Reviewer Ruth Nattermann - Ludwig-Maximilians – Universität München
CitationDie Resistenza bewegte sich bereits wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs in den Fokus der zeitgenössischen Historiographie. Für die junge italienische Republik stellte die Berufung auf Antifaschismus und Widerstand einen wichtigen Legitimationsfaktor dar, der die Kollaboration des faschistischen Regimes mit dem nationalsozialistischen Deutschland im öffentlichen Diskurs und in der Geschichtsschreibung lange Zeit auszublenden vermochte. Gleichzeitig verhinderte der übermächtige Mythos der Resistenza eine differenzierte Erforschung der sozialen, politischen und kulturellen Heterogenität der italienischen Widerstandsbewegung. Heutzutage steht ihre bedeutende Rolle auch im europäischen Vergleich außer Frage. Mitte der 60er Jahre bezeichnete der Philosoph Norberto Bobbio die Resistenza als die einzige europäische Widerstandsbewegung, die auf zweifache Weise für die nationale Befreiung kämpfte, indem sie sich sowohl gegen die deutschen Besatzer als auch die faschistische Diktatur im Inneren auflehnte. Das Standardwerk des Historikers Claudio Pavone Una guerra civile entwickelte diese Idee weiter und markierte damit Anfang der 90er Jahre einen Wendepunkt in der Geschichtsschreibung des italienischen Widerstands.[1].
Zum fünfundsiebzigsten Jahrestag der Befreiung haben nun zwei ausgewiesene Historiker einer jüngeren Generation, Marcello Flores und Mimmo Franzinelli, eine umfassende aktuelle Darstellung der «Storia della Resistenza» vorgelegt, die Inspiration aus den Thesen Bobbios und Pavones schöpft und gleichzeitig auf den zahlreichen Ergebnissen der italienischen wie internationalen Forschung der letzten dreißig Jahre aufbauen kann. Das Ziel der Studie, so die Verfasser, besteht in der Sichtbarmachung der charakteristischen Vielfalt des italienischen Widerstands, der ihn konstituierenden unterschiedlichen Beweggründe, Initiativen und handelnden Personen, die trotz uneinheitlicher Ideale und Praktiken auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiteten: die Wiedereroberung der Freiheit, den Sieg über die nationalsozialistischen Invasoren und die Zerstörung des faschistischen Erbes (S. XIV).
Die weitgehend chronologisch aufgebaute, mehr als sechshundert Seiten starke Studie spannt einen breiten Bogen vom «historischen Antifaschismus» der Vorkriegszeit und den Aktionen der Resistenza seit Beginn des Zweiten Weltkriegs, über den Waffenstillstand mit den Alliierten und die Entwicklung einer neuen antifaschistischen Opposition seit September 1943, bis zur Partisanenbekämpfung und den Massakern der deutschen Besatzer an der Zivilbevölkerung. Die Offensive Kesselrings und die Befreiung Italiens stehen im Zentrum des vorletzten Kapitels, während der letzte Teil den problematischen Umgang mit der faschistischen Vergangenheit im ersten Nachkriegsjahrzehnt thematisiert. Eine Reflexion über die Verdrängung deutsch-italienischer Kriegsverbrechen und das «moralische Erbe» der Resistenza beschließt das monumentale Werk.
Die Stärke der Untersuchung liegt vor allem in der Hervorhebung der involvierten Akteure und Akteurinnen, an denen sich der Verlauf der Untersuchung orientiert, ohne die gesellschaftlichen und politischen Strukturen aus dem Blick zu verlieren. Auf diese Weise kommen von der Forschung oft vernachlässigte, bis heute unbekanntere Aspekte und weniger offensichtliche Erscheinungsformen der Resistenza zum Vorschein. Neben berühmten antifaschistischen Protagonisten wie beispielsweise Ernesto Rossi und Ferruccio Parri geben Flores und Franzinelli auch den sogenannten «italienischen Militärinternierten» eine Stimme, die aufgrund ihrer Weigerung, auf Seiten der RSI weiterzukämpfen, nach Deutschland deportiert wurden und dort Zwangsarbeit verrichten mussten.
Das aktive antifaschistische Engagement Primo Levis wiederum, der sich nach dem 8. September 1943 einer Partisanengruppe im Aostatal anschloss und seine Erinnerung an die folgenschweren Wochen dreißig Jahre später in der Erzählung «Gold» literarisch verarbeitete, thematisieren Flores und Franzinelli im Kontext der durchaus komplexen und selten heroischen Realität des zeitgenössischen Partisanenkampfs. Eine charakteristische «Undurchsichtigkeit» habe bis zum Frühjahr 1944 die Existenz Tausender junger Menschen geprägt, die als Gesetzlose in einem von der Historiographie schwer zugänglichen Niemandsland von «Solidarität und Verrat, Großzügigkeit und Feigheit» (S. 120) agierten.
