Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

36-37, 2010-2011/2

Guido Alfani

Il Grand Tour dei Cavalieri dell’Apocalisse

Review by: Massimo Rospocher

Authors: Guido Alfani
Title: Il Grand Tour dei Cavalieri dell’Apocalisse. L’Italia del «lungo Cinquecento» (1494-1629)
Place: Venezia
Publisher: Marsilio Editori
Year: 2010
ISBN: 978-88-317-0601-8

Reviewer Massimo Rospocher - FBK-ISIG

Citation
M. Rospocher, review of Guido Alfani, Il Grand Tour dei Cavalieri dell’Apocalisse. L’Italia del «lungo Cinquecento» (1494-1629), Venezia, Marsilio Editori, 2010, in: ARO, 36-37, 2010-2011, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2010-2011/2/il-grand-tour-dei-cavalieri-dellapocali-massimo-rospocher/

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«A peste, fame et bello, libera nos Domine» lautete eine Invokation, die während der Italienischen Kriege (1494-1559) auf der Halbinsel häufig erklang. Pest, Hunger und Krieg sind die drei «apokalyptischen Reiter» und die Protagonisten dieses Buches.

Der Band stellt die historiographische These in Frage, nach der das 16. Jahrhundert der Anfang vom Niedergang Italiens war. Eine These, die im wirtschafts- geschichtlichen Bereich maßgeblich von Carlo Maria Cipolla unterstützt wird. Er war der erste, der sich des suggestiven Bildes der Reiter der Apokalypse bediente, deren Einfall in die Halbinsel während der Italienischen Kriege eine Spur irreparabler Verwüstung hinter sich ließ. Das Wachstum in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war nach Cipolla nur ein «Nachsommer» für die Wirtschaft Nord- und Mittelitaliens, während die Grundlagen der strukturellen Krise, welche die italienische Wirtschaft im 17. Jahrhundert unabwendbar treffen sollte, bereits gelegt waren.

Die bekannteste entgegengesetzte Auslegung stammt von Fernand Braudel. Er schätze die Schäden der Italienischen Kriege als begrenzt ein und sah im Ende des 17. Jahrhunderts eine «Glanzzeit der italienischen Kultur».

Das Werk Alfanis hält es mit dieser historiographischer Auslegung. Die Schlüsselfrage, auf die er eine Antwort geben möchte, ist folgende: Hatte die grand tour der apokalyptischen Reiter im 16. Jahrhundert wirklich so verheerende Folgen für die italienische Wirtschaft? Diese Frage verneint der Autor nach einer Analyse der demographischen Entwicklung, die er als bevorzugtes Werkzeug zur Untersuchung der Auswirkungen der Katastrophen im makroökonomischen Bereich benutzt.

Die kirchlichen Taufregister sind die dokumentarische Grundlage, mit denen er die demographischen Dynamiken untersucht. Das Konzil von Trient hatte den Pfarrern auferlegt, Taufen und Hochzeiten zu registrieren; in Wirklichkeit handelte es sich dabei aber nur um eine Neuauflage und Verallgemeinerung von Praktiken, die in den Städten und auf dem Land schon seit dem 14. Jahrhundert weit verbreitet waren. Die Forschungsarbeit trägt dazu bei, einen historiographischen Gemeinplatz zu entzaubern: die Seltenheit solcher Quellen aus vor-tridentinischer Zeit und deren ausschließlichen Einsatz in städtischen Gebieten. Auf der Grundlage der Auswertung dieser Daten, erstellt Alfani «die bis heute umfangreichste Datenbank demographischer Daten aus dem Italien des 16. Jahrhunderts» (S. 24).

Dem ersten «Reiter», der die italienische Halbinsel heimsuchte, ist das erste Kapitel gewidmet: es war der Krieg, der das frühe 16. Jahrhundert in Italien konditionierte. Welche Schäden entstanden dem «Humankapital» und mit welchen Maßnahmen wurde auf das Kriegsgeschehen reagiert? Wer waren die Opfer der Italienischen Kriege?

