Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

39, 2013/2

Fulvio De Giorgi

Mons. Montini

Review by: Andrea Dessardo

Authors: Fulvio De Giorgi
Title: Mons. Montini. Chiesa cattolica e scontri di civiltà nella prima metà del Novecento
Place: Bologna
Publisher: Il Mulino
Year: 2012
ISBN: 978-88-15-23450-6

Reviewer Andrea Dessardo

Citation
A. Dessardo, review of Fulvio De Giorgi, Mons. Montini. Chiesa cattolica e scontri di civiltà nella prima metà del Novecento, Bologna, Il Mulino, 2012, in: ARO, 39, 2013, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2013/2/mons-montini-chiesa-cattolica-e-scontr-andrea-dessardo/

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Auch wenn es an Arbeiten über ihn nicht mangelt, so ist Papst Paul VI. in der allgemeinen Erinnerung eher wenig präsent, da er zwischen zwei Persönlichkeiten von großer Tragweite und Beliebtheit, Johannes XXIII. und Johannes Paul II., wirkte. Etwas mehr Beachtung verdient jedoch die Tatsache, dass das historische Profil von Paul VI. auch in Bezug auf seine kulturelle Wirkung unterschätzt sein mag, obwohl dies sein proprium war. Gerade er leistete wohl den «größten und wichtigsten intellektuellen Beitrag zum christlichen 20. Jahrhundert». Von diesem Blickwinkel aus versucht das Buch von Fulvio De Giorgi die Figur des Papstes zu beleuchten, indem er dessen Tiefgründigkeit und kulturelle Orientierung herausarbeitet, die ihn zu einer konstanten Präsenz im italienischen Katholizismus werden ließen und ihm später sogar weltweite Aufmerksamkeit verschafften.

Hauptdarsteller des Buches ist nicht Paul VI., sondern eher Giovanni Battista Montini, wie der Titel erklärt, von den Jahren seiner Brescianer Kindheit bis zur Ernennung auf die Cathedra von St. Ambrogio, mit einer Konzentration auf die langen in Rom verbrachten Jahre. Es handelt sich auch nicht um eine retrospektive Biographie des Papstes: Msgr. Montini wird wohl als Protagonist behandelt, aber eingefügt in ein soziales und kulturelles Panorama der katholischen Welt seiner Zeit als Motivator, Berater, Vordenker oder manchmal auch nur Beobachter des kirchlichen Panoramas – der universellen Kirche und mancher ihrer Tendenzen – als Exponent einer für den Wandel sensiblen Elite. So entsteht – wie der Autor selbst zugibt – eher ein sehr detailreiches Gruppenfoto. Der rote Faden und die Zielneigung der Studie von De Giorgi sind das Konzept der «Zivilität der Liebe», das Msgr. Montini zu Lebzeiten persönlich, kraft der von ihm eingenommenen Ämter entwickelte; es sind die Momente von Dialog oder Konflikt zwischen Kirche und Welt, in der Zeit von zwei Weltkriegen und zwanzig Jahren Diktatur. De Giorgi stellt fünf Phasen heraus, jede von etwa einem Jahrzehnt Dauer, nach denen er sein Buch gliedert. Jedes Kapitel stellt daher explizit das Problem der Kirche und der «Kultur» heraus; handelte es sich um die «katholische» des späten 19. Jahrhunderts, beherrscht von einem Nachhutgefecht mit dem Positivismus und dem irrationalen Nihilismus, den Giovanni Battista Montini aus dem häuslichen Umfeld kannte – sein Vater Giorgio, Anführer der Brescianer Katholiken, war Mitgründer und Abgeordneter der Partito Popolare –, um jene der «Demokratien» während der Krise des großen Krieges, oder die faschistische und nationalsozialistische. Philippe Chenaux beschreibt das Erbe Montinis für den italienischen Katholizismus in «Cristiani d’Italia»: «Mehr als eine Geistesströmung im wahren Sinne des Wortes wäre es treffender, den montinismo als eine von einer gewissen Anzahl katholischer Intellektuellen geteilte Empfindung zu definieren, charakterisiert durch eine Öffnung hin zur Moderne und ihren Herausforderungen und ausgerichtet auf die Umsetzung einer neuen christlichen Synthese im intellektuellen, kulturellen und politischen Leben».

