Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

40, 2014/2

Serena Ferente

Gli ultimi guelfi

Review by: Massimo Rospocher

Authors: Serena Ferente
Title: Gli ultimi guelfi. Linguaggi e identità politiche in Italia nella seconda metà del Quattrocento
Place: Roma
Publisher: Viella
Year: 2013
ISBN: 978-88-83-34919-5

Reviewer Massimo Rospocher - FBK-ISIG

Citation
M. Rospocher, review of Serena Ferente, Gli ultimi guelfi. Linguaggi e identità politiche in Italia nella seconda metà del Quattrocento, Roma, Viella, 2013, in: ARO, 40, 2014, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2014/2/gli-ultimi-guelfi-linguaggi-e-identita-massimo-rospocher/

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Seit Dante bis heute sind die beiden Kategorien Guelfen und Ghibellinen in der italienischen politischen Sprache allgegenwärtig. Diese Bezeichnungen sind zu negativen Inbegriffen jenes Faktionalismus und jener Auseinandersetzungen geworden, die das politische Leben Italiens angeblich seit Jahrhunderten bestimmen. Das Buch versucht die Geschichte der politischen Identität der Guelfen (und des Guelfentums) in Italien im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert, einer Übergangsperiode für die politisch-institutionellen Systeme, zu rekonstruieren.

In der europäischen Erforschung der Ursprünge des Staates hat der Entstehungsprozess der italienischen «Regionalstaaten» – eine Kategorie, die man erstmals in den Forschungen von Giorgio Chittolini findet – im historiographischen Diskurs eine zentrale Rolle gespielt. Das Buch von Serena Ferente fügt sich in diesen Diskurs ein, beleuchtet das Thema im Gegensatz zur traditionellen Geschichtsschreibung jedoch nicht in seinem lokalen (und mitunter lokalistischen) Gepräge, sondern aus der Perspektive eines größeren «italienischen» politischen Raumes, der in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts freilich weit über die Grenzen der Regionalstaaten hinaus geht.

Die Autorin belegt ihre Ausführungen anhand von öffentlichen und privaten Korrespondenzen einiger politischer Akteure sowie gerichtlichen Quellen und bürgerlichen Chroniken, die das damalige Gerede und Geschwätz erahnen und auf eine politisch stark durchdrungene Oralität schließen lassen. Anhand der Briefe arbeitet sie die Handlungen einiger politisch aktiver Menschen in jener von Krisen und Veränderung geprägten Zeit heraus, die für das weitere Werden der Halbinsel entscheidend waren.

So erzählt die Autorin die miteinander verwobenen Geschichten von vier Männern, die ein überörtliches Beziehungsnetzwerk aufbauen (ein ausschließlich männlich geprägtes Netzwerk). Es sind dies der Mailänder Bürger Innocente Cotta, der Florentiner Bürger Angelo Acciaioli, der unruhige apostolische Pronotar und Kardinal Obietto Fieschi aus Genua und der Aquilanische Erzdiakon Vespasiano sowie dessen sechs Brüder. Die Protagonisten der vier Geschichten verbindet neben der guelfischen Identität das gemeinsame tragische Schicksal Verlierer zu sein, im Kampf um die Macht in den jeweiligen Städten besiegt worden zu sein.

Diese vier Hauptfiguren verkörpern zwar individuelle politische Identitäten bezogen auf unterschiedliche geografische und institutionelle Kontexte (Mailand, Florenz, Genua und L’Aquila), ihre Geschichten sind aber beispielhaft und Zeugnisse kollektiver Identitäten, die auf überörtlicher Ebene in Beziehung zueinander treten und agieren, wodurch die Halbinsel praktisch zu einem interdependenten politischen System wird (S. 241). Verbrechen, Verschwörungen, Aufstände und gescheiterte Auflehnungen verbinden die darin verwickelten «letzten Guelfen». Von den Republiken und Fürstentümern Oberitaliens bis zum Königreich Neapel im Süden zeigt sich ein einheitliches Bild der italienischen Politik im 15. Jahrhundert.

In methodischer Hinsicht macht die Textanalyse des umfangreichen Briefmaterials auch eine menschliche Komponente deutlich, die jedoch in der ausschließlich quantitativ angelegten Netzwerkanalyse zumeist untergeht (eine individuelle Dimension, die eine Vielzahl vornehmlich auf flüchtigen Grundlagen wie der Freundschaft basierenden politischen Beziehungen kennzeichnet). Andererseits wird zur Vorsicht bei der Anwendung von Briefmaterial als Quellennachweis für eine Analyse der politischen Netzwerke ermahnt, da die Unvollständigkeit und Partialität der aus dem 15. Jahrhundert verfügbaren Korrespondenzen einer Rekonstruktion des Netzwerks nach streng wissenschaftlichen Vorgaben der Netzwerkanalyse entgegenstehen.

