IV, 2021/1

Gerassimos D. Pagratis (ed.)

Le fonti della storia dell’Italia preunitaria

Review by: Magnus Ressel

Editors: Gerassimos D. Pagratis
Title: Le fonti della storia dell’Italia preunitaria. Casi di studio per la loro analisi e “valorizzazione”
Place: Athens
Publisher: PAPAZISSIS PUBLISHERS
Year: 2019
ISBN: 9789600235418
URL: link to the title

Reviewer Magnus Ressel - Goethe-Universität Frankfurt am Main

Citation
M. Ressel, review of Gerassimos D. Pagratis (ed.), Le fonti della storia dell’Italia preunitaria. Casi di studio per la loro analisi e “valorizzazione”, Athens, PAPAZISSIS PUBLISHERS, 2019, in: ARO, IV, 2021, 1, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2021/1/le-fonti-della-storia-dellitalia-preunitaria-magnus-ressel/

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Der vorliegende umfangreiche Sammelband resultiert aus den Arbeiten des 2016 gegründeten «Seminario di Storia e Storiografia Italiana» (SSSI), welches wiederrum einen Teil der Abteilung für italienische Sprache und Literatur der Nationalen und Kapodistrias-Universität Athen bildet. Das SSSI hat im Wesentlichen die Erforschung der italienischen Geschichte zum Ziel, wobei die Verflochtenheit mit der griechischen Geschichte durch eine stärkere Fokussierung auf italienischen Einflüssen auf den östlichen Mittelmeerraum implizit eine gewisse Prominenz in den entsprechenden Forschungen hat. Zwischen Mai 2016 und Mai 2019 fanden 36 Kolloquien des SSSI statt, bei denen exemplarische Quellen präsentiert und intensiv ausgewertet wurden. Ziel war, verschiedenste Herangehensweisen der Quellenanalyse aufzuzeigen, die der Beantwortung der Frage helfen sollen, wie man eine historische Quelle besonders ertragreich liest.

Hierzu haben 29 Forscher vorgetragen, 19 aus Italien, 6 aus Griechenland, 3 aus Frankreich und ein Kanadier. 20 der resultierenden Einzelbeiträge sind auf Italienisch, 6 auf Englisch und 3 auf Französisch verfasst. Chronologisch reichen die Beiträge vom 13. bis ins 19. Jahrhundert. Dabei ist die thematische Varianz enorm, wie gleich zu zeigen sein wird. Geeint werden die Texte vom methodologischen Ansatz, Quellen aus verschiedenen Blickwinkeln intensiv zu analysieren und dabei den Blick auf die Rolle von Italienern und ihrer Sprache leicht weg von der Halbinsel zu wenden. Mit anderen Worten: Die europäische und mediterrane Dimension der italienischen Geschichte soll stärker zum Vorschein treten. Es irritiert allerdings angesichts der gemeinsamen Bezüge der Beiträge, dass nur implizit eine bestenfalls als grob zu bezeichnende Sortierung der Beiträge nach Chronologie und Thematik vorgenommen wurde. Eine Untergliederung in explizit benannte Oberkapitel (z.B. wirtschaftshistorische Quellen, diplomatiehistorische Quellen etc.) hätte sich eigentlich angeboten und einen höheren Grad an Systematik gebracht. Im Folgenden werden Absätze zwischen die implizit erkennbaren Themenblöcke des Sammelbandes gesetzt.

