Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

39, 2013/2

Enrico Galavotti

Il Professorino

Review by: Paolo Pombeni

Authors: Enrico Galavotti
Title: Il Professorino. Giuseppe Dossetti tra crisi del fascismo e costruzione della democrazia 1940-1948
Place: Bologna
Publisher: Il Mulino
Year: 2013
ISBN: 978-88-15-24452-9

Reviewer Paolo Pombeni - già Università di Bologna

Citation
P. Pombeni, review of Enrico Galavotti, Il Professorino. Giuseppe Dossetti tra crisi del fascismo e costruzione della democrazia 1940-1948, Bologna, Il Mulino, 2013, in: ARO, 39, 2013, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2013/2/il-professorino-giuseppe-dossetti-tra-c-paolo-pombeni/

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Vor vielen Jahren bereits hat Enrico Galavotti ein großes Forschungsprojekt begonnen, welches sich die Rekonstruktion der Biographie von Giuseppe Dossetti zum Ziel gesetzt hat. Er war eine der komplexesten Persönlichkeiten der italienischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. In ihm waren eine starke religiös-spirituelle Dimension und die genauso bemerkenswerte Fähigkeit, in den politischen sowie kirchlichen Institutionen Italiens Präsenz zu zeigen, vereint. Als Dozent für kanonisches und Kirchenrecht, Spitzenvertreter der Democrazia Cristiana von 1945-1951 (er war Mitglied der verfassungsgebenden Versammlung und zwei Mal Vizesekretär der Partei), Gründer eines Instituts für Religionswissenschaft, einflussreiche Persönlichkeit hinter den Kulissen des Zweiten Vatikanischen Konzils nach seiner Priesterweihe im Jahr 1959, Gründer einer Klostergemeinschaft und bis zu seinem Tode im Jahr 1996 als scharfsinniger Kritiker der Kirche und der italienischen Politik, ist Dossetti bereits das Objekt von Studien verschiedener Richtungen gewesen.

Im Jahr 2006 hatte Galavotti bereits die ersten Ergebnisse seiner Arbeit in einem Band, in welchem er den ersten Lebensabschnitt seines Forschungsobjekts rekonstruierte, publiziert (Il Giovane Dossetti. Gli anni della formazione, 1913-1939, Bologna, il Mulino). Bereits hier hat er die Gründlichkeit und Weite seiner Arbeit mit einer Akribie bei der Aufspürung von möglichst allen Quellen unter Beweis gestellt, die jeden Leser beeindruckte, vor allem unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten, Material für die ersten Lebens- und Bildungsphasen von jedweder Persönlichkeit zu beschaffen.

Im nun vorliegenden Band, welcher sich einem bekannteren und besser erforschten Zeitabschnitt widmet (wohingegen die Jugend zum großen Teil bis dato eher oberflächlich behandelt worden war), hat Galavotti erneut auf bewundernswerte Weise sein Talent als gründlicher Forscher bestätigt. Die Menge des ermittelten Materials, die Menge der konsultierten Archive und verwendeten Literatur, die Umsicht beim Berücksichtigen auch des kleinsten und zufälligsten Eingriffs, sind wirklich beeindruckend und führen zu einer Arbeit, die für jeden, der sich mit dem Thema befassen möchte, zentral bleiben wird.

Fast neunhundert Seiten für einen Zeitraum von nicht einmal 10 Jahren machen aus dieser Arbeit natürlich auch eine große dokumentarische Sammlung, was manchmal den Lesespaß trübt, besonders wenn man bedenkt, dass mehr als ein Drittel des Buches aus Fußnoten (in der wie üblich verringerten Schriftgröße) besteht, die über die üblichen bibliographischen Verweise hinaus zusätzlich zu den im Text enthaltenen Zitaten umfangreiche Auszüge aus Dokumente enthalten.

Diese Vollständigkeit an wirklich relevanter Dokumentation wird es allen interessierten Forschern erlauben, sich ein eigenes Bild über die historische Tragweite dieser Persönlichkeit zu machen, die in dem untersuchten Zeitraum im wesentlichen an drei grundlegenden historischen Prozessen gemessen wird: Dem Krieg und der Resistenza gegen den Nazifaschismus; dem Aufstieg der katholischen Partei zur vorherrschenden Kraft in der italienischen Politiklandschaft; der Beteiligung an der verfassungsgebenden Versammlung und der zentralen Rolle, die Dossetti bei der Ausarbeitung der Verfassung der Italienischen Republik spielte.

All diese Aspekte sind jedoch mit der religiösen Bestimmung unseres Hauptdarstellers verknüpft, und es ist ein Verdienst dieses Buches, dies kontinuierlich hervorzuheben: Eine friedlose Dimension, die in einer vollständigen Konsekration an Gott außerhalb jedweder Zugehörigkeit an die traditionellen religiösen Orden der katholischen Kirche von einem fast obsessiven «Holocaust an sich selbst» bestimmt ist.

