Reviewer Claudio Ferlan - FBK-ISIG
CitationDer hier rezensierte Sammelband enthält einen Teil der Beiträge einer Studientagung in Macerata im Rahmen des PRIN (Progetto di Rilevante Interesse Nazionale), eines Projekts, das sich mit den Zivilisationsprozessen in der Neuzeit befasst, wie die beiden Herausgeber in ihrer Prämisse zum Band erläutern. Es geht um drei Hauptthemen, die sich immer wieder berühren: das Buch und seine Verbreitung; die Beziehung zwischen den Missionen und den außereuropäischen Mächten; die Evangelisierungsstrategie der accomodatio, der jesuitischen Mission, die darauf ausgerichtet war, das Miteinander von Christentum und einigen Religionen, Traditionen und Kulturen des Orients im Rahmen vorgegebener Regeln zu ermöglichen (S. 11).
Innerhalb dieses thematischen Dreigespanns nimmt die Geschichte des Buches, die mit dem Essay von Ronnie Po-chia Hsia: «Apostolato attraverso i libri: Ricci e la Cina», eingeführt wird, eine zentrale Rolle ein. Dieser Beitrag ist besonders geeignet, dem Leser einen ersten Überblick über die Geschichte des missionarischen Buches im spätkaiserlichen China (S. 16) und seine wichtige Stellung in der Ming-Kultur zu verschaffen. Dabei berührt Hsias Synthese vornehmlich Themen wie die Buchherstellung, die Verbreitung des Buches, seine Rezeption und seine Präsentation. Dazu analysiert der Autor Matteo Riccis Schriften, die dieser während seiner Missionarstätigkeit in China verfasst hatte. Besonders interessant ist der Abschnitt, der auf die Beziehung zwischen Haupttext und textbegleitenden Elementen eingeht, denn hier lässt sich gut nachvollziehen, wie wichtig es für den Erfolg des Jesuiten in der späten Ming-Zeit war (auch Elisabetta Corsi greift dieses Thema auf), dass namhafte Persönlichkeiten aus dem Kulturleben für die Vor- und Nachworte zu Riccis Schriften verantwortlich zeichneten. Denn diese Namen bürgten gewissermaßen für die Qualität und die Ernsthaftigkeit des Autors und förderten die Verbreitung seiner Werke.
Das Buch steht auch im Mittelpunkt von Elisabetta Corsis Aufsatz: «Percezioni sensoriali e conoscenza secondo Xingxue cushu (Introduzione generale allo studio della fisica, 1623) di Giulio Aleni S.I.»; ebenso bei Xie Mingguang mit «Chinese Collaborators and the Making of the Xi Ru Er Mu Zi (1626)» sowie bei Vincenzo Lavenia mit «I libri, le armi e le missioni. Conversazione e guerra antiottomana in un testo di Lazzaro Soranzo». Auf der Grundlage ihrer sehr viel umfangreicheren Untersuchung zum Werk des Jesuiten Giulio Aleni, der sich mit Naturphilosophie – insbesondere mit den menschlichen Fähigkeiten – auseinandersetzte, stellt Corsi hier in einer knappen Zusammenfassung die Entstehung und Verbreitung von Alenis Werk vor. Sie richtet den Fokus auf die Teile des Werkes, die sich mit dem Aufbau des menschlichen Auges und der Physiologie des Sehsinnes befassen. Dabei wird deutlich, wie sehr sich der Autor die chinesische Kulturbetrachtung – mit ihrer Fokussierung auf die visuelle Kultur und mit dem Kult um das Bewundern schöner Sammlerobjekte (S. 92) – angeeignet hatte. Das von Elisabetta Corsi behandelte Thema ist derart spezifisch, dass es sich nicht leicht erschließt, wenn man mit der Ge- schichte der missionarischen Buchproduktion im China der Frühen Neuzeit kaum vertraut ist. Mit einem sehr spezifischen Thema beschäftigt sich auch Xie Mingguang. Ihm geht es um die Chinesen, die bereit waren, dem flämischen Jesuiten Nicolas Trigault bei der Verfassung des Xi Ru Er Mu Zi zu helfen; einem Buch, das dazu dienen sollte, die chinesische Sprache mithilfe der westlichen Literatur zu erforschen und zu erlernen. Der Autor geht den Fragen nach, was diese Chinesen dazu bewogen haben mag, sich an der Verfassung des Buches zu beteiligen und in welcher Beziehung sie zu Trigault standen. Der Aufsatz ist nützlich, da er die Komplexität des Aufbaus dieses Werkes und insbesondere seiner linguistischen Überprüfung deutlich macht. Aufgrund des begrenzten Rahmens konzentriert sich der Autor aber nur auf einen Mitarbeiter, Wang Zheng, während er die anderen – wie er klarstellt, müssen es sehr viele gewesen sein – nur kurz erwähnt, was nicht immer ausreicht, um seine Antwort auf die hier gestellten Fragen nachzuvollziehen.
