Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

36-37, 2010-2011/2

Alberto Mario Banti - Antonio Chiavistelli - Luca Mannori - Marco Meriggi (ed.)

Atlante culturale del Risorgimento

Review by: Christian Bonazza

Editors: Alberto Mario Banti - Antonio Chiavistelli - Luca Mannori - Marco Meriggi
Title: Atlante culturale del Risorgimento. Lessico del linguaggio politico dal Settecento all’Unità
Place: Roma - Bari
Publisher: Laterza
Year: 2011
ISBN: 978-88-420-9589-7

Reviewer Christian Bonazza

Citation
C. Bonazza, review of Alberto Mario Banti - Antonio Chiavistelli - Luca Mannori - Marco Meriggi (ed.), Atlante culturale del Risorgimento. Lessico del linguaggio politico dal Settecento all’Unità, Roma - Bari, Laterza, 2011, in: ARO, 36-37, 2010-2011, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2010-2011/2/atlante-culturale-del-risorgimento-less-christian-bonazza/

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Der Atlante culturale del Risorgimento. Lessico del linugaggio politico dal Settecento all’Unità leistet einen wichtigen Beitrag zur italienischen RisorgimentoForschung. Allem voran fällt die originelle Perspektive auf, aus der das Risorgimento betrachtet wird. Die konzeptionelle Ebene und die emotionalen Aspekte überstimmen die Ereignisse und die Persönlichkeiten. Der Band, der Beiträge von Risorgimentoforschern und Historikern des 18. und 19. Jahrhunderts vereint, enthält insgesamt 28 Beiträge zu vier Themenbereichen. La percezione del tempo strorico, Campi dell’esperienza, Il soggetto nazionale sowie L’immaginario istituzionale. Vor dem Hintergrund dieser lexikalischen Bereiche zeichnet sich das diskursive Modell ab, welches es erlaubt, «die Untersuchung der Innenwelt der risorgimentalen Eliten» ermöglicht (S. VI). Die Aufmerksamkeit der Autoren gilt einer Reihe von Stichworten wie Liberalismus, Nation, Dekadenz und Ver- fassung, die zur Gestaltung der politisch-lexikalischen Konstellation beigetragen haben und den Protagonisten der Epoche die ideologischen Waffen lieferten.

Das Buch enthüllt und betont die Komplexität, welche die Aufnahme und das Zirkulieren der Worte gekennzeichnet hat, die einen Teil dieses politischen Ideenkatalogs ausmachten. Bezeichnend ist, dass die Aufmerksamkeit auf die Art und Weise gelenkt wird, wie die Stichworte in die vor der Einigung Italiens häufig unzusammenhängend geführte Debatte einflossen. Viele Worte mussten mit anderen wetteifern, um sich in schwierigen und widersprüchlichen Situationen zu behaupten, die häufig sowohl von den politischen Umständen als auch den unterschiedlichen ideologischen Positionen der Aktivisten beeinflusst wurden, die sich ihrer bedienten. Als Beispiel sei die Untersuchung zum Stichwort «unità» von Luca Mannori angeführt: das Wort wurde während der drei Revolutionsjahre, als Italien unter französischer Herrschaft stand, in die «italienische» politischinstitutionelle Sprache eingeführt; politisch gerechtfertigt wurde es zu Beginn der 30er Jahre von Mazzani und prallte dann schnell gegen die politische Praxis auf lokaler Ebene und die Auseinandersetzung, welche das Risorgimento in der Diskussion um die konstitutionelle Natur des künftigen Staates kennzeichnete. Zumindest bis in die 50er Jahre spielte die Idee der «unità» im politischen Diskurs der Eliten kaum eine Rolle, durchsetzen konnte sie sich erst mit den Savoyern.

Die diachron ausgeführte Rekonstruktion dieser linguistisch-politischen und kulturellen Kategorien findet in einem chronologisch klar begrenzen Rahmen statt, der vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Vorabend der nationalen Einheit reicht. Der untersuchte Zeitrahmen stellt einen entscheidenden Moment für die ‘italienische’ Gesellschaft dar. Vor dem Hintergrund der revolutionären Stimmung tritt die politische Aktion an die Stelle der Theorie: Die Politik wird gemacht und gelebt. Die Auswirkungen auf die politische Kultur im Allgemeinen und auf die Sprache im Speziellen, sind entscheidend. Für den politischen Sprachgebrauch handelt es sich um eine privilegierte Zeit, die einen neuen Wortschatz hervorbringt. Interessant ist insofern der Wandel des Neologismus «Risorgimento», bearbeitet von Alberto Mario Banti, der mit den 30er Jahren an politischer Bedeutung gewinnt und zu einem Slogan wurde, der gegensätzliche politische Kräfte vereinen konnte; ferner einer der wenigen Begriffe, dessen Bedeutung einen Wandel vom politischen zum wissenschaftlichen Bereich vollzieht. Mit dem Wort sollte sich ein fester Wissenszweig der historischen Forschung institutionalisieren. Am Ende des 19. Jahrhunderts beginnt es Teil des historiographischen Sprachgebrauchs zu werden, und zu Beginn des 19. Jahrhunderts werden die ersten Lehrstühle für Geschichte des Risorgimento eingerichtet.

