Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

42, 2016/2

Daniele Pasquinucci - Luca Verzichelli (ed.)

Contro l’Europa? I diversi scetticismi verso l’integrazione europea

Review by: Gabriele D’Ottavio

Editors: Daniele Pasquinucci - Luca Verzichelli
Title: Contro l’Europa? I diversi scetticismi verso l’integrazione europea
Place: Bologna
Publisher: Il Mulino
Year: 2016
ISBN: 978-88-15-26001-7

Reviewer Gabriele D’Ottavio

Citation
G. D’Ottavio, review of Daniele Pasquinucci - Luca Verzichelli (ed.), Contro l’Europa? I diversi scetticismi verso l’integrazione europea, Bologna, Il Mulino, 2016, in: ARO, 42, 2016, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2016/2/contro-leuropa-i-diversi-scetticismi-v-gabriele-dottavio/

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In Italien war die Europaforschung lange Zeit mit einer Art Erbsünde behaftet: eine allzu «militante» Herangehensweise, die vor allem unter den ersten Wissenschaftlern, die sich mit der europäischen Integration befassten, verbreitet war. Dadurch wurde die Objektivität eines großen Teils der vorgelegten Analysen eingeschränkt und auf die eine oder andere Weise auch die wissenschaftliche Arbeit der darauffolgenden Generationen beeinflusst. Dieser «militante» Ansatz ist eine Erklärung dafür, warum sich z.B. die italienische Geschichtsschreibung in der Vergangenheit ausführlich mit der föderalistischen europäischen Einigungsbewegung befasst und andere Überzeugungen oder Ausrichtungen, die von den politischen Eliten, Intellektuellen oder Bürgern in Bezug auf die europäische Integration geäußert wurden, vernachlässigt hat. Der hier vorgestellte Sammelband markiert eine bedeutsame Änderung der Sichtweise. Er greift eine in der internationalen politologischen Forschung bereits ziemlich fundierte Richtung auf und stellt das Thema der «Kritik an Europa» in den Mittelpunkt der Analyse. Noch bedeutender als die Wahl des Themas ist aber eine andere Neuheit in diesem Band, nämlich der multidisziplinäre Ansatz, mit dem er aufwartet, um «die verschiedenen Arten von Skeptizismus gegenüber der europäischen Integration» zu durchleuchten. Die zehn versammelten Beiträge bieten zwei unterschiedliche Blickwinkel, die einander aber ergänzen und in gleicher Weise zweckdienlich sind: der Blick des Historikers, der begrenzte Erscheinungen auf idiografischen Grundlagen vor dem Hintergrund einer langfristigen Entwicklung rekonstruiert und versteht; der Blick des Politikwissenschaftlers, der wiederkehrende Erscheinungen auf der Grundlage der festgestellten Regelmäßigkeiten beschreibt und erklärt. Getrennt betrachtet, erhärten sowohl die historische als auch die politologische Sehweise die Grundthese, von der die beiden Herausgeber ausgehen: die Vorstellung, dass der immer häufiger wiederkehrende Begriff «Euroskeptizismus» nicht imstande ist, die Komplexität der Wirklichkeit, die in den verschiedenen Formen der Kritik an Europa zum Ausdruck kommt, in befriedigender Weise wiederzugeben. Jede Abhandlung wartet nämlich mit Untersuchungsergebnissen auf, die die These der großen Vielfalt und Vielschichtigkeit der Erscheinungen, die gemeinhin in den Begriff «Euroskeptizismus» eingeschlossen werden, untermauern. Gleichzeitig liefern alle Autoren Deutungen, mit denen versucht wird, das begriffliche Instrumentarium zu verfeinern, das notwendig ist, um die verschiedenen Erscheinungen der Ablehnung, des Dissenses, der Kritik oder der Opposition gegenüber der europäischen Integration einzuordnen. Im abschließenden Beitrag des Buches wird zum Beispiel der Begriff «Opposition» als Alternative zu jenem des «Euroskeptizismus» vorgeschlagen, da er in der politologischen Literatur bereits eingehend erforscht wurde und als «in höherem Maße wertneutral und somit für eine unproblematischere empirische Verwendung geeignet» gilt (Cotta, S. 236). Es handelt sich um einen aus einer explorativen Analyse resultierenden Vorschlag, der aber jetzt schon vielversprechend erscheint, denn er scheint sowohl die Objekte der Kritik an Europa als auch die verschiedenen Erscheinungsweisen, in denen sie sich äußert, eindeutiger zu definieren als dies der Begriff «Euroskeptizismus» vermag.

