Reviewer Christof Dipper - Technische Universität Darmstadt
CitationDer 1989 beginnende Umbruch Europas, ja der Welt, hat die Italiener vollends um ihr bereits vorher labiles nationales Selbstverständnis gebracht und den Kanon der Nationalgeschichte, so scheint es zumindest, beseitigt. Seither gibt es keine Gesamtdarstellungen mehr, die nationale Identität ist ungewiss und die Suche nach den Ursachen in vollem Gange. Dieser Sammelband, aus einer Tagung am ISIG Trento 2012 hervorgegangen, spürt dem nach und stellt die Vulgata der historisch-politischen Defekte, die den italienischen Sonderweg ausmachen, auf den Prüfstand.
Die Problematik ist deutschen Lesern vertraut. Den Deutschen kam bekanntlich, vereinfacht gesagt, am 8. Mai 1945 das hergebrachte nationale Selbstverständnis zusammen mit dem historischen Kanon ebenfalls abhanden. Das wurde lange beklagt, bis kritische Historiker 1960/1970 die These vom deutschen Sonderweg entwickelten. Sie ist inzwischen auch schon wieder weithin Vergangenheit; Hagen Schulze sprach in seinem Buch Aquile e leoni von 1995 die Binsenweisheit aus, dass die Geschichte der europäischen Nationen «eine Geschichte von lauter Sonderwegen» (S. 126 des deutschen Originals) sei. Italien kann also hoffen, und dieser Sammelband möchte dazu einen Beitrag leisten.
Dem negativ konnotierten Sonderweg ging natürlich überall ein positiver voran, dessen italienische Variante hier nicht eigens vorgestellt wird. Wichtiger ist den Herausgebern die Prüfung der diskursbestimmenden Polaritäten auf ihre Triftigkeit hin: Stadt-Staat, Kirche-Moderne, Familie-Gesellschaft, Intellektuelle-Massen, Risorgimento-Revolution und Faschismus-Resistenza. Die Nord-Süd-Problematik wird in vielen Beiträgen mitverhandelt, während die Rolle der Sprach- und Literaturgeschichte vom Rezensenten mangels Kompetenz ausgespart wird. Jedes Thema wurde klugerweise zwei Historikern bzw. Historikerinnen anvertraut. Viele von ihnen verkennen aber leider ihren Auftrag und liefern eher Sach- als Diskursgeschichte, um die es doch eigentlich geht. So bekommt der Leser zwar reichhaltiges Material präsentiert, aber dessen Rolle im Rahmen der Konstruktion oder Dekonstruktion der Nationalgeschichte kommt öfters zu kurz.
Das beginnt gleich beim ersten Thema, dem Staat, dessen eklatante Defizite viele Kritiker auf die lange Existenz der Stadtrepubliken zurückführen. Ihr Erbe habe die Ausbildung des modernen, d.h. zunächst absoluten, dann bürokratischen und schließlich demokratischen Staates behindert. Serena Ferente und Marco Bellabarba, beides Frühneuzeithistoriker, zeichnen weder diese Entwicklung nach noch zeigen sie die Schwachstellen des staatskritischen Diskurses auf.
Besser machen es Daniele Menozzi und Vincenzo Lavenia beim Thema Kirche. Sie gilt als die Hauptschuldige an den Nöten des Landes, denn sie habe die Ursünde der italienischen Geschichte zu verantworten, nämlich die Reformation verhindert, das Tor zur Moderne. Sie sei deshalb schuld an der Dekadenz. Dass Ernst Troeltsch schon 1897 den Nachweis geliefert hat, dass das Luthertum alles andere als modern war, macht die Kritik an der Machtpolitik der Kurie in der Frühen Neuzeit und an der Modernefeindlichkeit der katholischen Kirche im 19. und 20. Jahrhundert nicht obsolet. Aber Menozzi bietet Nachweise an, dass sie an entscheidenden Momenten auch dem italienischen Nationalstaat beigestanden habe, während Lavenia das Desinteresse der Geschichtswissenschaft für die Religion kritisiert und eine überzeugende Erklärung für eine Besonderheit des gegenwärtigen Italien – katholische Fassade, säkularisierte Substanz – vermisst.