Gerade diese subjektive Dimension ermöglicht aber durch das aufmerksame Lesen der Briefe die Darlegung der politischen Alltagssprache im 15. Jahrhun- dert auf eindrucksvolle Weise. Eine Sprache, die nicht nur Adligen, Kaufleuten, Diplomaten, sondern ebenso Gastwirten, Kirchenmännern und Bürgern aller Stände eigen ist. Eine politische Alltagssprache, die die Autorin auf brillante Weise zu dokumentieren vermag, indem sie auf ein doppeltes Zitiersystem zurückgreift, wodurch die politische Sprache zwar in den Text integriert, aber von der direkten Rede der Protagonisten getrennt wird. In erzählerischer Hinsicht zweifelsohne ein gelungenes Experiment für den italienischen Leser, das es dem Nichtfachmann oder nicht des Italienischen fähigen Leser jedoch schwer macht, die feinen Nuancen zu erfassen.

Zudem wäre es vielleicht hilfreich gewesen, das von den Hauptfiguren für die jeweiligen Handlungen geknüpfte Beziehungsnetzwerk zumindest in räumlicher oder geopolitischer Hinsicht zu skizzieren, damit sich der Leser im verworrenen und engmaschigen Raster von Allianzen nicht verliert.

Wer sind also die Guelfen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts? Neben einer bürgerlichen Parteiung und einem überregionalen Beziehungsnetzwerk sind sie vor allem eine durch die Erbschaft der Vergangenheit begründete politische Identität. Sie haben bereits eines ihrer ursprünglichen Merkmale, nämlich die Treue zum Papst, verloren. Was die vier Protagonisten und generell das Guelfentum im späten 15. Jahrhundert verbindet, ist vielmehr das Verbundensein mit Framkreich, das Herbeisehnen eines neuen Karls des Großen.

Und was stellen die Parteiungen der Guelfen und Ghibellinen hingegen konkret und politisch funktional betrachtet dar? Innerhalb der Städte waren die Parteien nicht nur ein Element der Instabilität, sondern sie hatten eine aktive Rolle genauso wie die politischen Parteien heutzutage: Sie waren Organisationen, die den eigenen Mitgliedern den Zugang zu Regierungsämtern ermöglichten und in gewissen politischen Fragen einen Konsens bildeten (S. 232). Sie waren Mittelsmänner in der Beziehungen zwischen Regierten und Regierenden, sie konnten die Begeisterung für eine Sache auf den generellen politischen Diskurs fokussieren, sie regelten jenes spoils system, das im Italien des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts die politischen Systeme kennzeichnete.

Zwischen dem Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit sind die Parteien und Parteiungen also keineswegs «Relikte» der mittelalterlichen Politik, sondern sie spielen auch weiterhin in der italienischen Politik eine bedeutende Rolle. In der im Buch gezeichneten Parabel sind es vielmehr die italienischen Kriege, die diesen politischen Raum grundlegend erschüttern und das Ende des Guelfentums besiegeln. Mit der Machtübernahme durch die europäischen Großmächte erscheinen die Parteiungen schließlich vollends ungeeignet, auf dem Gesamtterritorium der Halbinsel zu agieren. Und auch die Unterscheidung und Bezeichnung Guelfen/Ghibellinen verblassen zunehmend, um schließlich ganz aus der Alltagssprache zu verschwinden. Dies auch deshalb, weil die im 16. Jahrhundert sich konsolidierenden Patriziate – und die Begründung des modernen Staates – die vertikalen Verbindungen der Parteien zugunsten der horizontalen Beziehungen zwischen den Ständen zusehends lösen, und dadurch einige Gesellschaftsgruppen aus dem politischen Handeln ausgeschlossen werden.

Die komplexe Überlagerung zwischen Parteiidentität, Ständezugehörigkeit und Erbschaft läßt das gezeichnete politische und institutionelle Bild des späten 15. Jahrhunderts weitaus differenzierter erscheinen als dies in der Geschichtsschreibung generell üblich ist und regt letztlich zum Reflektieren über die Komplexität (und Unvorhersehbarkeit, zumindest für die externen Beobachter) der italienischen Politik in einer langfristigeren Perspektive an.

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