Reviewer Felix Schumacher
CitationObgleich der Weg des Großherzogtums Toskana anhand der Ereignisgeschichte der Jahre 1847-1849 und 1859-1861 sowie anhand der gesellschaftlichen Eliten bereits eine intensive Aufmerksamkeit erfahren hat [1], ist die Rolle der Presse und ihrer Entwicklung in dieser Zeit nur sehr kursorisch beleuchtet worden [2]. Während zahlreiche Studien über die Kulturjournale des Verlegers Giovan Pietro Vieusseux und ihre Einbettung in den toskanischen und internationalen Kontext erschienen sind [3], fehlte bislang eine systematische Studie zur Pressegeschichte der Toskana. Anknüpfend an die Studie von Antonio Chiavistelli über die Entstehung und Entwicklung einer öffentlichen Meinung in der Toskana zwischen 1814-1849 [4] unternimmt es Jan-Pieter Forßmann erstmals, das politische Spektrum des toskanischen Zeitungswesens zwischen 1847-1849 systematisch in den Blick zu nehmen.
Anhand der elf großen Zeitschriften, die sich in jenen Jahren längerfristig etablieren konnten, deckt er dabei das Spektrum von den Liberalkonservativen bis zu den radikalen Demokraten ab. Bei den ausgewählten Journalen handelt es sich um "L’Alba", "La Patria", "La Rivista di Firenze", "Il Popolano", "Il Conciliatore", "La Rivista Independente", "Il Nazionale", "L’Italia", "Il Corriere Livornese", "Il Popolo" und "La Riforma". Neben den Artikeln der einzelnen Presseorgane zieht der Verfasser, soweit verfügbar, Briefkorrespondenzen, Denkschriften, Memoiren und Apologien von Redakteuren und Autoren, sowie Dekrete, Gesetzestexte und Akten der Florentiner Zensurbehörden aus zahlreichen Florentiner Archiven und Bibliotheken heran.
Zur Analyse der in den toskanischen Adels- und Bürgerschichten verbreiteten politisch-sozialen Denkmuster wählt Forßmann einen akteursbezogenen Ansatz unter der Fragestellung, inwieweit die Journalisten die politische Umgestaltung tatsächlich beeinflussen konnten, welche Modelle sich herauskristallisierten, und inwiefern sich die politische Öffentlichkeit über kollektive Identitäten um die verschiedenen Zeitungen herum ausdifferenzierte.
Nach einer Einführung in die politischen Rahmenbedingungen für das toskanische Pressewesen widmet sich das zweite Kapitel dem personellen Aufbau der vier führenden florentinischen Tageszeitungen: Dem konservativ-liberalen "Conciliatore", der fortschrittlich-liberalen "Patria", der gemäßigt-demokratischen "Alba" sowie dem radikaldemokratischen "Popolano". Die personellen Übergänge zwischen der "Patria" und dem "Conciliatore" waren fließend. Beide konnten als Plattform der Mitglieder der Accademia dei Georgofili, d.h. der grundbesitzenden Oberschicht gelten, die bis Oktober 1848 an diversen vom Großherzog eingesetzten Reformkommissionen beteiligt war. Über den politisch heterogenen Kreis von Vieusseux‘ Lesekabinett sowie dessen Zeitschriftenprojekten ergaben sich jedoch zahlreiche Berührungspunkte mit dem Mitarbeiterkreis der gemäßigt-demokratischen "Alba", der zunächst nicht an der aktiven Politik beteiligt wurde. Die Zeitungen fungierten also als Sprachrohre von regierungsnahen und oppositionellen Kreisen, die über Vieusseux‘ kulturpolitische Projekte miteinander in Kontakt standen.