Der Text von Vincenzo Lavenia weicht zum Teil vom Tagungsthema ab. Für alle anderen Autoren ist China der geografische Bezugspunkt für die missionarische Tätigkeit der Jesuiten, doch dieser Beitrag, mit dem der Band abschließt, beschäftigt sich mit dem osmanischen Reich: Es geht um die Vision des venezianischen Adligen Lazzaro Soranzo, der 1598 ein Buch mit dem Titel Ottomanno veröffentlichte. Darin vertrat Soranzo die Auffassung, die Bildung eines antitürkischen Bündnisses sei die notwendige operative Voraussetzung für die Ausbreitung des Katholizismus in Richtung Osten. Dahinter standen die Bestrebungen der Eroberung und der Wiedervereinigung der christlichen Kirche des Orients mit der römisch-katholischen – mithilfe einer strukturellen Allianz aus Schrift und Waffen. Soranzo unterstützte die expansionistische Politik von Papst Clemenz VIII., was mit den Interessen seiner Heimatrepublik Venedig konfligierte, die bestrebt war, gute Beziehungen zum türkischen Reich zu pflegen und daher (auch um sich von Rom zu distanzieren) den Vertrieb von Soranzos Werk auf ihrem Territorium verbot.
Wenn sich bei Lavenia die Geschichte des Buches mit der Geschichte der Beziehungen zwischen missionarischen (nicht jesuitischen) Methoden und den nichteuropäischen Reichen verbindet, thematisieren Girolamo Imbruglia («Matteo Ricci e la strategia di evangelizzazione gesuita») und Ana Carolina Hosne («Gateweys to China: Jesuit ‘Geostrategy’ in East Asia in the Late Sixteenth Century») diesen Zusammenhang im Bezug auf die missionarische Vorgehensweise der jesuitischen accomodatio. In beiden Beiträgen wird das Verhalten von Alonso Sánchez in Augenschein genommen, einem spanischen Jesuiten, der versuchte, Philipp II. von der Notwendigkeit einer militärischen Intervention in China zu überzeugen. Damit handelte er sich die scharfe Kritik seiner Vorgesetzten ein, die keinesfalls daran interessiert waren, die Gesellschaft Jesu zu Fürsprechern der militärischen Eroberungszüge zu machen, und genauso wenig, im weiteren Verlauf die (eventuelle) Besetzung zu rechtfertigen und sich öffentlich für sie stark zu machen (Imbruglia, S. 41). Im Gegenteil, vielmehr arbeiteten die Jesuiten an einer Erneuerung ihrer Missionsstrategien, woran Persönlichkeiten wie José de Acosta, Matteo Ricci und Roberto de Nobili beteiligt waren, Männer, die Imbruglia Sánchez gegenüberstellt, um die unterschiedlichen Auffassungen innerhalb des Ordens von Ignazio von Loyola hervorzuheben.