Aus der Interaktion zwischen den beiden Betrachtungsweisen – der historischen und der politologischen – gewinnt man vielleicht die aufschlussreichsten Erkenntnisse in einer Sicht, die nicht daran interessiert ist, eine einzige «Forschungsagenda» festzulegen, sondern «die gemeinsamen Probleme und die Parametrisierung der unvermeidlichen Fehlschlüsse aufzuzeigen …, die sich aus der Langzeituntersuchung einer derart komplexen Erscheinung ergeben können, wo sehr unterschiedliche Akteure, institutionelle Subjekte und politische Kulturen ins Spiel kommen» (S. 14). Ein nicht leicht lösbares gemeinsames Problem betrifft insbesondere die Frage der Periodisierung der Kritik an der europäischen Integration, mit der sich Antonio Varsori eingehend und alle anderen Autoren indirekt auseinandersetzen. Auch wenn man sich weitgehend darin einig ist, dass der Vertrag von Maastricht ein entscheidender Moment für das Aufkommen und die weite Verbreitung des Euroskeptizismus war, kann man seit den Anfängen der europäischen Integration verschiedene und unterschiedliche Formen der Opposition gegenüber Europa feststellen. Das Problem der Periodisierung hängt eng zusammen mit der Ermittlung der diversen Ursachen bzw. Überzeugungen, die ausschlaggebend für die verschiedenen skeptischen Haltungen gegenüber der europäischen Integration sind. In einigen Fällen ist die Opposition grundsätzlicher Art, unabhängig von den Formen und Inhalten der europäischen Integration, und beruht auf politischen, ideologischen und kulturellen Vorlieben, in anderen Fällen ist sie das Resultat einer rationalen Abwägung, die die Ausrichtungen der anderen politischen Kräften einbezieht, wieder in anderen Fällen wird sie als direkte oder indirekte Folge der verschiedenen Formen der Unterstützung der europäischen Integration gedeutet. In einigen Beiträgen scheint der Euroskeptizismus geradezu wesensgleich mit dem Europäismus. Pasquinucci z.B. macht eine der historischen Wurzeln des italienischen Euroskeptizismus in einer der wichtigsten Komponenten des traditionellen Europäismus Italiens aus, nämlich jener besonderen Geisteshaltung seiner Führungsschicht, Europa als «äußeren Zwang» zu sehen, ein Europa also, das imstande ist, untadelige Verhaltensweisen durchzusetzen, die man den Bürgern sonst schwerlich hätte aufzwingen können. Der Beitrag konzentriert sich auf eine nationale Fallstudie und liefert eine Deutung, die es ermöglicht, einige Erkenntnisse der vergleichenden Politikwissenschaft zu untermauern, und zwar im Besonderen jene, die das Vorhandensein eines sowohl empirischen wie auch theoretischen Zusammenhangs zwischen dem Euroskeptizismus und der Kehrseite der Medaille, der Europabegeisterung, postuliert.

Aus dem Zusammenspiel der beiden Untersuchungsperspektiven wird außerdem ersichtlich, dass einige politologische Kategorien, die erarbeitet wurden, um relativ neue Erscheinungen einzuordnen, auch dazu verwendet werden können, um Formen der Kritik zu umschreiben, die es schon vor der Entstehung der Europäischen Union und der Eurozone gab. Ein «harter Euroskeptizismus» (hard euroscepticism), eine bedingungslose Opposition gegenüber dem Projekt der politischen und wirtschaftlichen Integration, findet sich zum Beispiel sowohl im Wahlprogramm, das die italienische Fünf-Sterne-Bewegung bei den Europawahlen 2014 vorlegte (Lupato und Tronconi), als auch in den von der Kommunistischen Partei Italiens in den 1950er-Jahren vertretenen Positionen (Lomellini), ebenso in den politischen Gedanken der 1960er- und 1970er-Jahre von Enoch Powell, der als einer der wichtigsten Theoretiker des britischen Euroskeptizismus präsentiert wird (Gilbert). Ein «weicher Euroskeptizismus» (soft euroscepticism), der eine kontingente oder spezifische Opposition gegenüber der europäischen Integration beinhaltet, findet sich dagegen sowohl bei der überwältigenden Mehrheit der derzeitigen politischen Kräfte an der Regierung oder in der Opposition (Varsori, Conti) als auch in jenen Gesellschaften, die, historisch gesehen, offener gegenüber der europäischen Integration und ihren Vorteilen sind, wie zum Beispiel der italienischen (Bellucci und Serricchio), und sogar bei den im Europäischen Parlament vertretenen Kräften, die sich – zumindest auf der Ebene der Kommunikation – zum Wortführer der radikaleren euroskeptischen Bestrebungen machen (Cammino und Verzichelli), aber auch rückblickend bei den Positionen der Gaullisten in den 1950er- und 1960er-Jahren (Brizzi) oder der KPI nach ihrer «europäischen Bekehrung» in den 1970er-Jahren (Lomellini), oder bei jenen der britischen Konservativen der Ära Thatcher (Gilbert). Auch aus diesen Betrachtungen wird deutlich, dass das Bild der verschiedenen Formen des Skeptizismus oder der Opposition gegenüber der europäischen Integration sehr vielschichtig und bunt ist, und zwar sowohl in historischer und politischer als auch in wissenschaftlicher Hinsicht, und dass es weitere Forschungen auf der Grundlage länderübergreifender Analysen sowie begriffstheoretische Klärungen braucht, um es zu umreißen und besser zu verstehen.

Fazit: Dieser Band ist ein wichtiger Beitrag zur umfangreichen italienischen Literatur, die den historischen und politologischen Studien über die europäische Integration gewidmet ist. Er setzt sich mit einem wesentlichen Thema auseinander, nämlich der Opposition gegenüber der europäischen Integration, und er bietet eine fruchtbare analytische Perspektive für dessen Aufarbeitung.

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