellektuellen Entwicklungsschichte, verfolgte der multi-nationalism letztlich die oftmals im Gegensatz zueinander stehenden Ziele seiner Urheber. Mit der Revolution von 1848 zerbrach die Illusion, dass sich der tolerante melting-pot der adriatischen Häfen auch über die Dörfer des Hinterlands legen würde. Trotz seines ethnographischen Reizes verbarg sich hinter dem Pluralismus der istrischen oder dalmatischen Bauern letztlich eine jahrtausendalte ökonomische Ungleichheit, die kein Bewohner der Küstenstädte zumindest für den Augenblick zu beseitigen gedachte.

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