Reviewer Siglinde Clementi - Freie Universität Bozen
CitationDie Gewalt an Frauen ist ein Phänomen der longue durèe und als solches bereits mehrfach und zahlreich Gegenstand der Analyse von historischen Forschungen und Publikationen geworden. Besonders die Gewalt in den Familien und im “Ganzen Haus”, die nach langer Negierung sowohl quantitativ als qualitativ als herausragendes Problem im Kontext patriarchaler Strukturen identifiziert wurde, wurde in Studien thematisiert und für die diversen historischen Epochen analysiert, so vor allem die praktischen Auswirkungen des die gesamte Neuzeit hindurch geltenden ius corrigendi des Ehemannes und Haushaltsvorstandes gegenüber seiner Ehefrau. Das zu besprechende Buch führt nun einen großen Schritt weiter und untersucht das Phänomen der Gewalt an Frauen in einer zeitlich und thematisch umfassenden Perspektive: Die dreizehn Beiträge reichen vom 16. Jahrhundert bis in die jüngste Vergangenheit und beschäftigen sich mit so unterschiedlichen Themen wie den politischen Funktionen des ius corrigendi in der Bologneser Oberschicht (Lucia Ferrante), dem Elternmord im frühneuzeitlichen Rom (Simona Feci), dem gerichtlichen Vorgehen gegen Kindervergewaltiger im langen 19. Jahrhundert (Christel Radica), den gewaltätigen und machtvollen Binnenstrukturen der Mafiaclans (Chiara Stagno), dem Thema der Gewalt gegen Frauen als Motor der Zweiten Frauenbewegung (Beatrice Pisa und Laura Elisabetta Bossini) oder den Femiziden in den italienischen Medien der vergangenen Jahre (Cristina Gamberi), um nur einige der behandelten Themen zu nennen und somit die erhebliche thematische Bandbreite des Bandes zu veranschaulichen. Zu den Einzelbeiträgen führt eine umfassende und ausführliche Einleitung hin, die zudem einen präzisen Problemaufriss zur Gesamtthematik liefert und sich von der Aktualität des Themas in die historische Dimension zunächst zurückversetzt und dann durch die Jahrhunderte vorarbeitet.
Im Folgenden sollen zur Veranschaulichung der thematischen Breite des Bandes verschiedene Beiträge zu unterschiedlichen Epochen etwas genauer besprochen werden. Der Beitrag von Lucia Ferrante zum politischen Einsatz des ius corrigendi in der Bologneser Oberschicht des 16. Jahrhunderts zeigt, dass Frauen vor Gericht wenig Chancen hatten, den Gewaltvorwurf der Ehemänner vor Gericht durchzubringen außer die Gewaltanwendung war “unverhältnismäßig” hart ausgefallen. Das Recht des Ehemannes auf Züchtigung seiner Frau bei Ungehorsam und Gegenrede galt bis weit ins 19. Jahrhundert hinein, kennzeichnet also auch die bürgerlichen Familienstrukturen wenn auch unter neuen Vorzeichen wie Andrea Borgione in seinem Beitrag zu Trennungsverfahren und häuslicher Gewalt im Turin des 19. Jahrhunderts zeigt. Die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts lehnte die Gewalt nicht ab, verlangte von den Ehemännern aber einen ausgewogenen Umgang damit. Die Ehemänner sahen sich mit unterschiedlichen Anforderungen konfrontiert: die neue Gefühlsehe, die Rolle als Familienoberhaupt, die Fähigkeit zur Selbstkontrolle, Gruppenanforderungen und die Verteidigung der Ehre sowohl im sozialen Sinn als im geschlechtsspezifischen als männliche Ehre. Ein zentraler Aspekt dabei ist die Ehre in Zusammenhang mit der Rolle als Familienernährer: Konnte dieses Rollenverständnis nicht eingehalten werden und die Frau übernahm die Ernährerfunktion, dann kam es häufig zu gewalttätigen Reaktionen von Seiten des Mannes.
