Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

38, 2012/2

Alessandra Tarquini

Storia della cultura fascista

Review by: Maurizio Cau

Authors: Alessandra Tarquini
Title: Storia della cultura fascista
Place: Bologna
Publisher: Il Mulino
Year: 2011
ISBN: 978-88-15-14958-9

Reviewer Maurizio Cau - FBK-ISIG

Citation
M. Cau, review of Alessandra Tarquini, Storia della cultura fascista, Bologna, Il Mulino, 2011, in: ARO, 38, 2012, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2012/2/storia-della-cultura-fascista-maurizio-cau/

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In den letzten Jahrzehnten hat die Historiographie zum Faschismus bekanntermaßen eine bedeutsame Entwicklung genommen. Nach jahrzehntelangen Forschungen, die darauf abzielten, die These einer substantiellen kulturellen Eigenheit des italienischen totalitären Systems zu falsifizieren, erkennt man zunehmend an, dass es eine solche authentische «faschistische Kultur» gegeben hat, wenn auch in komplexen und vielschichtigen Zusammenhängen.

Unter intensivem Bezug auf die aktuellsten Forschungsergebnisse rekonstruiert der Band von Alessandra Tarquini – die schon eine Monographie zu den gentilianischen und antigentilianischen Strömungen des Regimes vorgelegt hat – die Rahmenbedingungen der Welt der faschistischen Kultur. Dabei gibt sie dem Leser ein stringentes und komplettes Kompendium der unterschiedlichen Phänomene an die Hand, die dazu beigetragen haben, den kulturellen Horizont des Regimes Mussolini zu definieren. Zu diesem Zweck führt die Autorin eine Unterscheidung zwischen der «Kulturpolitik» der faschistischen Partei und den «Ausdrucksformen des Wissens», mit denen Intellektuelle und Künstler ihren eigenen Beitrag zum Faschismus und jener ‘Ideologie’ leisteten, welche die Schaffung jener politischen Mythen beförderte, auf deren Basis das Regime fußte.

Bevor sie im Einzelnen die Inhalte der faschistischen Kultur analysiert, zeichnet Tarquini die historiographische Debatte von 1945 bis heute nach, die sich an den Eigenheiten der faschistischen Kulturpropaganda rieb und dies dabei oft negierte. Der im Kern absolvierende Charakter der von Benedetto Croce vertretenen parenthetischen Literatur, die den Faschismus für eine Art Manifestation der moralischen Krankheit irrationaler Prägung der zeitgenössischen europäischen Kultur hielt, ist in einem Gutteil der Interpretationen der Nachkriegshistoriographie präsent. Von Norberto Bobbio zu Eugenio Garin, von Carlo Bo zu Alberto Asor Rosa wurde, wenn auch aus verschiedenen Blickwinkeln und Idealvorstellungen, die eine grundsätzliche Uneinheitlichkeit des Faschismus als Kultur eingefordert. Die Mediokrität der faschistischen kulturellen und intellektuellen Produktion aufzudecken, war für Jahrzehnte ein Anteil des Prozesses der «Defaschistisierung» der faschistischen Epoche, die lange die schwierige historische Aufarbeitung der italienischen Version des Totalitarismus begleitet hat. So schrieb Mario Isnenghi im Jahr 1979: «ganze Generationen post-faschistischer Intellektueller haben versucht das Problem ihres Verhältnisses zur Vergangenheit einfach dadurch zu lösen, dass sie dem Faschismus jegliche kulturelle Substanz absprachen. Daraus entstand ein Bild eines faschistischen Italiens als einer leeren Kirche ohne Religion und ohne Gläubige, deren falsche Priester nur durch Spielarten einer widerlichen und kurzatmigen Demagogie Verbindungen zum Volk zu etablieren vermochten» (M. Isnenghi, Intellettuali militanti e intellettuali funzionari, Torino 1979, p. 4).

Im Fahrwasser des beginnenden Niedergangs des marxistischen historiographischen Paradigmas begann man seit den 70er Jahren mehrheitlich, das kulturelle Universum des Faschismus ernster zu nehmen. Durch die Arbeiten George Mosses angeregt, stellten jüngere Studien die politische Kultur des Faschismus in ein anderes Licht. Durch eine Ausweitung des Blickwinkels der Forschung, die insbesondere den cultural studies geöffnet wurde, konnte man die Prozesse der Etablierung und Verbreitung einer «Herrschaftskultur» besser fassen. Besonders die Arbeiten Emilio Gentiles zur Ästhetisierung der faschistischen Politik und zur Politisierung der Ästhetik des Regimes haben es den Studien zum italienischen Totalitarismus ermöglicht, sich gut zu entwickeln.