Den klassischen Diskurs, dass kleine intellektuelle Zirkel, ja einzelne Intellektuelle, beginnend mit Machiavelli, Bruno und Campanella, die heroische Geschichte Italiens gestaltet hätten, dabei aber bis heute immer wieder von der korrupten herrschenden Klasse gebremst würden, zeichnen Marcello Verga und Luca Baldissara nach. Verga schildert ferner die vor allem nach 1943/1945 entstandenen und von Intellektuellen verwalteten, in Italien auffallend mächtigen Agenturen für Sinnstiftung. Treffend spricht Baldissara von der «Machtergreifung der Vergangenheit» (S. 253) als Hauptmerkmal intellektueller Aktivitäten in Italien. So ist es kein Zufall dass Einaudis Storia d’Italia in fast allen Beiträgen Ausgangs- bzw. Referenzpunkt ist; dazu gibt es in Deutschland nichts Vergleichbares. Gleichwohl sind diese Agenturen seit kurzem in die Krise geraten, aber ihr Niedergang, der auch die Macht der Intellektuellen beschneidet, ist noch nicht untersucht.
Neben der Gegenreformation ist das Risorgimento Inbegriff der von Anhängern der Antistoria (Cusin 1948) ausgemachten Tiefpunkte der nationalen Geschichte, zumal es von diesen spätestens seit 1946 (E. Sereni, La questione agraria nella rinascita nazionale italiana, 1946) für den Faschismus verantwortlich gemacht wird. Einen ganz vorzüglichen Überblick liefert Marco Meriggi mit der treffenden Formel «un Risorgimento che divide». Er wie Antonino De Francesco betont auch, dass der cultural turn den dahinsterbenden Diskurs mit der Entdeckung der Nation wiederbelebt und zugleich Chabods These von der Willensnation für falsch erklärt hat. Kronzeuge ist natürlich Banti. Sein Einfluss kann kaum überschätzt werden, doch missfällt beiden seine Option für die Priorität des Ethnischen. Meriggis Urteil – «Blut und Boden» (auf Deutsch) – ist drastisch und schockiert natürlich den deutschen Leser, will aber nur signalisieren, dass Banti seine Quellen so liest, als entstammten sie der deutschen Romantik. Immerhin, und darauf verweist De Francesco, sei nun das Ottocento wieder ins allgemeine Interesse gerückt – eine Entwicklung, auf die man in Deutschland noch wartet.
Am verblüffendsten für Nicht-Italiener ist wohl der leidenschaftliche Vorwurf, die Familie sei am Unglück der Nation im Allgemeinen und des Südens im Besonderen schuld. Urheber ist bekanntlich der amerikanische Soziologe Edward Banfield, der 1958 im familismo amorale die «moral basis of a backward society» erblickt haben will. Giorgia Alessi und Angela Groppi bezeichnen dies zu Recht als fantasma und kritisieren ihre Landsleute, die sich den Maßstäben einer angelsächsisch geprägten Familiensoziologie, zu der sie auch ihren einflussreichen Kollegen Paul Ginsborg zählen, unterwerfen. Zwar gebe es in der Tat bemerkenswerte regionale Unterschiede in Italien, aber nicht diese seien für die Malaisen verantwortlich, sondern die fatale Politik.
Der letzte Abschnitt gilt dem Faschismus, zu dem Giulia Albanese einen kenntnisreichen Forschungsüberblick liefert, ihn allerdings nicht in epistemische und politische Kontexte einordnet. Es müsste doch, um die neueste Forschung aufzugreifen, auffallen, dass der Drang, das 'Wesen' des Faschismus zu entschlüsseln, angelsächsischen Ursprungs ist, von wo auch der cultural turn kommt, der für die brutale Praxis kaum einen Blick hat. Tommaso Baris bezieht auch die deutsche Forschung ein, was für ein Thema wie dieses unverzichtbar ist. Seine Ausführungen zum Faschismusvergleich heben die Schwachstellen hervor, leider auf Kosten von dessen Leistungen. Verwunderlich ist, dass keiner von beiden die seit 1990 nicht mehr erfolglosen Versuche der italienischen Rechten anspricht, den Faschismus zu 'normalisieren', obwohl Albanese dazu 2012 ein Buch geschrieben hat.
Der Sammelband wäre ohne die umfangreiche Einleitung der beiden Herausgeber weitaus weniger gelungen, denn sie liefern eine so konsequente wie kritische Geschichte der Diskurse jener das italienische Selbstverständnis beherrschenden Vulgata und dekonstruieren auch deren alles überwölbende und heute mehr denn je gepflegte Rede vom «Sonderweg». In der Selbstgeißelung sind die Italiener Weltmeister, wie Jens Petersen schon vor Jahren festgestellt hat. Aber sein Name fällt nur ganz beiläufig an einer Stelle. Mit Bedauern registriert der deutsche Leser, dass die Beiträge der deutschen Forschung, oft selbst in übersetzter Version, südlich der Alpen nicht mehr zur Kenntnis genommen werden. Sogar die 'lateinische Schwester' Frankreich hat ihren Platz zugunsten der englischsprachigen Beiträge verloren. Dass diese angelsächsische Hegemonie ihren Preis hat, registrieren kritisch im ganzen Buch nur Lavenia, Alessi und Groppi. Tatsächlich ist es eben nicht so, dass Engländer und Amerikaner immer ein Korrektiv zur italienischen Forschung sind; Banfield konnte nicht einmal Italienisch.