Die Unverhältnismäßigkeit der Gewaltanwendung des Mannes gegen seine Ehefrau war in jeder Epoche Gegenstand der Auseinandersetzung vor Gericht und variierte von Epoche zu Epoche erheblich. Im 19. Jahrhundert wurde die häusliche Gewaltanwendung zunehmend und vorwiegend den Unterschichten zugeschrieben, während das Ideal des Gentleman die Hemmschwelle für männliche Oberschichtsangehörige deutlich erhöhte. Nicht immer wurden Fälle von familiärer Gewalt vor Gericht ausgetragen: In Sizilien wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf die “private Justiz” zurückgegriffen, wobei sich die Frauen im Gegenzug zu einer ökonomischen Abfindung an Polizeikräfte (poliziotto paciere) wenden konnten, die schlichtend eingriffen, wie Enza Pelleriti in ihrem Beitrag zeigt. Im 19. Jahrhundert ging die Konzentration des Gewaltmonopols in die Hände der Staatsmacht zwar mit dem Diskurs der “Zivilisierung” und “Modernisierung” einher, gleichzeitig wurde aber die Familie und die Geschlechterverhältnisse auf den Bereich des “Privaten” verwiesen und somit in den Machtbereich des männlichen Haushaltsvorstandes gestellt, der nun freie Hand hatte, was die Opfer in die Isolierung führte.
Erhellend zu patriarchalen Machstrukturen ist der Beitrag von Chiara Stagno zu den Frauen in den italienischen Mafiaclans, weil er die Macht der Männer und die Ohnmacht und zugleich die Macht der Frauen kondensiert am Beispiel der Geschlechterverhältnisse in den italienischen Mafiafamilien nachzeichnet. Frauen sind ohne Umschweife der männlichen Vorherrschaft unterworfen, sie werden kontrolliert und besessen, nicht geliebt, wie sich die Mafiabosse selbst ausdrücken. Sie sind aus den Geschäften ausgeschlossen, können sich aber im Privatbereich voll entfalten. Dort haben sie das Sagen und nehmen auch gegenüber ihren Kindern eine absolute Vormachtstellung ein, die Gewalt und insbesondere psychologische Intimidation einschließt: Kinder müssen den Wertekanon der Mafia von Ehre, Scham und Rache verinnerlichen und sich dementsprechend verhalten. Nach außen hin scheint die Mafia ein männlicher Clan zu sein und Frauen wurden lange Zeit der Gewalt für nicht fähig erachtet. In Wirklichkeit aber sei die Beteiligung der Frauen ganz zentral und sie würden trotz Mutterschaft auch vor der Anwendung von Gewalt zur Rettung der Familienehre nicht zurückschrecken.
Um Ehre geht es im Zusammenhang mit Gewalt gegen Frauen sehr oft, um verletzte männliche Ehre, aber mitunter auch um die Möglichkeit die Ehre anderer über die Schändung von Frauenkörpern zu verletzen, eine Vorstellung, die vor allem Kriegsvergewaltiger antreibt. Dahinter steckt die Idee, dass die Frau Besitz des Mannes sei, wodurch die Vergewaltigung eine mächtige Kriegswaffe und Strategie zur Demütigung des Gegners wird. Frauen haben es schwer, dem etwas entgegenzusetzen, wenn sie zu Symbolen erhoben und somit leicht zu Spielbällen von unterschiedlichen auch politischen Interessen werden. Carmen Trimarchi zeichnet in ihrem Beitrag den langen Weg nach, den die internationale Gemeinschaft gegangen ist, bis die Vergewaltigung 2008 von den Vereinten Nationen als Kriegsverbrechen anerkannt wurde.
Frauen hatten es in allen Epochen nicht leicht, sich gegen Gewalt zu wehren und das Unrecht aufzudecken, denn – und das scheint eine historische Konstante von Gewaltverhältnissen gewesen zu sein –, taten sie es, wurden sie beschuldigt, provoziert zu haben, sich nicht richtig verhalten zu haben, den Mann herausgefordert oder nicht respektiert zu haben. Sogar vergewaltigte Mädchen, die jünger als 12 waren, standen im 19. Jahrhundert vor Gericht unter dem Generalverdacht, nicht unschuldig und sexuell unerfahren zu sein und mitunter zu lügen (Christel Radica). Cristina Gamberi zeigt in ihrem Beitrag zu Femiziden in den italienischen Medien, dass gewalttätige Männer in Kampagnen gegen Gewalt an Frauen merkwürdig abwesend sind und sich die Aufmerksamkeit auf die Opfer richtet, die somit ein zweites Mal viktimisiert werden.
Insgesamt ist dieser historisch ausgerichtete Sammelband mit der klaren Absicht, Gegenwartsbezüge herauszustreichen, ein wichtiger Beitrag für ein verfeinertes Verständnis von Gewalt- und Machtverhältnissen und ihren historischen Wurzeln, den Symbolen und Diskursen mit denen sie kulturell und politisch einhergehen. Wichtig wäre für die Zukunft eine Einbettung dieser Erkenntnisse in eine Geschichte der Geschlechterverhältnisse, die Gewalt nur als eine Seite der Medaille sieht, Liebe wäre die andere.