Es ist nicht leicht, diese verschlungene Handlung zu lesen, die wahrscheinlich der Schlüssel zum Verständnis eines verschlungenen Lebensweges ist, da Dossetti gleichzeitig ein Gelehrter und ein «politischer Architekt» war, der sein Engagement mit dem konstanten Gedanken überlagert, wie sehr das, was er tut, seiner höheren Berufung angemessen ist, und dem typischen Impetus des Mystikers sich «hintanzusetzen» und sich selbst daran zu erinnern, dass er in letzter Konsequenz nach dem evangelischen Bild ein «unnützer Diener» ist.

Natürlich ist es eine große Herausforderung, dieses Gewebe in Worte zu fassen, und Galavotti hat bewusst einen Weg gewählt, der eine Diskussion auslösen kann: fast bis auf Seite 837 wählt er die Linie einer minutiösen Rekonstruktion, die alle verfügbaren Texte Dossettis soweit es geht zu Wort kommen lässt (und es sind wirklich viele): ausgedehnte Zitate und eine Mindestauslegung; auf den letzten vierzig Seiten widmet er sich schließlich einer Gesamtinterpretation, die weitgehend auf der Selbstbewertung Dossettis dieser Jahre gründet, die dieser in seinen letzten fünfzehn Lebensjahren gab.

Das reich zugängliche Quellenmaterial ermöglicht eine recht präzise Rekonstruktion der intellektuellen Entwicklung und der historischen Ereignisse, die das religiöse und menschliche Abenteuer des Führers des Comitato di Liberazione Nazionale von Reggio Emilia auszeichneten: er war ganz typisch für das 20. Jahrhundert ein «engagierter» Intellektueller. Hiervon zeugt auch sein Beiname «professorino», den er aufgrund seines geringen Alters (33 Jahre) und des gerade erlangten Lehrstuhls bei den Arbeiten in der verfassungsgebenden Versammlung bekam, besiegelt aber wurde er von der Autorität, mit der er vor einer Versammlung sprach, in der die anderen Führungspersönlichkeiten schon ganz anderes erlebt hatten.

Angereichert durch viele neue Daten bestätigt das vorgelegte Material einige Intuitionen zu dieser Erfahrung: das zentrale Thema, das Dosettis Leidenschaft – im authentischsten Sinne des Wortes – entfachte, war das Problem des Verhältnisses zwischen dem Gläubigen, dem eine Offenbarung zuteilgeworden ist, und der Verantwortung, die ihn dazu verpflichtete, den historischen Ablauf in dem er sich befindet, von Grund auf zu verstehen. Tatsächlich steht dies auch, ganz typisch für solche Erfahrungen, im Konflikt mit der anderen Berufung, die sich dem Mann stellt, der ein Gelübde ablegt: die Bezeugung einer Andersartigkeit zur «Welt» in dieser Form der spirituellen Wiederbelebung.

Natürlich ist es für den Leser genauso schwierig wie für den Autor des Buches, den Verwicklungen dieser Dimensionen schlicht anhand aufeinanderfolgender Texte und der Widergabe der Ereignisse zu folgen, jedoch liegt der Reiz dieser Seiten genau hierin. Nicht in allen Zeitabschnitten sind die Schwierigkeit gleich. Die Phase der Beteiligung an der Resistenza ist beispielsweise, meines Erachtens nach, eher geradlinig: hier lassen die Dramatik der Ereignisse zusammen mit der objektiven Verschmelzung der Selbstaufopferung in der religiösen sowie zivilpolitischen Bezeugung die Darstellung zu einer unkomplizierteren Lektüre werden.

In dem Moment jedoch, in dem Dossetti sich mit dem Thema des «Wiederaufbaus» des Landes und seines sozialen Kontextes herausgefordert sah, neigen die Fäden seiner Erfahrungen dazu sich zu verwickeln. Einerseits sah er sich mit dem konfrontiert, was ihm die historische Aufgabe des sich nach der Krise der Moderne geformten Christen schien, wie dies bereits Maritain, aber eben nicht nur dieser, geahnt hatte: dem Aufbau einer neuen Form von Gesellschaft und Staat, wo der religiöse Bruch der Aufklärung überwunden war (diese setzte Dossetti vorschnell und nicht korrekt mit dem Liberalismus gleich). Ein schwieriges Terrain, da auch Pius XII., von einer anderen Warte aus, in dieser Krise eine wunderbare Gelegenheit für die katholische Hierarchie sah, die Zügel der Welt, die diesen Zusammenbruch überlebt hatte, in die Hand zu nehmen.

