VII, 2024/2

Alida Clemente

Un console mercante nella Napoli borbonica (1734-1755)

Review by: Magnus Ressel

Authors: Alida Clemente
Title: Un console mercante nella Napoli borbonica (1734-1755). Reti, nazioni e istituzioni nei giochi dello scambio
Place: Bari
Publisher: Edipuglia
Year: 2022
ISBN: 9791259950253
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Reviewer Magnus Ressel - Goethe-Universität Frankfurt am Main

Citation
M. Ressel, review of Alida Clemente, Un console mercante nella Napoli borbonica (1734-1755). Reti, nazioni e istituzioni nei giochi dello scambio, Bari, Edipuglia, 2022, in: ARO, VII, 2024, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2024/2/un-console-mercante-nella-napoli-borbonica-1734-1755-magnus-ressel/

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Das schmale Buch mit dem relativ stark auf eine Person zugeschnittenen Haupttitel und dem Fokus auf Neapel im Handelsgeschehen zur Mitte des 18. Jahrhunderts wirkt auf den ersten Blick etwas unspektakulär. Tatsächlich bringt die vorliegende Studie unser Wissen zu zentralen Aspekten des globalen Güter- und Kapitalkreislaufs zwischen dem Mittelmeer, den nordwesteuropäischen Raum um London, Amsterdam und Hamburg sowie den atlantischen Kolonien maßgeblich voran und in weiten Bereichen hat die Arbeit Pioniercharakter.

Clementes Werk basiert auf einem Briefregister aus dem Staatsarchiv Neapel, welches 1.544 Briefe an 110 Partner, geschrieben zwischen dem 12. November 1748 und dem 17. März 1753 umfasst. Dieses Register der ausgehenden Briefe wurde nach dem Tod des Firmeninhabers, Abraham Sandol am 24. Dezember 1755, wohl zusammen mit vielen weiteren Dokumenten der Firma, vom Supremo Magistrato di Commercio in Neapel konfisziert. Der Hintergrund waren Streitigkeiten um Forderungen verschiedener Gläubiger gegenüber dem Verstorbenen. Als einziges Stück des Firmennachlasses ist dieses Register auf uns überkommen.

Alleine schon die Identifikation von Abraham Sandol, dessen Geburtsdatum unbekannt bleibt, war für Clemente keine leichte Aufgabe. Sandol stammte aus Neuchâtel von einer der dort sehr einflussreichen Händlerfamilien, die sich über viele Gebiete Europas und seit dem 19. Jahrhundert auch der Welt verteilten. Von 1723 bis 1727 war Sandol offenbar in Stralsund aktiv gewesen, danach einige Zeit an verschiedenen Handelsplätzen und wohl recht intensiv in Amsterdam. 1734 kam er nach Neapel, wo er bis zu seinem Tod verblieb. Hier wurde er ein relativ erfolgreicher Kaufmann, wenngleich er wohl nicht zur Spitzengruppe der hier ansässigen Händler aufsteigen konnte. Aus den Briefen kann kaum auf seinen Kapitalfonds geschlussfolgert werden, aber man sieht ihn doch bisweilen mit einigen tausend Dukaten für Wechseltransaktionen operieren, so dass von einem überdurchschnittlich bedeutsamen Händler ausgegangen werden kann. Dafür spricht auch die sehr starke internationale Vernetzung, die Sandol auszeichnete. Seine wichtigsten Korrespondenten lebten in Livorno, Venedig und Genua. In ersteren beiden Städten war Sandol insbesondere mit auswärtigen Händlern aus dem Alten Reich vernetzt. Die äußerst intensive Geschäftsbeziehung zu Alberto Bender in Genua ist bemerkenswert, und hier kann Clementes Verdacht, dass dieser ein Deutscher war durch einen Verweis auf die Sekundärliteratur bestätigt werden (H.-T. Niephaus, Genuas Seehandel von 1746-1848. Die Entwicklung der Handelsbeziehungen zur Iberischen Halbinsel, zu West- und Nordeuropa sowie den Überseegebieten, Köln-Wien, Böhlau, 1975, S. 317). Weiterhin besonders gut waren Sandols Geschäftskontakte zu den deutschen Händlern in Livorno, die vor allem im Austausch zwischen dem Mittelmeer und Amsterdam und Hamburg, teilweise auch London, engagiert waren.

Vor allem diese Verbindungen zu vielen deutschen Händlern in Italien – wahrscheinlich auf der Herkunft im „preußischen” und protestantischen Neuchâtel basierend, da Sandol Deutsch nie besonders gut beherrschte – bedingen einen hohen Wert dieses Buches für die deutsche Außenhandelsgeschichte. Aus Sicht der in Venedig und Livorno residierenden deutschen Händler, deren eindrucksvolle Kapitalkraft und internationale Aktivitäten in diesem Buch mehrfach aufscheinen, bildete Neapel den Knotenpunkt eines peripheren Teils des von ihnen organisierten Handelsnetzwerks im Mittelmeer. Über Neapel gewannen diese Akteure von Genua, Livorno und Venedig aus wichtige Frachtkapazitäten sowie einen aufnahmefähigen Absatzmarkt für nord- und nordwesteuropäische Produkte sowie welche aus dem atlantischen Raum. Über Livorno gelang auch die Verbindung dieser Händler in die Levante, die von Neapel aus als Direktkontakt kaum zu etablieren war.

