III, 2020/3

Shelley Baranowski, Armin Nolzen, Claus-Christian W. Szejnmann (eds.)

A Companion to Nazi Germany

Review by: Tobias Freimüller

Editors: Shelley Baranowski, Armin Nolzen, Claus-Christian W. Szejnmann
Title: A Companion to Nazi Germany
Place: Blackwell
Publisher: Wiley
Year: 2018
ISBN: 9781118936900
URL: link to the title

Reviewer Tobias Freimüller - Fritz Bauer Institut - Frankfurt

Citation
T. Freimüller, review of Shelley Baranowski, Armin Nolzen, Claus-Christian W. Szejnmann (eds.), A Companion to Nazi Germany, Blackwell, Wiley, 2018, in: ARO, III, 2020, 3, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2020/3/a-companion-to-nazi-germany-tobias-freimuller/

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Die Reihe «Companions to World History» verspricht Zusammenfassungen des Forschungsstandes zu einzelnen Feldern Europäischer Geschichte. Die Konzeption eines Bandes über «Nazi Germany» ist dabei ein ebenso naheliegendes wie ambitioniertes Unterfangen, zumal es an englischsprachigen Sammelbänden zum Thema nicht mangelt. Den Herausgebern Shelley Baranowksi, Armin Nolzen und Claus-Christian Szejnmann ist es gelungen, eine ganze Reihe von ausgewiesenen Expertinnen und Experten zu gewinnen, deren Beiträge nicht nur einen komprimierten Überblick über wichtige Themen der Geschichte des NS-Staates liefern, sondern dabei auch die Forschungsentwicklung und aktuelle Debatten abbilden.

In einem vorgeschalteten Kapitel Hintergrund, Theorien und Kontext skizziert Geoff Eley zunächst den Wandel der Interpretationen und Erklärungen des Nationalsozialismus seit 1945. Die Debatte um dessen «Modernität» aufnehmend, interpretiert Konrad H. Jarausch den Nationalsozialismus als Massenbewegung, die eine spezifische «organische» Vision von Moderne hatte (S. 33), die vor allem biopolitisch fundiert war. Benjamin Ziemann unterstreicht die Bedeutung, die die Erfahrung des Ersten Weltkriegs für den Aufstieg des Nationalsozialismus hatte. Wie auch Shelley Baranowski in ihrem Beitrag über den Kollaps des Weimarer Parteiensystems betont Ziemann, dass die Weimarer Republik durchaus nicht zum Scheitern verurteilt war und erst in ihren letzten Jahren in eine tiefe Krise geriet.

Insgesamt 29 Beiträge behandeln anschließend die verschiedensten Aspekte der NS-Geschichte, geordnet sind sie in drei Kapitel: Strukturen nationalsozialistischer Herrschaft, Wirtschaft und Kultur, sowie Rasse, Imperialismus und Genozid. Dass der Band zum Ziel hat, auch neuere Forschungstendenzen und -themen abzubilden, zeigen Beiträge zu einer spezifisch nationalsozialistischen Moral (Thomas Kühne), zur Geschichte der Gefühle (Alexandra Przyrembel) und zur Umwelt- und Naturgeschichte (Charles E. Closmann). Es fehlen aber auch die klassischen Bereiche der NS-Forschung nicht. Jens-Uwe Güttel behandelt beispielsweise die institutionelle Zerschlagung der Arbeiterbewegung und die ambivalente Stellung der – keineswegs homogenen – Arbeiterschaft zum NS-Regime, Detlev Schmiechen-Ackermann stellt die verschiedenen Forman des Widerstands dar, Stephen G. Gross schreibt über die Wirtschaftsordnung des NS-Staates und Kim Christian Priemel über die Unternehmen im Nationalsozialismus.

Die Beiträge folgen dabei einer Interpretationslinie, die die Herausgeber/innen in ihrer Einleitung umreißen. Neuere Tendenzen der NS-Forschung, namentlich der «cultural turn», die intensivierte Holocaustforschung nach dem Ende des Kalten Krieges sowie neue Debatten über die Kolonialgeschichte und über die NS-«Volksgemeinschaft» legten nahe, dass eine Dichotomie von «Herrschaft» und «Gesellschaft» nicht mehr geeignet sei, das Verhältnis zwischen deutscher Gesellschaft und dem NS-Regime zu beschreiben. Im Sinne eines «societal turn» (S. 2) verstehe man den NS-Staat vielmehr als einen Typ moderner genozidaler Regime, in dem Politik, Wirtschaft, Recht, Kunst und Erziehungswesen sich verschränkten und an dem mehr oder weniger alle Bereiche der Gesellschaft beteiligt waren. In dieser Perspektive lassen sich Anpassung und Einverständnis als die verbreiteten Verhaltensmuster der Deutschen identifizieren, Widerstand war die seltene Ausnahme.

