Reviewer Alexander Gallus - Technische Universität Chemnitz
CitationSchon der Ort, der Deutschland zwischen 1919 und 1933 seinen Namen gab, vermittelt ein Gefühl von provinzieller Behaglichkeit. Weder Weltläufigkeit noch Großmachtambitionen schienen zentrale Eigenschaften von «Weimar» und der an diesen Namen gekoppelten Republik gewesen zu sein. Dabei gilt es eine wesentliche Ausnahme zu betonen; so will es die gängige Erzählung: Die Kultur blühte damals auf, war bunt und lebendig, die Metropole Berlin ein regelrechtes Babylon. Diese Chiffre schrieb erst jüngst bereits im Titel eine populäre Fernsehserie in geradezu emblematischer Weise fest. Detlev Peukert, der 1987 eine besonders originelle Geschichte der Weimarer Republik vorlegte und sie darin einer in die Krise geratenen «klassischen Moderne» zuordnete, erfasste den ebenso strahlkräftigen wie avantgardistischen Stilpluralismus jener Zeit, würdigte einen transatlantische Anleihen nehmenden «Amerikanismus», aber auch solche Tendenzen, die eine – vermeintlich höherwertige – «deutsche Kultur» gegen eine – angeblich verderbliche – «westliche Zivilisation» gegeneinander in Stellung brachten.
Selbst bei Peukert, und auch in den weiteren wichtigen synthetisierenden Studien zur Weimarer Republik, wirkt sie – sieht man einmal von internationalen (Kriegsfolgen-)Verträgen ab – wie ein gut eingehegtes und abgeschottetes Areal. Das passt zu der gängigen Erzählung von der Geschichte der Zwischenkriegszeit als einer Phase der Deglobalisierung. Ob diese Sichtweise adäquat ist, dieser Frage haben sich erst in jüngster Zeit Historiker stärker zugewandt, die bislang eher konventionelle Betrachtungen zur Entwicklung der internationalen Politik angestellt und vergleichsweise wenig transnationale Verflechtungen und Transfers rund um die Weimarer Republik rekonstruiert haben.
Mit ihrem Band Weimar und die Welt bündeln Christoph Cornelißen und Dirk van Laak in programmatischer Absicht solche Perspektiven der Forschung, die einen vielfältigen und doch konzentrierten Blick auf «globale Verflechtungen der ersten deutschen Republik» ermöglichen wollen. Schon vom Ansatz her ist dieses Vorhaben als innovativ einzuschätzen, weil es Licht auf einen blinden Fleck der insgesamt vitalen Weimar-Historiographie wirft. In ihrer Einleitung erörtern Cornelißen und van Laak die «(Ent-)Provinzialisierung Weimars», skizzieren den aktuellen Forschungsstand und schraffieren die Thesen und Themenfelder der verschiedenen Beiträge des Bandes. Zu Recht mahnen sie eine «Korrektur des zuweilen noch starken Selbstbezugs der Historiographie zu dieser Periode der deutschen Geschichte» (S. 21) an.
Neben den beiden Herausgebern sichtet auch Gabriele Lingelbach das Globalisierungsthema aus der Vogelperspektive. Sie konstatiert ebenfalls Weimars «relative globalgeschichtliche Vernachlässigung» (S. 25) und sucht stichprobenartig Abhilfe zu leisten, indem sie menschliche Mobilität, transnationalen Wirtschaftsaustausch und Wissenschaftstransfers für die Weimarer Epoche untersucht. Am Ende steht ein «ambivalentes Bild von Globalisierungs- und Deglobalisierungstendenzen» (S. 47), ein Plädoyer für Differenzierung entlang gesellschaftlicher Subsysteme und in chronologischer Hinsicht für die verschiedenen Entwicklungsphasen der Weimarer Republik. Auch seien stärker vergleichende Perspektivierungen nötig, um zu ermessen, ob Deutschland im europäischen Setting damals eine Sonderrolle einnahm.
Die anschließenden Einzelstudien sind vier Schwerpunkten zugeordnet: «postkoloniale Orientierungen», «Richtungen der Orientierung», «Neue Medien, neue Inhalte» sowie «Verflechtungsarbeit». Jürgen Dinkel bilanziert antikoloniale Organisationen und deren Wirken, Birthe Kundrus nimmt postkoloniale, Andy Hahnemann geopolitische Phantasiewelten von hoher Suggestiv- und Prägekraft in den Blick. Heidi Hein-Kircher spürt der Popularisierung deutsch-völkischer Sichtweisen in der Darstellung von «Grenz- und Auslandsdeutschen» in lexikalischen Würdigungen nach. Sabine Mangold-Will skizziert für die Weimarer Republik die Perzeption der Türkei, die mit Mustafa Kemal an der Spitze der Nationalbewegung eine Vorbildrolle entfalten konnte. Schließlich diente ein so wahrgenommener «Orient» in manchen Kreisen «als Projektionsfläche einer grundsätzlich global wünschenswerten, alternativen, ebenso modernen wie konservativen Ordnung aus Nation, Demos und politischem Tatmenschen» (S. 184).
Für den per se grenzüberschreitenden Rundfunk hält Lu Seegers eine paradoxe Wirkung fest, ging mit der Internationalisierung doch ein Trend zur Regionalisierung einher. Am Beispiel des «Hamburger Hafenkonzerts», das via Kurzwellensender einen großen Widerhall bei deutschen Seeleuten in aller Welt fand, zeigt Seegers, wie sehr das Radio dazu diente, «Regionalkultur im transnationalen Raum zu konturieren» (S. 208). Martin Rempe, der Musik und Musikleben der Weimarer Zeit unter die Lupe nimmt, gelangt ebenfalls zu ambivalenten Ergebnissen und diagnostiziert für sein Untersuchungsfeld eine «Dialektik verflochtener Provinzialisierung» (S. 246). Maren Möhring erkennt im «Haus Vaterland», einem massenkulturellen, nicht selten folkloristischen – exotistische, rassistische und sexistische Stereotype bedienenden – Gastronomie- und Unterhaltungstempel im Herzen Berlins, ebenfalls ein «beredtes Beispiel für die Ambivalenzen von Öffnung und Schließung in einer durch den Ersten Weltkrieg dramatisch veränderten Welt» (S. 328). Auch für die wirtschaftliche Entwicklung beharrt Jan-Otmar Hesse auf der den Band durchziehenden Grunddiagnose von «Widersprüchlichkeit» (S. 348).
Nach der gewinnbringenden Lektüre von Weimar und die Welt heißt es jedenfalls von der auf den ersten Blick so plausiblen These der Deglobalisierung Abschied zu nehmen. Ungeachtet aller Mehrdeutigkeit war der radikal-nationalistische backlash ab 1933 allerdings ein indirekter Beleg dafür, das unterstreichen Cornelißen und van Laak, «wie stark die rasante Öffnung Weimars zur Welt tatsächlich ausgefallen war» (S. 20). Der als Teil der Schriftenreihe der «Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte» in bewährter Weise gründlich redigierte Band ist im Übrigen mit einem Personenregister versehen. Dies ist heute gerade im Falle von Sammelwerken eine löbliche Ausnahme. Man mag in der zusätzlichen Nachschlage-Möglichkeit ein Indiz dafür erkennen, dass Weimar und die Welt das Zeug zum Referenzwerk hat. In der Tat werden sich an ihm weitere Studien zur globalen Situierung und transnationalen gesellschaftlichen, kulturellen sowie politischen Verflechtung der ersten deutschen Demokratie orientieren können.