Im ersten Beitrag widmet sich Rosamaria Alibrandi einer Bulle von Papst Gregor IX. an das Kloster Tiglieto im Zusammenhang eines Rechtsstreites. Sie bettet diese Quelle in den allgemeinen Kontext des Konflikts zwischen dem Papst und Kaiser Friedrich II. und der damit einhergehenden Zusammenstellung des berühmten Liber Extra ein. Maria Antonietta Russo beleuchtet Testamente sizilianischer Adeliger des 14. Jahrhundert. Sie schlüsselt diese nach spezifischen Inhalten auf, um sie in ihrer Reichhaltigkeit zu erfassen. Daniela Santoro analysiert ein Inventar von 1476, welches in Palermo nach dem Tod des Erzbischofs erstellt wurde und mittels der Auflistung der Gegenstände des erzbischöflichen Palastes sowie des Schlosses Uscibene eine Art von 'Blick' in das Innere dieser gestattet. Jean-Claude Hocquet stellt venezianische Schuldscheine des frühen 15. Jahrhunderts vor, die von der Republik genutzt wurden, um ihre Kampagnen auf der Terraferma zu finanzieren. Dabei kann er auch den Handel mit diesen Scheinen zwischen privaten Eigentümern und die Abhängigkeit desselben von der politisch-militärischen Lage herausarbeiten. Andrea Bocchi zeigt, wie man durch linguistische Methoden die Urheberschaft von einigen berühmten mittelalterlichen Autoren und ihren Werken überprüfen kann. Er gibt hierfür mehrere sehr verschiedene Beispiele, unter anderem De Canaria von Boccaccio oder auch Kaufmannsbriefe an Francesco Datini.

Isabella Lazzarini präsentiert eine 'klassische' Quelle, einen diplomatischen Brief kurz vor Ausbruch der Italienischen Kriege (1494). Sie interpretiert diesen nicht als Ausdruck einer besonderen Modernität der italienischen Staatswesen, sondern im Rahmen einer Praxis der Diplomatie, die von vielerlei Komplexitäten, Widersprüchlichkeiten und Wandlungsprozessen durchzogen war. Monica del Rio erläutert aus der Perspektive einer Archivarin die Dispacci der venezianischen Botschafter im Staatsarchiv Venedig. Die Erklärungen zu den verschiedenen Serien sind äußerst hilfreich und enthüllen eine beeindruckende Komplexität des venezianischen Gesandtschaftswesens. Mathieu Grenet stellt ein seit dem Mittelalter besonders typisches amtliches Dokument der Republik Venedig vor. Die abschließende Relazione des provveditore straordinario der Insel Lefkada, Sebastiano Morosini, der hier 1777-1780 gewirkt hatte, ist ein 46 Seiten umfassender Grundsatzbericht über die 1684 eroberte Insel, ihre strukturellen Probleme angesichts der Nähe zum osmanischen Reich und die Aktivitäten, die Morosini hier entfaltet hat.

Maria Pia Pedani widerlegt minutiös und unter Verwendung osmanisch geschriebener Quellen die Legenden, dass die Favoritin des osmanischen Prinzen und Sultans Selim II. und Mutter des späteren Sultans Murad III., Nur Banu (1525-1583) eine illegitime Tochter eines venezianischen Adeligen war. Sie erklärt den Ursprung der Legende mit der Faszination und Furcht vor dem Orient und dem osmanischen Reich, die beide im Venedig des 16. Jahrhunderts vorherrschten. Sevasti Lazari führt den Leser wieder zur Insel Lefkada, über welche er einen zweiseitigen Bericht von Efstathios Marinos aus dem Jahr 1623 an den Herzog von Nevers, den Proponenten eines Kreuzzugsunternehmens gegen das osmanische Reich, vorstellt. Anhand des Berichtes, welcher vor allem militärische Zwecke hat, kann Lazari viele Rückschlüsse auf Marinos – als ein Grieche von höherem Rang, der wohl in Piraterie verwickelt war – ziehen.

