VI, 2023/2

Jutta Wimmler, Klaus Weber (eds.)

Globalized Peripheries

Review by: Mark Häberlein

Editors: Jutta Wimmler, Klaus Weber
Title: Globalized Peripheries. Central Europe and the Atlantic World, 1680-1860
Place: Suffolk - Rochester
Publisher: Boydell & Brewer
Year: 2020
ISBN: 9781783274758
URL: link to the title

Reviewer Mark Häberlein - Universität Bamberg

Citation
M. Häberlein, review of Jutta Wimmler, Klaus Weber (eds.), Globalized Peripheries. Central Europe and the Atlantic World, 1680-1860, Suffolk - Rochester, Boydell & Brewer, 2020, in: ARO, VI, 2023, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2023/2/globalized-peripheries-mark-haberlein/

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Dieser Sammelband bildet den Abschluss des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts The Globalized Periphey: Atlantic Commerce, Socioeconomic and Cultural Change in Central Europe (1680–1850), das der Mitherausgeber Klaus Weber in den Jahren 2015 bis 2019 geleitet hat. Dieses Projekt fügt sich in eine stetig wachsende Zahl von Forschungen und Publikationen ein, die sich kritisch mit der langen Zeit dominierenden Auffassung auseinandersetzen, dass Mittel- und Osteuropa nur schwach in die dynamisch expandierende atlantische Wirtschaft eingebunden gewesen seien. Zugleich nehmen Jutta Wimmler und Klaus Weber in ihrer Einleitung Bezug auf Immanuel Wallerstein, der bestimmte Weltregionen als Zentren, Semi-Peripherien oder Peripherien eines entstehenden „modernen Weltsystems“ auswies. Durch empirische Forschungen zu den Beziehungen, die Mittel- und Osteuropa zwischen dem späten 17. und der Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem atlantischen Raum verbanden, führe der vorliegende Band über Wallerstein hinaus.

Im ersten der folgenden zwölf Beiträge versucht Bernhard Struck, die Teilungen Polens in einen globalhistorischen Kontext einzuordnen. In den 1770er und 80er Jahren, so argumentiert er, hätte eine Häufung von Wirbelstürmen und Sklavenaufständen in der Karibik sowie die politischen Unruhen in Nordamerika zu einer Krise der atlantischen Kolonialreiche geführt, welche die Aufmerksamkeit Großbritanniens und Frankreichs absorbiert habe. Die kontinentaleuropäische Großmächte Preußen, Österreich und Russland hätten diese Gelegenheit genutzt, um ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf Kosten Polens auszudehnen.

In den folgenden Beiträgen liegt der Schwerpunkt auf ökonomischen Beziehungen. Anka Steffen arbeitet die Bedeutung heraus, die schlesisches Leinen für den Sklavenhandel der englischen Royal African Company zwischen ca. 1660 und 1720 hatte. Neben indischen Kattunen erfreuten sich demnach auch kontinentaleuropäische Leinenstoffe bei westafrikanischen Konsumenten großer Beliebtheit. Jutta Wimmler analysiert auf der Grundlage der Sundzollregister und ergänzender serieller Quellen die Importe Stettins zwischen 1720 und 1770; sie zeigt, dass neben klassischen „Kolonialwaren“ wie Zucker auch Farbstoffe sowie Nahrungsmittel wie Reis eine signifikante Rolle für den preußischen Seehandel spielten. Friederike Gehrmann geht Verknüpfungen des russischen Asienhandels mit dem Atlantikhandel nach und konzentriert sich dabei auf den Transithandel mit chinesischen Rhabarber, der im 18. Jahrhundert in Westeuropa hohe Wertschätzung genoss. Dass der russische Staat den Rhabarberhandel monopolisierte, diente Gehrmann zufolge vor allem der Qualitätssicherung.