Auf der anderen Seite entfernten sich der professorino und seine Freunde (denen, mit der teilweisen Ausnahme von Lazzati, eher wenig Platz eingeräumt wird) von der Seite einer schlichten Lektüre dieser Krise, also von der Überzeugung, diese habe sic und simpliciter dem traditionellen Katholizismus wieder zum Erfolg verholfen, der aus den trüben Zeiten zwischen dem neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert mit gebrochenem Rückgrat hervorgegangen schien. Wie 1951 ein laizistischer Journalist (Enzo Forcella), der ein gutes Verhältnis zu dieser Gruppe gehabt hatte, am Ende der Erfahrung mit dem Dossettissmus schrieb, war es die Erforschung dieser «neuen Himmel und Welten», die die politische Erfahrung der Phase 1946-1948 mit ihren drei Hauptthemen antrieb: die Verpflichtung, jene «Verfassung» als Verkörperung der neuen historischen Zeit zu schreiben, in welcher der religiöse Geist (und sicherlich nicht der Konfessionalismus) als Antriebskraft des Übergangs dienen konnte; die Suche nach einem sozialpädagogischen Instrument, welches die Gesellschaft auf die neuen Zeiten vorbereiten könnte, sei es bei der Herausbildung von Eliten, sei es bei der Erziehung der Massen (und man glaubte, dies könne die politische Partei sein); die Suche nach einer «Demokratie», die über die traditionellen prozessualen und formalen Aspekte hinaus «substantiell» werden würde oder – wie es damals hieß – «integral».

Galavotti liefert überreiches Material, um diese verschlungenen Pfade nachzugehen, unterlässt es aber auch nicht, diese bei gleichzeitiger rigoroser Verfolgung der Chronologie beständig durch öffentliche oder persönliche Reflexionen Dossettis zu religiösen Angelegenheiten, von denen Dossetti niemals abließ, anzureichern.

Wie bereits erwähnt, führt dies zu nicht geringen Interpretationsproblemen. Hier sei eines erwähnt: Dossettis Verhältnis zum Heiligen Stuhl während der Arbeiten an der Verfassung, im Licht neuer, heute zugänglicher Quellen. Wir wissen heute, dass die Spitzen des Vatikan, der Papst, das vatikanische Staatssekretariat und die Jesuiten um die Zeitschrift «Civiltà Cattolica» ein mehr als aufdringliches Auftreten hatten und hofften, dass ein Wahlsieg der katholischen Partei in Kombination mit den antikommunistischen Ängsten zu einer stark von der klerikalen Tradition geprägten Verfassung führen würde. Dosetti setzte sich diesen Kräften nicht entgegen, sondern hielt, wie die Dokumente zu bestätigen scheinen, einen konstanten Dialog mit ihnen aufrecht und hatte ein offenes Ohr für ihre Vorschläge und Befürchtungen.

Galavotti tendiert zur Interpretation, dass Dossetti so handelte, da er einerseits der Meinung war, dass dies der Gehorsamspflicht eines Katholiken entspräche, andererseits da er die neue Verfassung und insbesondere die neugeborene Demokratie vor einem Konflikt mit dem Vatikan schützen wollte, der fatal gewesen wäre. Dem ist sicherlich so und dies war, wenn auch unter ganz anderen Umständen, auch die Sorge von De Gasperi. Es scheint mir allerdings, als sei der «Gehorsam» Dossettis in Wahrheit – man erlaube mir dieses Wort – revolutionär. Wie es im Katholizismus üblich war (und so in der Tat in allen totalitären Systemen), verzichtete derjenige, der gehorchte, ganz und gar nicht darauf, nach seinen Überzeugungen zu handeln: Er übernahm schlicht die ri- tuellen Bezüge, die ihm von seinen «Vorgesetzten» auferlegt wurden, um diese nach seinen Zielvorstellungen zu verwenden.

In der Geschichte der Kirche finden sich zahllose Beispiele für solche Techniken und Dossetti bewegte sich mit der ihm angeborenen Bravour des Juristen und des Propheten zugleich auf dieser Linie.

Am Ende stellt sich bei dem Schlusskapitel Galavottis die Frage, ob es nützlich ist, den Dossetti dieser Epoche im Lichte der später von ihm selbst zu dieser Lebensphase gegebenen Interpretation zu interpretieren. Die Antwort ist nicht leicht. Bezüglich der religiösen Erfahrung Dossettis ist der Pfad glaubwürdig, allerdings immer mit einer gewissen Vorsicht, da eine Linearität, die sich im Nachhinein zeigt, nicht immer vorausgesetzt werden kann. Bezüglich seiner politischen und zivilen Präsenz hingegen ist die Frage deutlich komplizierter, da das Urteil über eine Vielzahl von Begebenheiten und innerer Phasen zu geben ist, die nicht nur im Lichte der Kohärenz Dossettis, sondern auch in Beziehung zu dem, was eine kontextualisierte Lektüre der historischen Ereignisse in Zusammenhang mit einer Bewertung der darauffolgenden Entwicklung zutage fördert, zu sehen sind.

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