Interessant ist der Hinweis – und wohl mehr Aufmerksamkeit wert – auf die Unterschiede in den Missionsstrategien, die die Jesuiten in Europa und auf anderen Kontinenten entwickelt hatten (von Intoleranz zu Anpassung). Hosne macht gleich zu Anfang ihres Beitrags deutlich, dass die Wahl eines Begriffes wie «Geostrategie» für eine Untersuchung, die zeitlich im 16. Jahrhundert angesiedelt ist, eine nützliche Provokation darstellt, um die Aggressivität von Alonso Sánchez’ Ansinnen deutlich zu machen. Mehrere Autoren widmen sich den Vorstellungen des spanischen Jesuiten – hier bestätigt sich leider die Gefahr der Wiederholung in Sammelbänden. Nachdem Horne die schon erwähnten Einwände vonseiten José de Acostas gegen den Plan der gewaltsamen Eroberung referiert hat, legt ihr Beitrag den Akzent auf die «kompromissbereite» Taktik von Alessandro Valignano. Er war es auch, der sozusagen die Entscheidung traf, die chinesische Mission Mario Ricci anzuvertrauen und damit den Worten den Vorrang vor den Waffen zu geben, ohne ein mögliches Nebemeinander auch nur in Betracht zu ziehen, wie es Lazzaro Soranzo getan hatte.
Auch der Beitrag von Sabina Pavone bezieht sich auf China: «Ricostruire la Compagnia partendo da Oriente? La comunità gesuita franco-cinese dopo la soppressione». Er steuert einige nützliche Aspekte bei, um die geschichtswissenschaftlichen Lücken zum Thema des Überlebens der jesuitischen Mission in Peking nach ihrer Unterdrückung zu füllen (S. 129). Pavone gelingt es, die Komplexität der Problemstellung zu beleuchten, indem sie den Konflikt zwischen den französischen und den portugiesischen Ex-Jesuiten rekonstruiert, die in China verblieben waren. Auch geht sie auf die irrige Überzeugung Roms ein, die französische Missionarsgemeinschaft wolle den Orden Ignazios in gewisser Weise wieder aufbauen (Pavone spricht von «Besorgnis» und «Beunruhigung» des Heiligen Stuhls). Außerordentlich interessant sind die Erläuterungen hinsichtlich des nationalen Zugehörigkeitsgefühls der jesuitischen Gemeinschaften und der Gründe für ein solches Empfinden (die Treue zur Nation tritt an die Stelle der Treue zur Ordensgemeinschaft). Demnach wandelte sich das Verhältnis zwischen den Missionaren und den nichtchristlichen Reichen, nach der traumatischen Erfahrung der Auflösung trat die Beziehung zum eigenen Herkunftsgebiet und ihre Neudefinition in den Vordergrund.
Missioni, saperi e adattamento tra Europa e imperi non cristiani, lässt einige Fragen offen. Das ist möglicherweise auf ein gewisses Ungleichgewicht zurückzuführen – sowohl im Hinblick auf die Herangehensweise an die behandelten Themen als auch auf die Ausgewogenheit zwischen den Beiträgen, angesichts ihrer Unterschiede in Umfang, originärem Forschungsergebnis und historiografischer Vertiefung. Die Untersuchung der Beziehung zwischen Mission und Reichen bringt einige anregende Ansätze hervor: die Analyse der missionarischen Strategie der accomodatio wird teilweise eher vernachlässigt, nur ausschnittweise behandelt und oftmals unter hinlänglich bekannten Gesichtspunkten. Letztlich widmet sich mehr als die Hälfte des Bandes dem dritten Thema, der Geschichte des Buches, eine Thematik, die unterschiedliche Arbeiten vereint, einige eher allgemein gehalten und als erste Annäherung gedacht, andere, die sehr spezifische Aspekte analysieren. So ergibt sich eine nicht gänzlich gelungene Mischung, die aber nichtsdestotrotz für zukünftige Forschungsarbeiten hilfreich sein kann.