Generell sind es weniger politische Strukturen oder die Ereignisgeschichte, für die sich die Beiträge interessieren. Im Mittelpunkt steht die Frage, «wie der Nationalsozialismus imstande war, die deutsche Gesellschaft zu infiltrieren und zu mobilisieren und zu zeigen, in welchem Maße 'normale Deutsche’ dazu beiztrugen» (S. 2). Diese gesellschaftsgeschichtliche Sicht ist nicht ganz neu, aber sie trägt der Entwicklung der NS-Forschung Rechnung und ermöglicht wertvolle Einsichten. Pamela E. Swett interpretiert beispielsweise die Konsumwelt und das Versprechen des Massentourismus als Signale, der Nationalsozialismus werde die Klassenschranken aufheben und Aufstieg und Partizipation auch für die «kleinen Leute» ermöglichen. Isabel Heinemann verweist darauf, dass die Politik von Zwangssterilisation und «Euthanasie» dort durchaus auf Ängste und Vorbehalte traf, wo sie drohte, womöglich auch Alte und Kranke und damit Teile der «Volksgemeinschaft» selbst zu treffen. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Beiträge das Nachdenken über die «Volksgemeinschaft», wenn auch der Begriff und Reichweite und Probleme seiner analytischen Verwendung an keiner Stelle systematisch diskutiert werden. Die Haltung der Deutschen zum Regime in all ihrer Ambivalenz von partieller Ablehnung, Indifferenz und begeisterter Zustimmung differenziert darzustellen ist die Stärke des Bandes.

Die Konzentration auf Sozial- und Gesellschaftsgeschichte führt aber auch dazu, dass andere, vormals intensiv diskutierte Bereiche der NS-Geschichte kaum in den Blick geraten. Die Person Hitlers und die Mechanismen seiner Herrschaft spielen ebenso wenig eine Rolle wie die große Politik schlechthin. Auch über die Außenpolitik des NS-Staates, über die Wehrmacht und über die Ereignisgeschichte des Krieges erfährt man wenig. Der Blick richtet sich wiederum nach innen – auf die Kriegsvorbereitungen des Regimes und auf den Prozess der «sozialen Militarisierung» (Jörg Echternkamp, S. 489).

Die Entscheidung, den Holocaust in einem eigenen Band zu behandeln, ist vor dem Hintergrund der immens erweiterten Forschung und angesichts der europäischen Dimension des Mordes an den Juden sehr plausibel – A Companion to the Holocaust ist inzwischen 2020 erschienen[1] – und dennoch entsteht daraus unweigerlich eine Leerstelle in dem Band über «Nazi Germany». Einzelne Aspekte des Themas werden durchaus angesprochen, so in Andrea Löws Beitrag zu den Ghettos und in Deborah Dworks anregendem Text über Flucht und Exil. Wendy Lower behandelt den Holocaust indirekt, indem sie die Forschungsentwicklung und den «spatial turn» in den Blick nimmt. Isabel Heinemann skizziert in ihrem Aufsatz zur Rassenpolitik des NS-Regimes auf knappstem Raum nicht nur die lange Geschichte von Eugenik, Rassenhygiene und Rassismus, sondern auch die Politik von Zwangssterilisation und «Euthanasie» im NS-Staat sowie dessen Versuche der «Germanisierung» des Ostens. Dieter Pohl behandelt unter der Überschrift «Terror» in ebenso konzentrierter Form die gesamte Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik ausgehend von der politischen Gewalt der Weimarer Republik über die Entwicklung des Systems der Konzentrationslager, die Eskalation der Gewalt im Krieg bis zur Massenvernichtung. Vieles kann dabei naturgemäß nur erwähnt und nicht erklärt werden.

Eher kursorisch müssen auch drei abschließende Beiträge ausfallen, die «Memories» (Aleida Assmann) und «Remembering» (David Clarke) der NS-Geschichte in der Bundesrepublik und in der DDR behandeln sowie Präsentation und Vermittlung der Vergangenheit (Karl Heinrich Pohl und Astrid Schwabe). Für ein englischsprachiges Lesepublikum ist der Ausblick auf die Nachgeschichte des Nationalsozialismus gleichwohl interessant und wertvoll.

Insgesamt bietet der Band eine überzeugende Zusammenschau neuerer Debatten und des Forschungsstandes zum nationalsozialistischen Deutschland, die sowohl Studierenden als auch einem allgemeinen Publikum einen differenzierten Überblick vermittelt. Der Titel A Companion to Nazi Germany ist dabei allerdings insofern wörtlich zu nehmen, als dass die europäische Dimension von Krieg und Holocaust ebenso wenig im Zentrum steht wie die Herrschaftsstrukturen des «Dritten Reiches». Es ist die Geschichte der deutschen Gesellschaft im Nationalsozialismus, über die man sich hier präzise informieren kann.

[1]  H. Earl - S. Gigliotti (eds.), A Companion to the Holocaust (Wiley-Blackwell Companions to World History), Hoboken NJ, Wiley-Blackwell, 2020.

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