Alessio Sopracasa beschäftigt sich mit der Erstellung von Handelsquellen im venezianisch-mediterranen Kontext. Dabei zeigt er auf, wie die Verfasser von Zolltariflisten anderer Länder (das Beispiel ist der «Syrische Tarif» des 16. Jahrhunderts) und Kaufmannshandbüchern an ihre Informationen kamen und diese zusammenstellten. Christophe Austruy kann durch eine systematische Analyse der Bernardino Zendrini zugeschriebenen Karte des venezianischen Arsenals von 1722 die Hypothese plausibilisieren, dass diese eine Überarbeitung einer Karte der Jahre um 1600 ist und damit die erste Darstellung von verschiedenen Aspekten dieser Werft wäre. Umberto Signori beleuchtet die Korrespondenzen der venezianischen Konsuln von Izmir zwischen 1670 und 1715 und wie diese versuchten, mittels ihrer einzigen verfügbaren Ressource, ihrer Briefe, Berichte und Suppliken, die Position ihres Amtes zu stabilisieren und den eigenen Rang in der Republik aufzuwerten. Danilo Pedemonte wirft einen Blick auf eine im Kontext des Sammelbandes ungewöhnliche Quellengattung. Die State Papers im Britischen Nationalarchiv enthalten die konsularische und diplomatische Korrespondenz zwischen der Toskana und Großbritannien, die er für die 13 Jahre nach Ende der Medici-Herrschaft betrachtet (1737-1750). Hauptsächlich die sehr bedeutende Gruppe der in der British Factory organisierten Kaufleute in Livorno tritt hierbei in ihren verschiedenen Bezügen zum Großherzogtum Toskana unter der neuen Dynastie mit ihren Reformprojekten hervor.

Walter Panciera nimmt die Quellengattung der «prove di fortuna» (Verklarungen/Seeproteste) in den Blick. Diese notariell beglaubigten Erklärungen zu Schäden an Fracht oder Kasko durch Seeunfälle (z.B. wegen Unwetters) sind in Venedig in einer großen Anzahl überliefert. Sie ermöglichen dank ihrer präzisen Angaben zu vielen Details der jeweiligen Frachtfahrt bei einer quantitativ-qualitativen Auswertung einen einmaligen Einblick in die venezianische Seefahrtsgeschichte. Fabio Paolo Di Vita wertet die Rechnungsbücher sizilianischer Adeliger aus, um deren Konsumgewohnheiten und -ausgaben im frühen 19. Jahrhundert nachzuvollziehen. Mittels statistischer und mathematischer Methoden kommt er zum Ergebnis, dass das Ziel des adeligen Konsums auch im 19. Jahrhundert wie vormals die Erhöhung des eigenen Prestiges war. Katia Occhi widmet sich den Akten des venezianischen Notariatsarchivs. Durch die minutiöse Auswertung eines Notariatsinstruments von 1586 gelingt ihr die Erfassung von komplexen Händlernetzwerken und dem Phänomen der ökonomischen Integration der Holzwirtschaft des Südtiroler-Trentiner Raums in die Wirtschaftskreisläufe der Republik Venedig – die dieses für den eigenen Bedarf und den Weiterexport benötigte. Efi Argyrou zieht ebenfalls Akten aus dem venezianischen Notariatsarchiv zur Situation des 18. Jahrhunderts auf der Insel Lefkada heran. Sie nutzt diese, um mittels einer systematischen Analyse die ökonomischen Strukturen der Insel zu durchdringen, wobei sie sich insbesondere für die Pastoral-, Weide- und Viehwirtschaft interessiert. Michela D‘Angelo nutzt Quellen des Notariatsarchivs von Messina, um viele Aspekte der Stadtgesellschaft um 1800 herum zu erfassen. Dabei gelingt es ihr, ein reichhaltiges Kaleidoskop, von der Seefahrts- bis zur Geschlechtergeschichte reichend, darzustellen.