Die ersten fünfzig Jahre des 20. Jahrhunderts sind nicht nur für das politische Leben Italiens und Europas ausschlaggebend, sondern – in einem Wechselspiel gegenseitiger Nachahmungen – auch für den Prozess der Neupositionierung der Kirche in der Welt. Die Entwicklung beginnt mit der antimodernistischen Reaktion von Pius X., gefolgt von der Zeit Leos XIII. und der Rerum novarum, bis hin zum Konzil dessen Autor selbst Paul VI. war. Das Laientum ging vom non expedit in der Politik – die jedoch aufgewogen wurde dank einer gesellschaftlich weit verbreiteten Präsenz der drei Unionen «popolare», «elettorale» und «economica» und der allgemeinen Geisteshaltung sowie der Arbeit von Giuseppe Toniolo, der eine Synthese zwischen den Werken der sozialen Erziehung und der Notwendigkeit einer politischen Union schaffte – zu dem über, was De Giorgi effizient als «eine Art katholische Kühnheit» bezeichnet, an der auch der junge Don Battista nach dem Ersten Weltkrieg teilnahm. In einem erschöpften und politisch immer orientierungsloserem Land hatten sich der italienischen Kirche Aussichten auf eine Vorreiterrolle eröffnet, die bis dahin verschlossen gewesen waren. Diese führten zur «Entfaltung eines jungen und proaktiven Katholizismus»: In dieser Zeit wurde die Partito Popolare ins Leben gerufen, Armida Barelli gründete die Gioventù Femminile Cattolica (die katholische Frauenjugend) und Padre Agostino Gemelli, dessen enger Mitarbeiter Barelli war, gründete die Università del Sacro Cuore. Damit gelangte man zur Phase der «autoritären Modernisierung der Kirche, parallel, zeitgleich und als Alternative zu dem, was im italienischen Staat mit dem faschistischen Regime geschah», von Pius XI. zur christlichen Rückeroberung der Gesellschaft gefördert: Mittel zur Umsetzung dieses Plans waren das «Massenaufgebot» der Azione Cattolica und das von den religiösen Kongregationen «gut geführte Fußvolk», jedoch auch die Reform der Seminare und der theologischen Studien. Dieser Operation lagen die Konkordate zugrunde, sowie die Entverantwortlichung der Laien, die nach dem Zusammenstoß mit dem Regime im Jahr 1931 unter die Aufsicht und strenge Überwachung der kirchlichen Autoritäten gestellt wurden. Den Preis für diesen Moment der Krise musste auch Msgr. Montini bezahlen, der 1933 gezwungen wurde, vom Posten des nationalen Assistenten Federazione universitaria cattolica italiana (Fuci) zurückzutreten. Paul VI. erscheint somit, gerade weil er ein Intellektueller war, wie ein ziviler Papst, wie auch der von ihm gewählte Name mit seinem Verweis auf den Apostel des Volkes, den Verkünder des Evangeliums in partibus infidelim, bezeugt.

«Der Christus totus war die glaubwürdigste Antwort auf den Totalitarismus» kommentiert De Giorgi (S. 156) und illustriert dabei, wie die Überzeugungen des künftigen Papstes reiften: «Indem er die Politik … vom Horizont des Christentums entfernte, beseitigte er auch jegliche Versuchung, sich in den Faschismus zu integrieren oder einer Katholisierung des Regimes» (S. 161) erklärt der Autor. Er macht so nur wenige Andeutungen zur Versöhnung von 1929 (die Lateranverträge), obwohl dies mit der wichtigste Programmpunkt von Pius XI. war, und beschäftigt sich andererseits ausführlich mit der großen Anzahl an Initiativen, an denen der Geistliche beteiligt war, unter diesen die Verlagshäuser «Morcelliana» und «Studium». Hier begann er, der Anmaßung des faschistischen «Übermenschentums» die «Überlegene Menschheit» entgegenzusetzen; dies sind die Jahre in denen er sich den Denkrichtungen von Maritain und Blondel annähert. «Montini scheint zu verschwinden …, weil seine Arbeit im Staatssekretariat sein Denken, sein Handeln und sogar seine Schreibtätigkeit von seinen Vorgesetzten und insbesondere vom Papst» überlagert und in Anspruch genommen werden (S. 177), schreibt De Giorgi und scheint andeuten zu wollen, dass durch die Reglementierung der Azione Cattolica der Laienstand zum Schweigen gebracht wurde, so wie es Msgr. Montini in dem Jahrzehnt zwischen 1933-35 und 1943-45 geschah. Tatsächlich stehen wir jedoch vor einer Wende. In dieser Phase der Stille und Distanz von einer Politik, die den tieferen Sinn von «Zivilisiertheit» verloren hatte, entdeckte Msgr. Giovanni Battista Montini seine Wurzeln im Volk wieder, freundete sich mit Alcide De Gasperi an und bereitete somit in gewisser Weise die Nachkriegszeit vor. In dieser Zeit also entwickelte er die Ideen, die sein Mailänder Episkopat und danach sein Papsttum inspirieren sollten. Das Ende des Zweiten Weltkrieges entfesselt – auf eine ganz andere Weise als das Ende des Ersten – neue katholische Energien, just die am stärksten vom Faschismus verdunkelten, die nun die Spitzen des Staates und der katholischen Welt erobern können: und es handelt sich zum größten Teil um Männer die aufgrund ihres Alters, ihrer Ausbildung und von Freundschaftsbeziehungen Msgr. Montini nahestanden. Geprägt von französischer Philosophie und nouvelle théologie sowie von vielen neuen pastoralen Praktiken, die in diesen Jahren von jenseits der Alpen kamen, und einem klerikalen Geltungsdrang abgeneigt, der wenig Respekt für demokratische Prozesse hatte, bildeten sie die Basis für die Wiedergeburt der Demokratie und für die Reform der Kirche, um erneut in den frühen fünfziger Jahren die letzten Rückschläge einzustecken: genauso wie die Azione Cattolica von den Krisen 1952 und 1954 betroffen war, wurde auch Msgr. Montini aus Rom entfernt; am 3. November 1954 wurde seine Ernennung zum Erzbischof von Mailand mitgeteilt. Die Hintergründe dieser Entscheidung sind noch nicht geklärt (es heißt, Schuld sei die Krise «Rossi» in der Azione Cattolica, seine Nähe zu Mitgliedern mit wenig Begeisterung für die Methoden von Luigi Gedda, andere sprechen von Kontakten zum sowjetischen Osten). Sicher ist auf jeden Fall, dass Montini dadurch die Möglichkeit bekam, seine pastorale Praxis zu verfeinern und sein intellektuelles Profil zu vertiefen, um später die überwältigenden Initiativen von Johannes XXIII. anzugehen.

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