Traduzione italiana
Lo sconvolgimento dell'Europa, anzi del mondo, iniziato nel 1989, ha completamente privato gli italiani della loro tradizionale immagine nazionale, già in precedenza instabile, e ha scardinato il canone classico della storia nazionale. Da allora non si sono più prodotte grandi narrazioni d'insieme, l'identità nazionale è divenuta incerta e la ricerca delle cause è ancora in pieno corso. Questa raccolta di saggi, frutto di un convegno tenutosi presso l'Istituto Storico Italo Germanico in Trento nel 2012, ne traccia un bilancio e mette alla prova la vulgata dei difetti storico-politici che costituiscono il Sonderweg italiano.
Il pubblico germanofono conosce bene il problema. Come è noto, l'8 maggio 1945 i tedeschi, per dirla in parole semplici, hanno perso la tradizionale immagine nazionale di sé, insieme al canone storico. Ciò è stato lamentato a lungo, fino a quando la critica storiografica non ha sviluppato, negli anni Sessanta e Settanta, la tesi del Sonderweg tedesco. Questa tesi, tuttavia, è già scomparsa dai libri di storia; nel suo volume Staat und Nation in der europäischen Geschichte del 1995 (tradotto da Laterza con il titolo Aquile e leoni: stato e nazione in Europa), Hagen Schulze ha espresso la semplice verità che la storia delle nazioni europee costituisce «eine Geschichte von lauter Sonderwegen» (p. 126 dell'originale tedesco). L'Italia può quindi sperare, e questo volume intende fornire un contributo in tal senso.
L’eccezionalismo connotato negativamente è stato naturalmente preceduto da un eccezionalismo positivo, la cui variante italiana non è qui presentata. Più importante per i curatori è mettere alla prova la validità delle polarità che determinano il discorso storiografico: città-Stato, Chiesa-modernità, famiglia-società, masse-intellettuali, rivoluzione-Risorgimento e fascismo-Resistenza, tralasciando di dedicare una trattazione specifica al problema nord-sud, pur ripreso da molti contributi. Per mancanza di competenze sufficienti non potrò occuparmi del contributo relativo alla storia della lingua e della letteratura. Ciascun argomento è stato opportunamente affidato a due autori, molti dei quali, tuttavia, interpretano male il proprio compito e forniscono una storia più fattuale che discorsiva, laddove quest'ultima costituisce invece il vero oggetto di analisi. Perciò il materiale offerto al lettore è senz'altro ricco, ma il ruolo che esso svolge in relazione alla costruzione o decostruzione della storia nazionale resta spesso sullo sfondo.
Questo appare evidente fin dal primo argomento, lo Stato, i cui evidenti deficit sono attribuiti da molti critici alla lunga esistenza delle repubbliche urbane. La loro eredità avrebbe impedito la formazione di uno Stato moderno, cioè prima assoluto, poi burocratico e infine democratico. Serena Ferente e Marco Bellabarba, entrambi storici della prima età moderna, non tracciano però questo sviluppo né evidenziano i punti deboli del discorso critico sullo Stato.
La tematica è più evidente nei contributi di Daniele Menozzi e Vincenzo Lavenia, dedicati al tema della Chiesa. Essa è considerata la principale colpevole della miseria del paese, in quanto responsabile del peccato originale della storia italiana, cioè di aver impedito la Riforma, ovvero la porta d'accesso alla modernità. Il fatto che Ernst Troeltsch avesse già dimostrato nel 1897 come il luteranesimo fosse tutt'altro che moderno non rende obsolete le critiche alla politica di potere della Curia nella prima età moderna e all'antimodernismo della Chiesa cattolica e nel XIX e XX secolo. Menozzi mostra tuttavia che la Chiesa è stata anche al fianco dello Stato nazionale italiano in momenti cruciali, mentre Lavenia critica il disinteresse degli storici per la religione e rileva la mancanza di una spiegazione convincente per una specificità dell'Italia contemporanea: facciata cattolica, sostanza secolarizzata.
