VIII, 2025/2

Massimiliano Vaghi

Claude-François-Parfait Boutin en Inde et aux Mascareignes (1782-1786)

Review by: Marius Müller

Authors: Massimiliano Vaghi
Title: Claude-François-Parfait Boutin en Inde et aux Mascareignes (1782-1786). La France en Asie à l’époque de la révolution américaine
Place: None
Publisher: Mimesis
Year: 2024
ISBN: 9788869764196

Reviewer Marius Müller - Paris Lodron Universität Salzburg

Citation
M. Müller, review of Massimiliano Vaghi, Claude-François-Parfait Boutin en Inde et aux Mascareignes (1782-1786). La France en Asie à l’époque de la révolution américaine, None, Mimesis, 2024, in: ARO, VIII, 2025, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2025/2/claude-francois-parfait-boutin-en-inde-et-aux-mascareignes-1782-1786-marius-muller/

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In der älteren französischen Kolonialhistoriographie gilt der Friede von Paris 1763, durch den Frankreich am Ende des Siebenjährigen Krieges einen Großteil seiner Kolonien an Großbritannien verlor, als einschneidende Zäsur. Die Betonung des territorialen Verlusts bestimmte in gewisser Hinsicht auch den Fokus späterer Forschungen, die sich mehrheitlich den französischen Kolonialbesitzungen im atlantischen Raum widmeten[1]. Der Indische Ozean und Südasien wurden dagegen lange Zeit entweder nur am Rande oder isoliert betrachtet, obwohl diese Regionen gerade in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von tiefgreifenden Dynamiken und imperialen Formierungsprozessen erfasst waren, die aus neuen wirtschaftlichen wie politisch-militärischen Aktivitäten der europäischen Kolonialmächte resultierten[2].

An diese historiographische Bewegung, die das sogenannte Zeitalter der Revolutionen im globalen Maßstab betrachten will, schließt Massimiliano Vaghi mit seiner Studie an, die auf Grundlage des bislang unbeachteten Offiziers Claude-François-Parfait Boutin eine neue Perspektive auf die französische Präsenz im Indischen Ozean und in Südasien bietet[3]. Hierbei möchte der Autor zeigen, wie Frankreich im Zuge des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges versuchte, die eigenen Macht- und Handelsinteressen im Indischen Ozean gegen britische Expansionsbestrebungen zu behaupten.

Das Buch gliedert sich in zwei Teile: Der erste Teil, der fünf Kapitel umfasst, verfolgt die Entwicklung der französischen Kolonialpolitik im Indischen Ozean und Südasien im Verlauf des 18. Jahrhunderts. Hier bietet der Autor durch die Einbindung neuster Forschungen eine konzise, quellengestützte Darstellung der regionalen Ausformungen des britisch-französischen Konflikts vom Österreichischen Erbfolgekrieg bis zum Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Im zweiten Teil legt Vaghi eine Edition der Reisetagebücher Boutins vor, die heute in der Bibliothèque de l’Arsenal in Paris überliefert sind. Die insgesamt aus vier Einzeldokumenten bestehenden Journaux des voiages, bei denen es sich vermutlich um spätere Abschriften handelt, geben Aufschluss über den Hergang der militärischen Unternehmungen und über die persönlichen Eindrücke während seiner Reisen, die der Kavalleriekapitän im Zeitraum von 1782 bis 1786 nach Indien, Mauritius (Isle de France) und Réunion (Bourbon) unternahm.

Claude-François-Parfait Boutin ist schon deshalb interessant, weil er als Sohn eines hohen Staatsbeamten zu jener französischen Elite gehörte, die sich vom profitablen Indienhandel wirtschaftliche und politische Vorteile versprach. Er durchlief eine klassische militärische Karriere und wurde 1782 zur Unterstützung des französischen Expeditionskorps unter dem Kommando von Charles de Bussy-Castelnau nach Indien entsandt. Nach dem Ende der Kriegshandlungen verweilte Boutin krankheitsbedingt bis 1786 auf der Isle de France, wo er als Adjutant dem Generalgouverneur François de Souillac diente. Dort heiratete er Marie-Henriette-Cécille Céré, die Tochter des Botanikers Jean-Nicolas Céré. 1785 unternahm Boutin erneut eine viermonatige Reise nach Pondichéry über eine von Jean-Baptiste-Nicolas-Denis d'Après de Mannevillette neu beschriebene Route. Im Jahr 1786 erhielt seine Karriere im Dienst der Armee einen rasanten Schub, als er vom Maréchal de Castriers erst zum Major und bereits ein Jahr später zum Oberst befördert wurde.