Stathis Birtachas betrachtet die Aktivitäten der römischen Inquisition in Zypern in dessen letzten Vierteljahrhundert unter venezianischer Herrschaft (1544-1571). Die Dokumente der Inquisition zeigen den Einfluss und die Verfolgung des Protestantismus mitteleuropäischer Prägung in Zypern, der vor allem durch Zyprioten aus der Elite über deren Besuche in Italien zur Insel gebracht wurde. Angela Falcetta zeigt den Wert von speziellen Beständen des vatikanischen Archivs zur Rekonstruktion von einigen historischen Aspekten der Italogreci, also Griechen, die seit dem ausgehenden Mittelalter in Italien lebten. Die römische Kurie betrachtete diese als eine Gruppierung, der sie besonderen missionarischen Eifer angedeihen ließ, was zu Konflikten und damit einer erhöhten Sichtbarkeit in den einschlägigen Beständen des vatikanischen Archivs geführt hat. Giorgos Plakotos analysiert Dokumente des venezianischen Inquisitionsarchives mit dem Instrumentarium der jüngeren Kulturgeschichte. Die dadurch ermöglichte Erfassung tieferer Dimensionen dieser Quellengattung beeindruckt und führt die Stärke des Ansatzes deutlich vor. Gregory Hanlon erläutert in einem methodologischen Aufsatz das Potential einer betont anthropologisch orientierten Analyse von Gerichtsprotokollen, die kein normatives Idealverhalten aufzeigen, sondern einen Blick auf «actual behaviour in early modern Europe» erlauben.

Androniki Dialeti präsentiert einige italienische Schriften seit der Renaissance, die sich für Frauen und ihre Rechte einsetzten. Diese werden in ihrem Entstehungs- und Wirkungszusammenhang eingehend betrachtet und am Schluss die Frage aufgeworfen, ob solche Texte, wenn sie von Männern verfasst wurden, nicht einem Männlichkeitsideal folgen, da die Autoren sich hierdurch besonders inszenieren wollten. Maria-Konstantina Leontsini fokussiert sich auf den 1772 in Paris erschienenen Essai sur le caractère les moeurs et l’esprit des femmes dans les différens siècles von Antoine Léonard Thomas, den sie eingehend kontextualisiert und auf Querbezüge hin untersucht. Der Text weist viele Referenzen zur damals bereits historisch gewordenen Querelle des femmes auf, insbesondere zu den italienischen Protagonistinnen hierbei. Mirella Vera Mafrici macht es sich zur Aufgabe, durch eine reiche Quellenauswahl die Umstände der 1738 vollzogenen Heirat des 1734 gekrönten Königs beider Sizilien, Karl VII., mit Maria Amalia von Sachsen (1724-1760) detailliert zu beschreiben – inklusive der euphorischen Aufnahme, die die junge Königin in ihrem neuen Königreich fand. Nicht unähnlich präsentiert sich der nächste Aufsatz von Claudia Pingaro. Sie nutzt Quellen aus dem Staatsarchiv Neapel, um den Besuch des schwedischen Königs Gustav III. im Jahr 1784 im Detail zu beschreiben. Federico Martino analysiert ein Porträt des italienischen Künstlers Vincenzo Chialli, welches dieser 1821 von und für seinen Zahnarzt Luigi Cabonargi gemalt hat. Letzterer stand in den 1830er Jahren in gutem Kontakt zu Stendhal. Martino nutzt Bildinhalt und -inschrift, um zwischen diesen dreien Bezüge herzustellen. Rosa Maria Delli Quadri untersucht Dokumente britischer Diplomaten über die neapolitanische Revolution von 1820/1821. Diese zeigen eine deutlich anti-revolutionäre Gesinnung auf britischer Seite auf, die mit den britischen Interessen im Mittelmeer erklärt werden kann.

Der umfangreiche Sammelband bietet Zugang zu diversen, höchst unterschiedlichen Quellengattungen und inspiriert zu verschiedenen Analysezugängen. Quasi 'nebenbei' lernt man vieles über die italienisch-mediterrane Geschichte vom Spätmittelalter bis ins frühe 19. Jahrhundert. Eine gewisse Straffung oder Systematisierung hätte man sich manchmal gewünscht. So ist nicht bei jedem Artikel eine Quelle abgedruckt und bisweilen sind Stil und Rechtschreibung nicht geglückt. Doch dies bleiben kleine Monita in einem insgesamt sehr anregenden und inspirierenden Band.

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