Marcello Verga e Luca Baldissara ripercorrono il discorso classico secondo cui i piccoli circoli intellettuali, anzi i singoli intellettuali, a partire da Machiavelli, Bruno e Campanella, avrebbero plasmato una narrazione eroica della storia dell'Italia, venendo più volte ostacolati da una classe dirigente corrotta. Verga rintraccia anche le potenti agenzie che operarono in Italia questa produzione di senso, emerse principalmente dopo il 1943/1945, e amministrate da intellettuali. Baldissara parla giustamente della «presa di possesso del passato» (p. 253) come la caratteristica principale delle attività degli intellettuali italiani. Non è quindi un caso che la Storia d'Italia di Einaudi costituisca il punto di partenza o di riferimento di quasi tutti i contributi nel volume in oggetto. Non esiste nulla di paragonabile a questa operazione, né in Germania né altrove. Ciò nonostante, queste agenzie sono recentemente entrate in crisi. Un declino che diminuisce anche il potere degli intellettuali, e che non è stato ancora studiato.
Insieme alla Controriforma, il Risorgimento incarna i punti più bassi della storia nazionale individuati dai seguaci dell’antistoria (Cusin 1948) ed è da questi dichiarato responsabile del fascismo già dal 1946 (E. Sereni, La questione agraria nella rinascita nazionale italiana, 1946). Marco Meriggi ne fornisce un'ottima panoramica utilizzando l'efficace formula «un Risorgimento che divide». Come Antonino De Francesco, anche Meriggi sottolinea che il cultural turn ha a sua volta ravvivato l’agonizzante discorso risorgimentale con la scoperta della nazione, e allo stesso tempo ha contribuito a invalidare la tesi di Chabod sul «nazionalismo volontaristico». Il testimone principale è ovviamente Banti. La sua influenza difficilmente può essere sopravvalutata, ma né De Francesco né Meriggi approvano la priorità da lui attribuita all'etnia. Il verdetto di Meriggi – «Blut und Boden» (in tedesco nel volume) – è drastico e naturalmente colpisce il lettore tedesco, ma intende solo segnalare che Banti legge le sue fonti come se provenissero dal romanticismo tedesco. Dopotutto, e De Francesco lo sottolinea, l'Ottocento è stato qui finalmente portato alla ribalta, uno sviluppo ancora atteso in Germania.
Forse la cosa più sorprendente per i lettori non italiani è l'accusa appassionata secondo la quale la famiglia sarebbe responsabile delle disgrazie della nazione in generale e del Sud in particolare. Come è noto, il suo l’ideatore è il sociologo americano Edward Banfield, che nel 1958 afferma di aver individuato nel cosiddetto familismo amorale la «moral basis of a backward society». Giorgia Alessi e Angela Groppi lo descrivono giustamente come «fantasma» e criticano i loro connazionali che si adeguano agli standard di una sociologia della famiglia anglosassone, alla quale riconducono anche il loro influente collega Paul Ginsborg. Certo, le differenze regionali dei sistemi familiari in Italia sono notevoli. Non sono tuttavia queste le cause dei malesseri; lo sono piuttosto le fatali politiche portate avanti da più di un secolo.
L'ultima sezione è dedicata al fascismo, su cui Giulia Albanese fornisce una ricca panoramica della ricerca, senza inquadrarla in contesti epistemici o politici. Riprendendo le ultime indagini, appare evidente che la spinta a decifrare l''essenza' del fascismo è di origine anglosassone. Da qui deriva anche il cultural turn, che difficilmente però prende in considerazione la dimensione intrinsecamente brutale, caratteristica principale di tutti i fascismi. Tommaso Baris riferisce anche della ricerca tedesca, indispensabile per un argomento come questo. Le sue osservazioni riguardo alla storiografia comparativa sul fascismo ne evidenziano i punti deboli, ma trascurano i suoi punti di forza. Sorprende che nessuno dei due affronti i tentativi, attuati dal 1990, non senza successi, dalla Destra italiana, di 'normalizzare' il fascismo, argomento su cui Albanese ha scritto un libro nel 2012.
Il volume sarebbe molto meno riuscito senza l'esauriente introduzione dei due curatori, che forniscono una storia coerente e critica delle trattazioni dialettiche della vulgata dominante nell'autorappresentazione italiana e ne decostruiscono l'onnicomprensivo discorso, oggi più che mai articolato, riguardante l'eccezionalismo italiano. Nell'autoflagellazione, gli italiani sono campioni del mondo, come ha osservato anni fa Jens Petersen, anche se il suo nome ricorre una sola volta, e in modo del tutto casuale. È con rammarico che il lettore tedesco prende atto del fatto che i contributi della ricerca tedesca, spesso anche nelle versioni tradotte, non sono più presi in considerazione a sud delle Alpi. Anche la 'sorella latina', la Francia, ha perso il suo posto privilegiato a favore dei contributi in lingua inglese. Che questa egemonia anglosassone abbia il suo prezzo è un aspetto notato criticamente solo da Lavenia, Alessi e Groppi. In realtà, non è detto che gli inglesi e gli americani siano sempre un correttivo rispetto alla ricerca italiana; Banfield non parlava neppure italiano.