Torsten dos Santos Arnold untersucht auf der Basis der Admiralitäts- und Convoygeld-Einnahmebücher die Hamburger Zuckereinfuhren zwischen 1733 und 1798. Die Hansestadt importierte in diesem Zeitraum den meisten Zucker von den französischen Karibikinseln, was sich auch in der Dominanz von Kaufleuten, die hugenottischer Herkunft waren oder enge Beziehungen nach Bordeaux unterhielten, in diesem Handelszweig niederschlägt. Die Adaptationsfähigkeit der Hamburger Zuckerhändler zeigt sich überdies darin, dass sie in Kriegszeiten alternative Bezugsquellen erschlossen und die Chancen nutzten, welche die Gründung portugiesischer Überseekompanien durch den Marquis von Pombal eröffnete. Klemens Kaps zeichnet anschließend die dynamische Entwicklung des österreichischen Seehafens Triest seit dem Spanischen Erbfolgekrieg nach und demonstriert, dass Triest auf direktem wie auf indirektem Wege enge Beziehungen mit spanischen Häfen anknüpfte. Mit der mediterranen und der atlantischen Welt war die Habsburgermonarchie primär durch die Ausfuhr proto-industriell gefertigter Waren und die Einfuhr von Rohstoffen und Konsumgütern verbunden.

Anne Sophie Overkamp nimmt mit dem Wuppertal eine Gewerberegion in den Blick, die sich auf die Massenproduktion standardisierter Leinenbänder spezialisiert hatte. Als sich die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen verschlechterten, schlossen sich elf führende Handelshäuser 1795 zu einem Kartell zusammen, um den Handel durch Preisfixierungen und Zusammenarbeit bei der Erfüllung von Aufträgen zu stabilisieren. Diese aus der Not geborene Kooperation erfüllte bis in die 1830er Jahre hinein ihren Hauptzweck, die Wettbewerbsfähigkeit des Wuppertaler Bandgewerbes zu sichern. Margrit Schulte Beerbühl fasst anschließend wesentliche Ergebnisse ihrer Forschungen zu den Verbindungen zwischen nordwestdeutschen Leinenrevieren, der Wirtschaftsmetropole London und der atlantischen Welt zusammen; als maßgebliche Akteure identifiziert sie Mitglieder rheinischer, westfälischer und niedersächsischer Kaufmannsfamilien, die nach London migrierten und von dort aus Beziehungen zu ihren Heimatregionen pflegten, aber auch Kontakte zu anderen atlantischen Hafenstädten anknüpften.

Migrationsphänomene stehen im Fokus der beiden folgenden Beiträge. Josef Köstlbauer befasst sich mit rund 40 Menschen außereuropäischer Herkunft, die sich im 18. Jahrhundert über kürzere oder längere Zeiträume in europäischen Siedlungen der Herrnhuter Brüdergemeinde aufhielten. Obwohl sie von den Herrnhutern als Mitchristen betrachtet wurden und mehrere von ihnen sogar religiöse Funktionen bekleideten, blieben etliche dieser Menschen persönlich unfrei; dies gilt vor allem für Afrikaner:innen und Afro-Amerikaner:innen, welche von den Herrnhutern gekauft oder ihrem Leiter Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf geschenkt worden waren. Alexandra Gittermann thematisiert das mittlerweile gut erforschte Geschäft mit deutschen Auswanderern, das Kaufleuten in Rotterdam, London und Philadelphia trotz hoher Fluktuationen Gewinnmöglichkeiten eröffnete, weil sich der Passagiertransport mit dem transatlantischen Warenhandel verknüpfen ließ. David K. Thomson schließlich zeigt, dass deutsche Bankhäuser seit Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend in US-amerikanische Staats- und Unternehmensanleihen investierten. Während des amerikanischen Bürgerkriegs verstärkte sich dieses Engagement nicht nur aufgrund des stark gestiegenen Finanzbedarfs der US-Regierung, sondern auch wegen der engen Beziehungen zwischen New Yorker und deutschen Bankhäusern sowie wegen der Sympathien, die man im Deutschen Bund den politischen Zielen der Union entgegenbrachte.

In seinem Nachwort hebt der schwedische Wirtschaftshistoriker Göran Rydén hervor, dass es den Autorinnen und Autoren gelungen sei, die Bedeutung Mittel- und Osteuropas für die Geschichte der atlantischen Wirtschaft sowie die Handlungsmacht ökonomischer Akteure im Prozess der Ausgestaltung interkontinentaler und globaler Handelsbeziehungen aufzuzeigen. Zugleich weist er auf das Desiderat hin, der Relevanz globaler Verflechtungen für mittel- und osteuropäische Regionen in weiteren mikrohistorischen Studien nachzugehen. Dieser Einschätzung kann sich der Rezensent uneingeschränkt anschließen: Der vorliegende Sammelband belegt eindrucksvoll, dass Mittel- und Osteuropa ein integraler Teil der atlantischen Welt waren; zugleich regt er zu vertiefenden Forschungen auf diesem Feld an.

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