Reviewer Wilfried Loth - Universität Duisburg-Essen
CitationDie italienische Außenpolitik seit dem Zweiten Weltkrieg war lange Zeit ein Stiefkind der historischen Forschung. Insbesondere die restriktive Archivpolitik des italienischen Außenministeriums, das keinen Zugang zu den Akten der republikanischen Ära gewährte, hat dazu geführt, das quellengestützte Arbeiten zur Außenpolitik Italiens selten blieben und Italien auch in Arbeiten zu größeren Zusammenhängen wie dem Kalten Krieg oder der europäischen Einigung eher am Rande vorkam. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Zum einen sind Archivbestände der politischen Parteien und wichtiger außenpolitischer Akteure zugänglich geworden, von Alcide De Gasperi und Amintore Fanfani über Aldo Moro, Mariano Rumor und Giulio Andreotti bis zu Bettino Craxi. Zum anderen hat eine jüngere Generation von Historikerinnen und Historikern begonnen, sich für die Zusammenhänge von innerer und äußerer Politik zu interessieren, für die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen von Außenpolitik ebenso wie für die Folgen außenpolitischer Entscheidungen für die Entwicklung des politischen Systems. Im Falle Italiens, wo sich die Ost-West-Polarisierung in einer innenpolitischen Polarisierung zwischen regierender Democrazia Cristiana und kommunistischer Opposition wiederspiegelte, ist ein solches erweitertes Verständnis von Außenpolitik von besonderem Reiz.
Antonio Varsori aus Padua, der Pionier der neuen Generation von Außenpolitik-Historikern, präsentiert in diesem Band zusammen mit Benedetto Zaccaria vom Europäischen Hochschulinstitut in Florenz eine Reihe ihrer Ergebnisse. Zum Teil sind es zusammenfassende Darstellungen, die die Erträge umfassender italienischer Studien für ein internationales Publikum aufbereiten. Daneben stehen aber auch originäre Forschungsbeiträge zu Einzelfragen und analytische Interpretationsangebote, die zur Strukturierung des Themenfelds beitragen. Im Mittelpunkt steht die italienische Politik im Zeichen der Entspannung und ihrer Krise in den 1970er und 1980er Jahren. Es finden sich aber auch Beiträge, die bis zur Grundlegung italienischer Nachkriegspolitik im beginnenden Kalten Krieg zurückgehen. Varsori selbst beginnt seine Darstellung von Themen der 1980er Jahre mit den Großmacht-Ambitionen der liberalen Eliten des Risorgimento.
Mario Del Pero und Federico Romero machen in ihrem einleitenden Essay auf zwei Wendepunkte in der außenpolitischen Konditionierung Italiens aufmerksam: Nachlassende Furcht vor einem Ausgreifen der Sowjetunion auf das westliche Europa und zunehmende Frustration über italienische Modernisierungs-Resistenz ließen den Reformdruck, der von den USA ausging, in der ersten Hälfte der 1960er Jahre hinter das Bemühen zurücktreten, die Auswirkungen der Entspannung zu begrenzen; das hieß in erster Linie: die Kommunisten von einer Regierungsbeteiligung fernzuhalten. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre wurde dann deutlich, dass an die Stelle der einseitigen Abhängigkeit von den USA der „Schock des Globalen“ getreten war: eine vielfältige Einbettung in internationale Zwänge, die zu einer Multilateralisierung des Außendrucks und zum Übergang in eine weniger protektionistische globale Ordnung führte.
Marinella Neri Gualdesi illustriert diesen zweiten Wandlungsprozess anhand der Beteiligung Italiens an den G6/G7-Gipfeln seit 1975: Die aktuelle wirtschaftliche Schwäche des Landes, verbunden mit sozialen Unruhen, die die Chancen der Kommunisten mehrten, bewogen Helmut Schmidt, auf eine Teilnahme des italienischen Regierungschefs an den Krisengipfeln der führenden westlichen Industriemächte zu drängen; und genau diese Schwäche ermöglichte es Moro und Rumor dann auch, die Beteiligung gegen französischen Widerstand durchzusetzen. Allerdings wurden Wirtschaftshilfen im Kontext des Gipfels von Puerto Rico Ende Juni 1976 an strenge Auflagen gebunden, und ein öffentliches Statement von Schmidt am 16. Juli machte implizit deutlich, dass dazu auch ein Fernhalten der Kommunisten von der Regierung gehörte. Das Ergebnis des Manövers war die Bildung der Regierung Andreotti im August bei der sich die Kommunisten der Stimme enthielten, während sie die notwendigen Sanierungsmaßnahmen loyal unterstützten.
Silvio Pons sieht in dem Fernhalten der Eurokommunisten von der Regierung den entscheidenden Grund für eine anhaltende Krise der politischen Stabilität, die nach dem Fall der Berliner Mauer zum Zusammenbruch des politischen Systems führte. Dem ist freilich das hohe Maß an außenpolitischen Konsens entgegenzuhalten, der aus vielen weiteren Beiträgen des Bandes spricht: nicht nur bei der Bewältigung der Grenzen eines Wachstumsmodells, das ursprünglich auf Wettbewerbsfähigkeit durch billige Arbeitskraft gesetzt hatte (Francesco Petrini), sondern auch in der kritischen Distanz zu den USA (Valentine Lomellini / Benedetto Zaccaria), in den Beiträgen zur Entwicklung einer europäischen Nahostpolitik (Elisabetta Bini) und einer globalen Umweltpolitik (Sara Lorenzini) sowie in dem Engagement für eine umfassendere Entwicklungshilfe (Elena Calandri). Dass hier Vieles aufgrund der Krisenanfälligkeit des Wirtschaftssystems und mehr noch der Schwerfälligkeit der bürokratischen Apparate nicht gelang, sollte nicht davon ablenken, dass konstruktive Politik auch nach dem Zusammenbruch der beiden ideologischen Großparteien an diesen Konsens anknüpfen kann. Der vorliegende Sammelband trägt damit nur zu einem besseren Verständnis der jüngsten Zeitgeschichte Italiens bei; er bietet auch Anknüpfungspunkte für eine Diskussion der aktuellen Probleme.