Clemente schafft es, die Briefmasse durch eine konzise Gliederung und Einbettung in eine ausgedehnte Sekundärliteratur sinnvoll zu sortieren und analytisch zu durchdringen. Im ersten Kapitel von ca. 20 Seiten Länge zu den „Spielen mit der Identität“ zeigt sie auf, wie der Händler aus dem Corpus Helveticum sich je nach Bedarf zu verschiedenen Nationalitäten rechnen konnte, immer mit dem Ziel möglichst von spezifischen Privilegien im Königreich zu profitieren. Dazu gehört auch die (wohl wenig innerliche) Konversion Sandols zum Katholizismus, was ihm die Ehe mit einer Neapolitanerin ermöglichte und vermutlich auch Vorteile gegenüber den lokalen Obrigkeiten brachte.

Das zweite Kapitel von etwa 35 Seiten Länge fokussiert auf die Netzwerke, die Sandol zu seinen Geschäftspartnern in der Ferne und Nähe unterhielt. Hier werden zentrale Fragen nach dem Erhalt und der Nutzung von geschäftlichen Beziehungen im Fernhandel gestellt. Im Wesentlichen war Sandol ein Kommissionär für seine Partner aus den drei genannten italienischen Städten sowie Amsterdam, was ihn in einen dauerhaften Kreditnexus brachte. Das weitreichende Netz an Geschäftsbeziehungen Sandols wurde vor allem durch Vertrauen aufrechterhalten, aber auch durch einen rechtlichen Rahmen abgesichert, der bisweilen – auch wenn Geschäftsleute dies typischerweise vermeiden wollten – in Rechtsstreitigkeiten zum Tragen kommen musste.

Im dritten Kapitel von fast 40 Seiten Länge wird das Agieren aus der Perspektive der sogenannten „Peripherie“ erläutert. Clemente diskutiert das Modell Immanuel Wallersteins von Zentrum und Peripherie kritisch, zeigt aber die Elemente auf, die die einschlägige Debatte der letzten Jahrzehnte gut überstanden haben, insbesondere der Analyserahmen zum Verständnis der internationalen Arbeitsteilung – zum Nachteil von spezifischen Gebieten. In Süditalien gelang auch im 18. Jahrhundert kaum eine Etablierung von gewerblichen Strukturen, so dass hier ein Prozess einer Peripheralisierung nicht zu leugnen ist. Der süditalienische Markt lieferte im Wesentlichen Wein und Nahrungsmittel, vor allem Öl und Getreide. Diesen Lieferungen standen Importe nordeuropäischer Fertigprodukte gegenüber. Hier, sowie im Transithandel, für den er Schiffsfrachten vermittelte, fand Sandol seine profitable Nische, was ihn in den entsprechenden Wirtschaftskreisläufen zu einem unentbehrlichen Glied machte.

Im vierten Kapitel von ca. 25 Seiten Länge fokussiert Clemente auf das Agieren Sandols in Neapel selbst. Sandol operierte auch als Buchhändler zwischen den Remondini aus der Republik Venedig und Neapel, zudem importierte er Kolonialwaren aus dem atlantischen Raum – meist aus zweiter Hand von Partnern in Genua oder Livorno. Sandol kann hier auch als Schmuggler oder wenigstens Händler erfasst werden, der die porösen Normen wie auch den Zollapparat Neapels relativ geschickt auszumanövrieren musste. Dabei erscheint der Staat allerdings auch nicht nur als ein ineffektiver Akteur, auch die staatlichen Instanzen hatten ihre eigene Wirkmacht und zwangen so Sandol zu spezifischen Strategien, die zwischen Schmuggel und einer latent-permanenten Normaushandlung auf der Mikroebene bei Verzollungen schwankte.

Im fünften Kapitel von ca. 25 Seiten Länge zeigt Clemente Sandol als Konsul Schwedens, wie er das Amt trotz einiger Schwierigkeiten und substantieller Konkurrenz erlangte und welchen Nutzen er sich davon versprach. Weder für ihn noch für Schweden zahlte sich dies jedoch kurzfristig aus, was zu Enttäuschungen auf allen Seiten führte. Das Kapitel schließt mit dem Tod von Sandol und den folgenden Streitigkeiten um sein Erbe zwischen Gläubigern und seiner Frau. Der Schluss resümiert die großen Themen des Buches und zeigt die Schwäche der Dominanz der Nordeuropäer im mediterranen Handel auf. Da diese mit großen Schiffen operierten, brauchten sie substantielle Hin- und Rückfrachten, was sie in starke Abhängigkeit von lokalen Kommissionären brachte, die das regional entscheidende Know-How besaßen und evtl. auch Privilegien genossen. So eine Figur mit all ihren Widersprüchlichkeiten war Abraham Sandol. Auf Kommissionären wie ihm ruhte der Globalhandel in seinen Verbindungen mit dem Mittelmeer, mehr noch als auf allen institutionellen Mechanismen und Versuchen, die unter dem Begriff Merkantilismus gefasst werden.

Alida Clemente hat ein beeindruckend dichtes und informatives Buch verfasst. Es ergänzt in hervorragender Weise unser Wissen über Italien, speziell dessen Süden und das Mittelmeer in den globalen Handelsströmen des 18. Jahrhunderts. Die mikrohistorische Perspektive zeigt sich als ein großer Vorteil der Betrachtung, da damit eine Reihe an Akteuren – insbesondere Deutsche – in einem bisher kaum bekannten Maße plastisch hervortreten. Die Wichtigkeit der Peripherie zum Verständnis des globalen Handels im 18. Jahrhundert wird hier nachhaltig demonstriert. Dem Werk ist eine eingehende Rezeption zu wünschen.

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