Der zentralen Bedeutung von Frauen im italienischen Widerstand widmen die Autoren ein eigenes, materialreiches Kapitel. Die Studie distanziert sich damit explizit von der in der Widerstandsforschung jahrzehntelang praktizierten Marginalisierung von Akteurinnen. Auch in der Tradition der Resistenza selbst wurde das Konzept des Kampfes männlich konnotiert, um das Bild des heldenhaften Partisanen zu betonen. Flores und Franzinelli behandeln die Rolle von Arbeiterinnen in den Streiks von 1943, die Hilfe von Frauen für politische Häftlinge und die intellektuelle Arbeit im antifaschistischen Widerstand ebenso wie die Erfahrungen von Partisaninnen, die am bewaffneten Kampf teilnahmen und als Gefangene häufig größerer physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt wurden als ihre Mitstreiter. Dass Frauen ihre Beteiligung in der Resistenza vor allem als «Demokratie-Labor» auffassten, spiegeln die Nachkriegskarrieren von Protagonistinnen deutlich wider, die als Politikerinnen und Mitglieder der verfassunggebenden Versammlung den demokratischen Neubeginn Italiens entscheidend formten.
Der unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs einsetzenden Verdrängung der Verbrechen des deutsch-italienischen Bündnisses stellen Flores und Franzinelli die Partisanenprozesse der Nachkriegszeit gegenüber, deren zweifelhafte Methoden und Ergebnisse sie zurecht als Ausdruck der zeitgenössischen sozialen Konflikte und widerstreitenden, politisch aufgeladenen Erinnerungen an den Krieg werten. Anhand biographischer Fallbeispiele zeigen die Verfasser, wie in einer Zeit nationalen und internationalen Umbruchs die Erinnerung an die Resistenza integraler Bestandteil eines ideologischen Kampfs wurde, dem «Krieg der Erinnerung», wie ihn Filippo Focardi treffend bezeichnet hat.[2].
Im öffentlichen Gedenken an die Resistenza ist häufig ihre heroische Dimension hervorgehoben worden, über die das moralische Vermächtnis des italienischen Widerstands jedoch eindeutig hinausreicht. Persönliche Verantwortung, der Glaube an eine universelle Gemeinschaft zwischen den Menschen und das Ideal eines vereinten, friedlichen Europas auf der Grundlage sozialer Gerechtigkeit sprechen in vielstimmiger Weise aus den letzten Briefen zum Tode Verurteilter. Sie bilden eine «schmerzliche wie hoffnungsvolle Erinnerung an diejenigen, die zum Aufbau unserer Gegenwart beigetragen haben» (S. 555), so Flores und Franzinelli in ihrem Resümee.
Die «Storia della Resistenza» kann schon jetzt als Standardwerk gelten. Die Studie besticht durch den kritischen Blick und das abgewogene Urteil der Autoren, die sich dem schwierigen und nicht selten politisch instrumentalisierten Thema des italienischen Widerstands auf differenzierte Weise annähern. Vergleichende und transnationale Perspektiven, etwa die Vernetzung zwischen italienischem und französischem Widerstand, hätten die weit über den nationalen Rahmen hinausgehende Relevanz der Resistenza stellenweise noch stärker sichtbar gemacht. Hervorzuheben ist die ausgezeichnete Auswahl von teilweise unbekannten Bildquellen und gedruckter Egodokumente, die in den Band aufgenommen wurden. Quellen, Forschungsdiskurse und überkommene Narrative werden kenntnisreich analysiert und kompetent zueinander in Beziehung gesetzt. Das Ergebnis ist eine engagierte, innovative und klar geschriebene Darstellung der italienischen Widerstandsbewegung, deren Akteure und Akteurinnen durch ihre dezidierte Ablehnung und Bekämpfung des Faschismus die Weichen für einen demokratischen Wiederaufbau Italiens wie Europas insgesamt stellten.
[1] C. Pavone, Una guerra civile. Saggio storico sulla moralità nella Resistenza, Torino, Bollati Boringhieri, 1991.
[2] F. Focardi, La guerra della memoria. La Resistenza nel dibattito politico italiano dal 1945 a oggi, Roma-Bari, Laterza, 2005.