III, 2020/2

Tommaso Detti, Giovanni Gozzini

L'età del disordine

Review by: Thomas Kroll

Authors: Tommaso Detti, Giovanni Gozzini
Title: L'età del disordine. Storia del mondo attuale, 1968-2017
Place: Bari-Roma
Publisher: Laterza
Year: 2018
ISBN: 9788858130674
URL: link to the title

Reviewer Thomas Kroll - Friedrich-Schiller-Universität Jena

Citation
T. Kroll, review of Tommaso Detti, Giovanni Gozzini, L'età del disordine. Storia del mondo attuale, 1968-2017, Bari-Roma, Laterza, 2018, in: ARO, III, 2020, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2020/2/leta-del-disordine-thomas-kroll/

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Die Globalisierung hat die Welt seit den ausgehenden 1960er Jahren grundlegend verändert, so lautet die Kernthese des Bandes von Tommaso Detti und Giovanni Gozzini. Als Phase der Beschleunigung dieses Prozesses machen die beiden Historiker die Jahre von 1968 bis 1973 aus, in der die aktuelle Welle der Globalisierung mächtigen Auftrieb erhalten habe. Als Globalisierung wird die «Gesamtheit der internationalen Bewegungen von Waren, Kapitalien, Personen und Informationen» (S. V) verstanden, die zu einem bisher unbekannten Ausmaß weltumspannender Verflechtung in allen Bereichen menschlicher Gesellschaften geführt habe. Die Globalisierung erscheint quasi als Antriebskraft des historischen Wandels, der die Welt seit 1968 in das «Zeitalter der Unordnung» geführt habe, in das die Erzählung der beiden Verfasser eine historiographische «Ordnung» (S. V) bringen soll. Dazu werden in dem Band unterschiedliche Dimensionen der Globalisierungsprozesse systematisch aufgeschlüsselt und anschaulich präsentiert. Im Anhang des Bandes findet sich zudem ein konzises Kapitel zum italienischen «Fall», der allerdings aus einer eher europäischen Perspektive präsentiert wird. Angesichts des Forschungsstandes kann man dies Detti und Gozzini nicht anlasten, doch wird gleichwohl deutlich, dass die europäische Zeithistorie vor der Herausforderung steht, nationale Geschichte in ihren globalen Wirkungszusammenhängen zu erzählen. Umso mehr gilt es zu unterstreichen, dass die sechs Hauptkapitel des Bandes eine konsequent globale Perspektive einnehmen und die Globalisierung seit den 1960er Jahren präsentieren, indem sie die Geschichte der westlichen Welt sowie Asiens und (etwas weniger detailliert) Südamerikas oder Afrikas im Zusammenhang erzählen. Die Globalisierung wird dabei keineswegs als Folge eines «Komplotts» (S. V) dargestellt, sondern als historischer Prozess, der unumkehrbar sei und durch politische Interventionen bestenfalls gelenkt werden könne. Insofern wird die Globalisierung als quasi natürlicher Modernisierungsprozess (mit Vorzügen, Kosten und Pathologien) interpretiert und damit zu einer Schlüsselkategorie für die Interpretation der Gegenwartsgeschichte erhoben.

In einem ersten Kapitel, in dem die Handels- und Kapitalströme thematisiert werden, arbeiten Detti und Gozzini heraus, dass sich seit der Krise von 1973 der Kapitalmarkt grundlegend verändert habe, weil das Kapital zunehmend in einem «selbstreferentiellen Bereich» (S. 8) investiert werde. Dies habe mehr und mehr eine Tendenz zur Instabilität hervorgebracht, der von neoliberalen Regierungen noch Vorschub geleistet worden sei, weil sie günstige Handlungsbedingungen für multinationale Konzerne geschaffen hätten. Auch die Maßnahmen der Welthandelsorganisation hätten Zentralisierungsprozesse und die Dominanz des Finanzkapitals gefördert. Dass die «Finanzialisierung der Weltwirtschaft» (S. 5) freilich auch an Grenzen stoßen und es im Prozess der Globalisierung zu erheblichen Schwankungen kommen könne, habe die Finanzkrise von 2008 gezeigt.

Ein großer Vorzug des Bandes besteht darin, dass sich die Analyse der Globalisierung nicht auf die Betrachtung des kapitalistischen Systems und der Finanzströme beschränkt, sondern dass eine umfassende Strukturgeschichte angeboten wird. Als zentrales Element der Globalisierung werden im zweiten Kapitel nämlich die Migrationsströme herausgehoben und deren Ursachen behandelt (Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung, Urbanisierungsprozesse, Kriege, Traditionen von Wanderungsbewegungen etc.). Im Anschluss daran befasst sich das dritte Kapitel mit den Folgen von «1968», dem Wandel der Familienstrukturen, den Generationen der Babyboomer, die es allerdings nur in der westlichen Welt gegeben hat, und den globalen Emanzipationsbewegungen der Frauen. Wie die Analyse der Wirkungen neuer Medien zeigt, bringen die durch das Internet hervorgebrachten Kommunikationsstrukturen auch Risiken mit sich. Die global voranschreitende Nutzung des Internets kann demnach durchaus zu politischen Polarisierungen führen und muss keineswegs zwangsläufig Prozesse der Demokratisierung fördern.

Das vierte Kapitel des Bandes befasst sich mit der Epoche des Kalten Kriegs und dem Niedergang der Sowjetunion, deren Auflösung nicht zu verhindern gewesen sei, weil sich der Ostblock und die realsozialistischen Staaten in Europa den Globalisierungstendenzen nicht hätten entziehen konnten. Dass Gorbatschow dennoch eine zentrale Rolle als persönlicher Faktor in der Geschichte spielte, wird deutlich, wenn man die Entwicklungen in China, Kuba oder Nordkorea betrachtet, wo die Machthaber die Demokratisierungstendenzen und die Auflösung der politischen Systeme mit massiver Gewalt oder auch erzwungener «antiglobaler Isolation» (S. 127) verhinderten.

Das chronologisch anschließende, fünfte Kapitel widmet sich der Epoche seit den 1990er Jahren und filtert heraus, dass der durch die ökonomische Globalisierung forcierte Aufstieg Chinas zu einer multipolaren Weltordnung geführt habe, die durch zunehmende Fragmentierung gekennzeichnet sei, weil es keine Hegemonialmacht mehr gebe, welche die Weltpolitik steuern könne. Auch zahlreiche Kriege in Asien und Afrika, das Aufkommen des Islamismus und die Welle neuer Nationalismen seien nicht zuletzt auf die Ungewissheiten der neuen globalen Machtverteilung zurückzuführen. Allerdings liegt es den Autoren fern, die Weltordnung des Ost-West-Konflikts zu verklären, denn aufgrund der hohen Zahl an kriegerischen Auseinandersetzung sei der Kalte Krieg als «blutigste Epoche der Geschichte» (S. 185) zu betrachten. So werden im Schlusskapitel auch mit verhaltenem Optimismus «Szenarien» der Entwicklung entworfen. Als zentrale Probleme des «Zeitalters der Unordnung» werden die zunehmende soziale Ungleichheit und Armut, der Kampf gegen die Unterentwicklung in der südlichen Hemisphäre sowie die Regulierung des Finanzkapitalismus ausgemacht. Mit ihrer konzisen und problemorientierten Darstellung bieten Detti und Gozzini, so lässt sich zusammenfassend feststellen, eine vorzügliche Einführung in die Geschichte der «gegenwärtigen Welt».

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