Eine grundsätzliche Überlegung ist, dass Italien aufs lange gesehen die Sterblichkeitskrisen des 16. Jahrhunderts rasch ausglich. Durch die Umverteilung von Arbeitskräften aus einer Stadt in die andere, wie die Fallstudie der Emigration von Webern aus Ivrea nach Biella zeigt, das «dank» des Kriegs zum wichtigstes Textilindustrie-Zentrum der Gegend wurde. Die Versorgungseinrichtungen und das öffentliche Gesundheitswesen reagierten auf den Durchmarsch der apokalyptischen Reiter mit der Ausweisung der sogenannten «unnützen Mäuler» (Bettler, Hausierer, Vagabunden und entbehrliche Fremde): Sie waren die Hauptopfer der Italienischen Kriege.

Wer bezahlte die Italienkriege? Wurde Italien von den europäischen Staaten ausgeraubt, die den Krieg mit Plünderungen und in Italien erworbenen Reichtümern finanzierten? In Wirklichkeit waren die Feldzüge auf die Halbinsel für die Finanzen der beteiligten Staaten verheerend. Das Axiom Krieg-Krise und Friede-Entwicklung muss abgeschwächt werden: Viele der in loco zusammengetragenen Summen wurden tatsächlich über den «militärischen Markt» umverteilt, der die Bereicherung von ortsansässigen Bankiers, Händlern und Unternehmern begünstigte. Schlussfolgernd heißt das, dass Italien aus dem Konflikt nicht schwerer beschädigt als die anderen kriegführenden Staaten hervorging. Nach 1559 konnte es sich sogar im Gegensatz zum Rest Europas einer langen Friedensperiode erfreuen.

Die folgenden Kapitel (Kap. 2-3) sind einer Analyse der Folgen der Hungersnöte und Epidemien gewidmet. Alfani enthüllt das komplexe Zusammenspiel dieser Phänomene; und es ist so komplex, dass es sich nicht auf den Kausalzusammenhang reduzieren lässt, dass Krieg Hungersnöte hervorruft, die wiederum zu Epidemien führen. Häufig konnte es gerade umgekehrt sein. Die negativen Folgen der Geißeln des 16. Jahrhunderts können nach Meinung des Autors aus einer malthusschen Perspektive neu betrachtet werden. Hunger war beispielsweise oft das Ergebnis einer Phase ausgeprägten demographischen Wachstums und die Hungersnot führte zu einem Bevölkerungsausgleich.

Das vierte Kapitel zeigt wie «die Kriege, Hungersnöte und Epidemien des 16. Jahrhunderts die italienische Halbinsel nicht überall in gleichem Maße trafen» (S. 177). Sie hatten unterschiedliche für große oder kleine Städte, auf dem flachen Land oder im Gebirge, oder auf städtische und ländliche Gebiete. Zum Beispiel blieb das Königreich Neapel nach den französischen Feldzügen Ende des 15. Jahrhunderts Anfang des 16. von den Italienischen Kriegen weitgehend verschont. Hungersnöte hatten häufig eine regionale Tragweite: Auch die große Hungersnot Ende des 16. Jahrhunderts, welche die gesamte Halbinsel traf, machte sich in den Alpenregionen und auf dem Apennin weniger bemerkbar. Die Epidemien trafen begrenzte Gegenden: Die schreckliche Pest von San Carlo (1575-1577) traf die Städte und lediglich den Nordosten Italiens.