Das dritte und mit Abstand umfangreichste Kapitel konzentriert sich auf die begriffs- und diskursgeschichtliche Erörterung der Ansichten, Stellungnahmen und Reformkonzepte und verschafft dem Leser nicht nur einen Überblick über die von der Regierung tatsächlich rezipierten Konzepte, sondern auch über Forderungen und Bewertungen, die in der politischen Gestaltung keinen Niederschlag finden sollten. Dabei gelangt der Autor u.a. zu dem Ergebnis, dass die Zeitungen trotz unterschiedlicher Akzentsetzungen sich in ihrer Forderung nach Militarisierung und Vertreibung der Habsburger als Grundvoraussetzung für alle Reformprojekte einig waren. Mit der Niederlage Carlo Albertos bei Custoza am 25. Juli 1848 kam es jedoch zum Bruch: Während die Liberalen weiterhin auf das Engagement der Monarchen setzten, agitierten die Demokraten für einen Volksaufstand gegen die Habsburger und nun auch gegen die Aristokratie selbst. Die Form der nationalstaatlichen Einigung sollte nun als Absicherung der jeweiligen politischen Forderungen dienen. Dabei betrachteten die Liberalen den Föderalismus und den Erhalt konstitutioneller Monarchien als Schutzschild gegen demokratische Forderungen, während die Demokraten in einer nach allgemeinem Wahlrecht gebildeten italienischen Konstituante einen Garanten für einen demokratischen Nationalstaat sahen.
Während der "Conciliatore" und die "Patria" eng mit den einflussreichen Institutionen und Parlamenten verflochten waren, gelang es den demokratischen Zeitungsautoren im städtischen Bereich Einfluss zu nehmen und ihre Forderungen mit Straßendemonstrationen zu verbinden. Dadurch wurden die Grundlagen dafür gelegt, dass im nächsten Moment der obrigkeitlichen Schwäche, politische Gruppierungen eine wesentlich größere Resonanz erhielten und die entscheidende Initiative ergreifen konnten, um im April 1859 den Großherzog zur Flucht zu bewegen und den Übergang des Großherzogtums Toskana in den italienischen Nationalstaat zu vollziehen.
Die vorliegende Studie besticht durch eine intensive Auseinandersetzung mit den in florentinischen Archiven und Bibliotheken lagernden Quellen sowohl zu den behandelten Zeitungen wie auch zu den einzelnen Akteuren, und bietet somit auch dem mit der Toskana bereits vertrauten Leser wertvolle weiterführende Hintergrundinformationen. Die eng an der Ereignisgeschichte orientierte Analyse der Publizistik in Verbindung mit detaillierten biographischen Informationen zu den führenden Redakteuren und Mitarbeitern erlaubt uns nun eine wesentlich präzisere Verortung der einzelnen Publikationsorgane während der politischen Auseinandersetzungen der Jahre 1847-1849. Wer sich mit den toskanischen Eliten, ihrer politischen Ideenwelt und den gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen auf dem Weg in den Nationalstaat befasst, wird auf dieses Buch kaum verzichten können.
[1] G Paolini, La Toscana del 1848-49: Dimensione regionale e problemi nazionali. Con il carteggio inedito del Ministro toscano a Torino e al Quartier Generale di Carlo Alberto, Firenze, Mondadori 2004; G. Manica (Hrsg.), La Rivoluzione toscana del 1859. L’unità d’Italia e il ruolo di Bettino Ricasoli (Studi e fonti, 4), Firenze, Polistampa, 2012; S. Rogari (Hrsg.), La Toscana dal Governo Provvisorio al Regno d'Italia: Il Plebiscito dell'11-12 Marzo 1860 (Studi e fonti, 1), Firenze, Polistampa, 2011; T. Kroll, Die Revolte des Patriziats. Der toskanische Adelsliberalismus im Risorgimento (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 90) Tübingen, Niemeyer, 1999.
[2] C. Rotondi, La stampa toscana dalla restaurazione all’unità, in dies. (Hrsg.), I Lorena in Toscana, Firenze, Olschki, 1989, S. 159-182; dies., I primi giornali del Ricasoli, in G. Spadolini (Hrsg.), Ricasoli e il suo tempo, Firenze, Olschki, 1981, S. 361-381; dies., Il giornale fiorentino “La Patria” (1847-1848), in "Rivista Storica Toscana", 16, 1971, S. 35-50; A.G. Garrone - F. Della Peruta, La stampa italiana del Risorgimento, Roma - Bari, Laterza, 1979.
[3] M. Bossi (Hrsg.): Giovan Pietro Vieusseux. Pensare l’Italia guardando all’Europa. (Gabinetto Scientifico Letterario G.P. Vieusseux, Studi, 23), Firenze, Olschki, 2013; I. Porciani, L‘“Archivio Storico Italiano“. Organizzazione della ricerca ed egemonia moderata nel Risorgimento, Firenze, Olschki, 1979.
[4] A. Chiavistelli, Dallo Stato alla nazione. Costituzione e sfera pubblica in Toscana dal 1814 al 1849, Pisa, Carocci, 2006.