Gleichzeitig erneuerte sich der frühere politisch-kulturelle Wortschatz auf radikale Weise und verließ allmählich den engen Kreis der gelehrten Eliten, um sich in einem neuen sozialen Kontext zu etablieren, wo die Gestaltung der öffentlichen Meinung eine große Rolle spielte. Die politischen und sozialen Ereignisse, die mit diesen Umwälzungen verbunden waren, wirkten sich direkt auf die Sprache aus. Bedeutungsvoll ist der Begriff «esilio», bearbeitet von Maurizio Isabella, der Bedeutungen unterschiedlicher Herkunft vereint. Wichtige Beiträge kamen aus der Literatur und der Kultur der Romantik, welche das Befinden des Verbannten priesen, indem sie eine salonfähige genealogische Kette zu den Verbannten der Vergangenheit herstellten und eine Verbindung zwischen Exil, Heimat und Freiheit bestätigten, die zu einer neuen kollektiven Gesinnung unter den Verbannten führte.

Ebenso wichtig ist die lexikalische Kontamination aus dem religiösen Sprachgebrauch. Die Befreiung der eigenen Heimat wurde zum Ziel des politischen Aktivismus von «Pilgern» und «Aposteln» in der nationalen Sache (S.70-71). Beachtung verdient auch der methodologische Ansatz des Buches; er ist das Ergebnis einer Untersuchung, die sich auf die Analyse einer breiten Quellenbasis stützt: Abhandlungen, Pamphlete, Gedichte, Romane, Wörterbücher, Gesetzesakten, Tagebücher und Briefe. Der historiographische Ansatz, der den Blick auf das Begriffsmaterial der Erfahrung des Risorgimento lenkt, ist derjenige der Kultur- und Begriffsgeschichte. Die reiche Dokumentation wurde durch den Vergleich von Quellen untersucht, die sich hinsichtlich ihrer Verbreitung, Art und narrativer Absicht unterscheiden und fokussiert häufig die einzelne Ansichten der Intellektuellen und politisch aktiven Denker. Ziel dieses Buches ist es also mit dem Versuch einer «Geschichte der patriotischen Mentalität» (S. VI) zur Initiation einer neuen Forschungsrichtung beizutragen.

Insofern trifft das Buch eine «minimalistische Auswahl» aus dem Katalog der untersuchten Stichwörter, wie in der Einleitung betont wird (S. VI). Vielleicht hätten jedoch auch andere wichtige Worte einer Erwähnung verdient («storia», «tirannia», «dispotismo», «rivoluzione», «culto», «educazione», «nemico»), nicht nur um den traditionellen historiographischen Rahmen aufzufrischen, sondern auch um eine Darstellung der ideologischen Kulisse der Epoche in ihrer gesamten Komplexität zu gewähren.

Außen vor bleibt die Frau. Entwicklung, Anwendung und Verbreitung des Begriffsmaterials, welches die politischen Diskurse jener Zeit prägte, waren – wie man weiß – das Produkt einer ausschließlich männlichen politisch-intellektuellen Elite. Freilich gab es einige herausragende weibliche Figuren im Verlauf des Risorgimento. Mitstreiterinnen an Seite der Männer (Cristina Trivulzio und Colomba Antonietti), Schriftstellerinnen (Bianca Rebizza und Cristina Trivulzio Belgiojoso) und Gastgeberinnen von Salons die den neuen politischen Ideen aufgeschlossen gegenüberstanden (Giuseppina Morosini Negroni).

Nur unter dem von S. Patriarca bearbeiteten Stichwort «Italiana/Italiane» findet sich ein kurzer Abschnitt über die Rolle der Frau, wo es heißt, dass «das Risogrimento mit den Italienern auch die Italienerinnen hervorbrachte, nicht nur als politische Subjekte sondern auch als Objekte des patriotischen Diskurses» (S. 209); eine Rolle, der jedenfalls kein angemessener Platz eingeräumt wird.

Außerdem hätte es sich gelohnt, dem Wortschatz, der – um eine fotographische Metapher zu verwenden – das «Negativ» der gesamten risorgimentalen Diskursbildung darstellt, mehr Beachtung zu schenken. Obwohl diese Wörter hinsichtlich der sich schließlich durchsetzenden Terminologie eine «chromatische» Bedeutung hatten, trugen sie dennoch zur bildlichen Gestaltung risorgimentalen Diskurses bei. Man müsste die Wörter berücksichtigen, die aus der politischlinguistischen Auseinandersetzung herausfielen und die trotz ihrer wichtige Rolle in der Herausbildung des patriotischen Diskurses des Risorgimento zu zentralen Themen anderer Diskurse wurden. Beispiele hierfür gibt es zuhauf: Man denke etwa an Begriffskonzepte wie «unione« oder «federalismo», die im politischen Diskurs des Risorgimento mit dem Begriff «unità» rivalisierten; oder an die semantische Flexibilität von Wörtern wie «liberali» und «liberalismo», die je nach Zeit, Ort und sozialer Herkunft Bedeutungen annahmen, die mit Stichwörtern wie «conspiratore» und «socialismo» gleichgesetzt wurden; oder an den Ausschluss pejorativer Begriffe wie «moltitudine», «turba» oder «massa», gegen die sich das Wort «popolo» durchsetzte.

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