Die in der Edition zugänglich gemachten Reisetagebücher geben Einblick in die gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Zusammenhänge des Indischen Ozeans. Bemerkenswert ist seine Beschreibung der durch Migration und Versklavung geprägten Bevölkerung der Maskarenen. Die Wahrnehmungen Boutins über Alltag, Erscheinungsbild und Sprache der Inselbewohner offenbaren nicht nur einen protoethnographischen Blick, sondern verweisen zugleich auf die allmähliche Herausbildung rassistischer Differenzkategorien, die an koloniale Diskurse der Aufklärung anschließen. Seine Aufzeichnungen verdeutlichen, dass die demographische und wirtschaftliche Entwicklung der Inseln auf der massenhaften Verschleppung und Ausbeutung afrikanischer Menschen als Arbeitskräfte beruhte. Dies ist für Vaghis Argument insofern relevant, da der Grundthese der Arbeit zufolge der erste Schritt zur Wiederherstellung der französischen Machtposition in Südasien darin bestünde, die ökonomische Kontrolle der Maskarenen zu sichern. Die von Boutin vorgeschlagenen Maßnahmen – etwa die gezielte Subventionierung des Ankaufs von versklavten Menschen zur Stärkung der Plantagenökonomie – interpretiert der Autor recht überzeugend als Ausdruck eines zeitgenössischen Problembewusstseins. Damit wird erkennbar, dass gerade die Isle de France als Hafen und Umschlagplatz den zentralen wirtschaftlichen und militärischen Bezugspunkt des französischen Kolonialreiches im Indischen Ozean darstellte.

Einen eigenen Akzent setzt Vaghi durch die Neubewertung der französischen Militärinterventionen in Indien: Mit Rekurs auf Boutin kann der Autor plausibel darlegen, dass den diplomatischen und politisch-militärischen Aktivitäten Frankreichs keinesfalls eine einheitlich forcierte oder zentral gesteuerte Indienpolitik zugrunde lag. Insbesondere am Vorgehen von Bussy zeige sich der Versuch, politischen Einfluss und Ressourcenkontrolle gegenüber Großbritannien indirekt durch Bündnisse mit indischen Fürsten herzustellen. Da die französische Bündnispolitik damit vorranging wirtschaftlichen Zielsetzungen gedient habe, richtete sich die zeitgenössische Kritik an der französischen Kolonialpolitik in Südasien weniger gegen den Verlust politischer Einflussbereiche, sondern vielmehr gegen den ökonomischen Niedergang, den viele Zeitgenossen auf die strukturellen Schwächen der Compagnie des Indes zurückführten.

In der Zusammenschau gelingt es Vaghi, nicht nur die unmittelbaren Herausforderungen des Erhalts des französischen Kolonialreiches herauszuarbeiten, sondern zugleich die Wahrnehmungs- und Deutungshorizonte der Zeitgenossen im Diskurs der Aufklärung einzufangen. Die Reisetagebücher Boutins schließen an diese Tradition an und ermöglichen, die transimperialen Konflikte in Südasien und die strategische Bedeutung der Maskarenen vor dem Hintergrund der am Ende des Ancien Régime einsetzenden Transformationen kontextbasiert zu lokalisieren. Über die Edition der reichhaltigen Quellen hinaus leistet die Studie damit einen wesentlichen Beitrag zur Erweiterung der Debatte über die vielfältigen Strategien des französischen Kolonialismus in Südasien und wird damit sicherlich weitere Studien anregen.  

 

 

[1] C. Hodson - B. Rushforth, Absolutely Atlantic. Colonialism and the Early Modern French State in Recent Historiography, in «History Compass», 8, 2009, S. 101-117.

[2] F. Gottmann, French-Asian Connections. The Compagnies des Indes, France’s Eastern Trade, and New Directions in Historical Scholarship, in «The Historical Journal», 56, 2013, S. 537-552.

[3] Zu diesen globalhistorischen Forderungen etwa: M. Maruschke, (Dis)entangling the French Globalization Project in the Age of Revolutions, in M. Midell (Hgg.), French Globalization Projects, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2025, S. 201-222; S. Sivasundaram, Waves across the South. A New History of Revolution and Empire, Chicago, University of Chicago Press, 2020; D. Armitage - S. Subrahmanyam (Hgg.), The Age of Revolutions in Global Context, c.1760–1840, Basingstoke, Palgrave Macmillan, 2010.