In den Bahnen dieser historiographischen Entwicklungen ruft Tarquini die Hauptelemente der zwanzigjährigen faschistischen Kultur in Erinnerung, beginnend mit der Ausarbeitung einer Bildungspolitik und der Schaffung einer Herrschaftskultur, die für lange Zeit in Giovanni Gentile den wichtigsten Akteur sah. Die Gründung zahlreicher kultureller Institutionen, der in den zwanziger Jahren begonnene Prozess der faschistischen Infiltration der Schule und der Freizeitorganisation werden so als ein erster Ausdruck einer kulturellen Mobilisierung durch den Faschismus verstanden.

Im Verlauf der ersten Jahre des faschistischen Experiments verweigerten die – in Revisionisten, intransingente Faschisten und Gentilianer aufgespaltenen – Intellektuellen nicht, ihren Beitrag zu leisten. Ein Wettstreit wie jener zwischen Gebildeten wie Bottai, Gentile oder Malaparte bezeugt gut, welchen Beitrag die Intellektuellen, vereint im Streben nach Mobilisierung für die faschistische Revolution, zur Konstruktion des intellektuellen Universums des Regimes leisteten. Tarquini unterstreicht: «In allen Sektoren, innerhalb verschiedenster kultureller Gegebenheiten, mit den unterschiedlichsten Lebenswegen, trugen die Künstler und Intellektuellen Italiens in der Mehrheit zum kulturellen Ausdruck des Faschismus und des Aufbaus eines totalitären Regimes bei: Sie boten also willfährig ihr Wissen, ihr Talent und ihre Energie der politischen Sache an, um zu erklären, dass ihre Disziplinen keinerlei Autonomie zu verteidigen hatten, sondern stattdessen gerne die Inhalte des totalitären Regimes annahmen» (S. 225).

Die Untersuchung der Mythen, auf denen die faschistische Ideologie erbaut wurde, beweist ferner, welch große Faszination das Modell Mussolinis auf die Intellektuellen Italiens ausübte. Der Beitrag von Bottai zur Erschaffung des lebendigen Mythos des Duce, das intensive Engagement von Rocco, Gentile, Panunzio und Costamagna für die Erbauung des Mythos’ Staat, und zudem der Enthusiasmus, mit dem ein Teil der italienischen Intelligenz an der Schaffung des symbolischen Mythos des faschistischen Römertums teilhatte, können die aktive Rolle des kulturellen Milieus Italiens beim Aufbau einer totalitären Pädagogik und der folglichen Existenz einer eigenen faschistischen Kultur nur bestätigen.

Das Feld der Literatur, Philosophie und Kunst erfuhr innerhalb der zwanzig Jahre deutliche Entwicklungen, die dem kulturellen Universum des Faschismus eine noch fragmentiertere Einheit gaben. Das kulturelle Panorama des Regimes in den 30er Jahren war in der Tat von dem Gegenüber antagonistischer Gruppen von Intellektuellen sowie entgegen gesetzten künstlerischen und ideellen Ausrichtungen geprägt. Wie Tarquinis Studie zeigt, beweist dies nicht eine Undurchlässigkeit der intellektuellen Kreise in Italien für die Verführungen des politischen, kulturellen und anthropologischen Projekts des Faschismus. Im Gegenteil bekräftigt sie die These von einem Bündnis zwischen Regime und Gruppen von Intellektuellen, denen es die Rolle von privilegierten Sprachrohren und wahrhaften ‘Beratern’ der totalitären Politik zugestand. Mit den Worten der Autorin anders ausgedrückt: «das, was die Menschen, Institutionen und Ideen des faschistischen Italiens vereinte, war bedeutsamer als das, was sie trennte, und dies bestimmte ihre politische und kulturelle Identität» (S. 9).

Die Kürze des Buches erlaubt selbstredend nicht, jeden Aspekt des Faschismus in Italien zu vertiefen. Trotz ihres kompendienartigen Charakters berührt die Arbeit von Tarquini in jeden Fall die hauptsächlichen kulturellen Ausdrucksformen des totalitär geprägten Regimes Mussolinis. Mit eindrücklicher Geradlinigkeit zeichnet die Autorin das in vielen Aspekten chaotische und inkohärente Panorama einer Epoche der Geschichte Italiens, mit der sich die italienische Geschichtswissenschaft – wenn auch mit singulärer Verspätung, endlich auseinanderzusetzen scheint.

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