Dieses Kapitel zeigt, dass sich das Spiel auf verschiedenen Ebenen als methodisch günstige Wahl erweist, denn dieser Ansatz hat auch auf die Analyse deutliche Rückwirkungen: In der traditionellen Geschichtsschreibung zu den Italienischen Kriegen überwiegt ein ‘nationaler’ Blickwinkel nach risorgimentaler Vorlage, während «Italien» im 16. Jahrhundert kaum mehr als eine geographische Idee war. Hier lautet die Aufforderung, die Besonderheiten der einzelnen Territorien zu untersuchen. Dieser methodische Vorschlag macht deutlich, dass eine Analyse der Kriegsfolgen auf ‘nationaler’ Ebene anachronistisch und irreführend ist. Tatsächlich zeigt eine analytische Bewertung der von den Italienischen Kriegen verursachten Schäden, wie die verschiedenen lokalen Staatsgebilde, die Gemeinschaften und die Individuen ganz unterschiedlich vom Kriegsgeschehen betroffen waren.

Die Katastrophen trafen die Halbinsel nicht nur in territorialer Hinsicht ungleichmäßig, sondern auch in sozialer. Kriege, Hungersnöte und Epidemien trafen vor allem die Angehörigen der unteren sozioökonomischen Schichten, weswegen die Verluste a Humankapital geringer waren als die demographischen. Obwohl die Gesamtbilanz negativ war, kann man von «Siegern und Besiegten» sprechen, denn – abgesehen von der Zerstörung – setzte ein Mechanismus der Umverteilung von Reichtum und ökonomischen Gewinnen unter Staaten, Gemeinschaften und Individuen ein.

Im letzten Kapitel wird eine umfassende Interpretation vorgelegt, die die makroökonomischen Tendenzen und die Langzeitfolgen der schrecklichen Ereignisse des 16. Jahrhunderts analysiert. Die Schlussfolgerung ist – wie schon vorweggenommen –, dass die Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Demographie Italiens nicht so negativ waren, wie es aus der zeitgenössischen Berichterstattung – die häufig von der Woge der Emotionen des Moments getragen ist – und der traditionellen Geschichtsschreibung scheinen mag.

Eine weniger pessimistische Einschätzung der Krise am Ende des Jahrhunderts ermöglicht eine Neuinterpretation der alten Frage nach der «Krise des 17. Jahrhunderts». In offenem Widerspruch mit den Interpretationen der wichtigsten Wirtschaftshistoriker Italiens – nicht nur Cipolla sondern auch Ruggiero Romano –, die die warnenden Vorzeichen und die Ursachen für die Krise des 17. Jahrhunderts in der Vergangenheit suchten, schlägt Alfani vor, den Blick in die Zukunft zu richten. «Italien blickte mit einer gesunden und sehr fortschrittlichen Wirtschaft in die ersten Jahren des 17. Jahrhunderts» (S. 263), und die Pandemie von 1630 war der Hauptfaktor für den demographischen und wirtschaftlichen Niedergang, der das 17. Jahrhundert prägte. Der schwarze Tod ist die eigentliche Grenze zwischen dem langen 16. Jahrhundert in Italien, das 1629 seinen Höhepunkt erreichte, und dem kurzen 17., das am Ende desselben Jahres beginnt. Eine Lesart, die dazu auffordert, die gesamte Periodisierung der italienischen Geschichte neu zu überdenken.

Carlo Ginzburg hat (in einem Interview von Dino Messina für den «Corriere della Sera» am 31. Oktober 2010) behauptet, «dass die jungen italienischen Geisteswissenschaftler sich dabei schwertun, eine These zu vertreten (to make a point)», fast als ob eine solche Kühnheit nicht Teil der kulturellen und vor allem der akademischen Gewohnheiten in Italien sei. Dies ist sicherlich kein Mangel, den man dem Band von Alfani zuschreiben könnte, dem keineswegs der Mut fehlt, eine analytisch originelle Argumentation aufrecht zu halten, die auch noch in eindeutigem Widerspruch mit der herrschenden historiographischen Interpretation steht. Seine These wartet darauf, widerlegt oder gestützt zu werden, sobald neue Arbeiten über Mittel- und Süditalien einen umfassenderen Blick ermöglichen; sie wird auf jeden Fall ein wesentlicher Bezugspunkt in der historiographischen Debatte werden.

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