Reviewer Rolf Wörsdörfer - Technische Universität Darmstadt
CitationÜbersetzungen haben ihre Tücken, weil sich Sprachen selten absolut symmetrisch zueinander verhalten: Im Italienischen steht capo für die deutschen Vokabeln "Chef" oder "Führer", ist aber nicht so beliebig einsetzbar wie erstere und nicht so belastet wie letztere.[1] Andererseits findet der Capo dello Stato maggiore eine exakte Entsprechung im deutschen "Generalstabschef"; den "Feldherren" wiederum gibt das Sansoni Wörterbuch mit condottiero (mittelalterlich) oder mit generale wieder. Bei der Rückübersetzung drohen Missverständnisse, denn der condottiero ist ein "Söldnerführer", während generale ähnlich wie das nahezu gleichlautende deutsche Wort einen militärischen Dienstgrad bezeichnet. Die neuzeitliche Entsprechung für das Wort "Feldherr" findet man im Italienischen nicht. Trotz alledem: Ob man ihn nun wie im Original capo nennt oder ob man auf den dutschen "Feldherrn" zurückgreift, beide Termini sind (gewollt) unpräzise und doch, was den so bezeichneten Militärführer angeht, einigermaßen treffend: Luigi Cadorna war alles in einem, er war "eine ungewöhnlich schwer zu fassende Figur" und bleibt eine echte Herausforderung an den Biographen.[2]
Wolfram Wette schreibt, Historiker hätten sich lange Zeit kaum "auf eine kritische Durchleuchtung der schrecklichen Folgen von Fehlern in der geheimnisumwitterten operativen Führungskunst" eingelassen.[3] Die Überlegung trifft auf Cadornas hauptsächliches Betätigungsfeld, den Raum zwischen Alpen und Adria in den Jahren 1915-1917, nur bedingt zu. Seit geraumer Zeit ist sich die Fachwelt einig, dass die maßgeblichen Kommandeure der Isonzofront, darunter auf italienischer Seite vor allem Cadorna, Strategen eines mörderischen, die eigenen Truppen keinesfalls schonenden Abnutzungskrieges waren. Mondini schließt sich dieser Auffassung an, bei gleichzeitig deutlicher Kritik an allzu einseitigen Interpretationen. Er stützt sich auf das Archiv der Untersuchungskommission, die in den Jahren 1919-1920 mit den Gründen für Italiens Niederlage im Oktober 1917 ("Caporetto") befasst war, und wertet darüber hinaus zahlreiche gedruckte Quellen aus, darunter vor allem Cadornas Briefwechsel und Verteidigungsschriften.
Der aus dem Kleinadel der piemontesisch-lombardischen Grenzregion am Lago Maggiore stammende Luigi Cadorna stand unter enormem Erfolgsdruck, weil sein Vater – Berufsoffizier wie er – zu den Heroen der italienischen Einigungsbewegung gehörte. Raffaele Cadorna befehligte jene Truppen, die am 20. September 1870 mit der Erstürmung der Porta Pia in Rom der weltlichen Herrschaft des Papsttums ein Ende bereiteten. Luigi, von Hause aus eher ein Militärtheoretiker ohne reale Kampferfahrung, wurde zu einem besonders heiklen Zeitpunkt, am 27. Juli 1914, Chef des italienischen Generalstabs. Die europäische Julikrise stand kurz vor dem Abschluss, einen Tag später erklärte Österreich-Ungarn dem Königreich Serbien den Krieg. Cadorna, so legt Mondini überzeugend dar, war kein Generalstabschef im eigentlichen Sinne des Wortes, weil es einen solchen Stab beim Königlichen Heer nicht gab. Der "Feldherr" berief keine Treffen der Armee- oder Divisionskommandeure ein, sondern er fällte die Entscheidungen im Kreis seiner engeren Mitarbeiter. Diese standen im Rang deutlich unter jenen Generälen, an die sie die Befehle weitergaben.
Cadorna selbst war bereit, auch für sehr geringe Vorteile von den eigenen Soldaten die größten Opfer zu verlangen. Er galt als ein unverbesserlicher Optimist, der den Gegner regelmäßig unterschätzte. Auf tatsächliche oder vermeintliche Fehler und Schwächen der ihm unterstellten Offiziere reagierte der "Chef" mit hektisch angeordneten Versetzungen, was viel Unruhe in die italienischen Streitkräfte trug. Zwischen Mai 1915 und Oktober 1917 entfernte er 807 Offiziere von ihren Kommandoposten, darunter 217 Generäle und 255 Obersten. Im militärischen Jargon nannte man diese Verfahrensweise "Torpedierung" (it. siluramento). Die Übersetzerin bevorzugt den Ausdruck "schassen", der zwar zum kriegerisch-plebejischen Kontext passt, aber die technikgeschichtliche Dimension – den sprachlichen Niederschlag des Aufkommens von Torpedobooten bei der Kriegsmarine – außer Betracht lässt.
Die Gründe, die unter Cadorna zur Entfernung eines Generals oder Obersten von seinem Kommando führten, waren zum Teil an den Haaren herbeigezogen und die "Torpedierungen" führten zu wachsender Instabilität in der Truppe. Letztlich entstand durch die Entlassungen ein Klima des Misstrauens und der Einschüchterung, so dass selbst angesehene und verdiente Offiziere es nicht mehr wagten, abweichende Einschätzungen der Lage vorzubringen oder dem "Chef" zu widersprechen.
Cadorna war auch dafür bekannt, dass er die Ausführung einmal erteilter Befehle nicht kontrollierte. Hohe Offiziere genossen unter seinem Kommando bis zum Moment der Bewährung (oder des Versagens) einen ungewöhnlichen Grad an Autonomie; danach wurden sie entweder befördert oder mussten ihr Kommando abgeben. Eine Sammlung der wichtigsten taktischen Instruktionen Cadornas, das berühmte Libretto rosso, war ganz dem Frontalangriff gewidmet und geriet im Zusammenhang mit der 1919 einberufenen Untersuchungskommission zum Debakel von "Caporetto" ins Kreuzfeuer der Kritik. Mondini zitiert ausführlich aus Cadornas Plädoyers für das Libretto, das er den eigenen Beteuerungen zufolge nie als allgemeingültiges Handbuch, sondern als Serie von Instruktionen für eine ganz bestimmte, am Isonzo aber vielfach anzutreffende militärische Situation verstand.[4]
In den Kriegs- und Nachkriegsjahren war der Ruf des "Feldherren" oft abhängig vom Kriegsglück und von der politischen Konjunktur Italiens. Verfehlt nennt Mondini die Absicht, ihm allein alle Schwierigkeiten der Italiener am Isonzo anzulasten. Wer sich als Politiker einmal für den Krieg gegen Österreich-Ungarn und die Priorität des Vormarsches auf Triest entschieden hatte, dem sei keine andere Wahl geblieben als die, das Gros der strategischen Überlegungen Cadornas mitzutragen.
[1] M. Mondini, Il Capo. La Grande Guerra del generale Luigi Cadorna, Bologna, Il Mulino, 2017.
[2] M. Mondini, Der Feldherr. Luigi Cadorna im "Grossen Krieg" 1915–1918, Berlin - Boston, De Gruyter Oldenbourg, 2022, p. 5.
[3] W. Wette, Militärgeschichte zwischen Wissenschaft und Politik, in «Was ist Militärgeschichte», hrsg. von T. Kühne, B. Ziemann, Paderborn, Ferdinand Schöningh Verlag, 2000, pp. 49-72, hier p. 53.
[4] M. Mondini, Der Feldherr, p. 97.