Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

41, 2015/2

Renato Moro - Daniele Mezzana (ed.)

Una vita, un paese

Review by: Paolo Pombeni

Editors: Renato Moro - Daniele Mezzana
Title: Una vita, un paese. Aldo Moro e l’Italia del Novecento
Place: Soveria Mannelli
Publisher: Rubbettino
Year: 2014
ISBN: 97888-4984-197-8

Reviewer Paolo Pombeni - già Università di Bologna

Citation
P. Pombeni, review of Renato Moro - Daniele Mezzana (ed.), Una vita, un paese. Aldo Moro e l’Italia del Novecento, Soveria Mannelli, Rubbettino, 2014, in: ARO, 41, 2015, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2015/2/una-vita-un-paese-aldo-moro-e-litalia-paolo-pombeni/

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Aldo Moro ist einer der Protagonisten der Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert, dessen Bewertung bis heute größtenteils von dem öffentlichen Bild seiner Ermordung am 9. Mai 1978 durch die terroristische Vereinigung der Roten Brigaden geprägt ist. Als Mann an der Spitze der geheimnisumwobenen Staatspolitik, als schwer durchschaubarer Politiker, der kaum verständliche Gedankengänge entwickelte, oder aber als eine Art Märtyrer, als Opfer seiner klarsichtigen Vorhersage des Untergangs des politischen Systems von Italien, dem ein mutiger Bruch mit der Vergangenheit entgegensetzt werden müsse, ist Aldo Moro, derjenige Anführer der Democrazia Cristiana, der am häufigsten Minister und Regierungsmitglied war, unter vielen Aspekten ein abseits der sich bisher verfestigten Bilder unter einer neuen Perspektive zu untersuchendes Studienobjekt, wie Renato Moro in seiner Einleitung deutlich macht.

Der vorliegende Band, der die Beiträge einer durch die Fondazione Aldo Moro veranstalteten Tagung enthält, hat sich das Ziel gesetzt, eine solche kritische Beschäftigung mit Moro aus neuer Perspektive anzustoßen. Zweifelsohne machen die Vielseitigkeit der Geschichte Moros und die außerordentliche Komplexität der Zeit, in der er politisch wirkte, ein solches Unterfangen nicht leicht, und die hier versammelten Beiträge beweisen es. Die 39 Aufsätze behandeln ausführlich die persönliche Karriere dieses politischen Anführers und seine Einbindung in die unterschiedlichsten Aspekte der italienischen und internationalen Politik.

Der von Tiziano Torresi verfasste Beitrag zum Bildungsweg des jungen Moro befindet sich indes nicht am Beginn des Bandes, sondern schließt sich erst nach einer Reihe von Beiträgen zu den sozusagen klassischen Phasen seiner politischen Karriere an. Die Ouvertüre bildet ein Aufsatz von Maria Salvati zum Beitrag Moros zur Ausarbeitung der Verfassung, mithin zu einer bedeutsamen Episode, in welcher der junge Rechtsprofessor sich innerhalb einer durch Giuseppe Dossetti geleiteten Gruppe gleich in der Vorbereitungskommission (genauer gesagt in der ersten Unterkommission, welche die allgemeinen Prinzipien auszuarbeiten hatte) als wichtiger Mitarbeiter auszeichnet. Es folgt ein Beitrag von Francesco Malgeri über Moros Wirken in den Vierziger- und Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Es ist dies eine Phase, die aufmerksam betrachtet werden will, denn in ihr erarbeitet sich Moro jene Rolle des «Vermittlers», die ihn im Jahr 1958 unerwartet zum gewählten Sekretär jener Democrazia Cristiana aufsteigen lassen wird, welche dem von oben verordneten Reformismus Amintore Fanfanis das Misstrauen ausgesprochen hatte. Daran sollte sich die schwierigste Phase anschließen, mit der viele landläufige Vorurteile über Werk und Bedeutung Moros verbunden sind. Wie der Aufsatz von Paolo Pombeni nachweist, ist er in der Tat einerseits der geduldige Architekt einer Annäherung seiner Partei an den Gedanken einer Regierungskoalition mit der sozialistischen Partei. Es ist dies ein Unterfangen, bei dem er auf harten Widerstand seitens der katholischen Hierarchien Italiens traf, die bis zu einem gewissen Punkt von den vatikanischen unterstützt wurden aber mit der Zeit umdachten. Auf der anderen Seite wird Moro auch jener sein, der angesichts der auch hier harten Widerstände durch das politisch-gesellschaftliche Establishment gegen eine reformerische Perspektive Italien systematisch neu ausrichten und in eine Phase führen sollte, in der die erreichten Resultate gleichsam eingefroren wurden, auch um den Preis einer Verflüchtigung, und schließlich zu einer Blockierung von geplanten Reformen.

Wie Agostino Giovagnoli in dem Aufsatz ausführt, der den Teil abschließt, welcher eine Rekonstruktion gewisser Leitlinien im Leben des politischen Anführers versucht, kommt es zweifelsohne nach Beendigung dieser Phase zu der Wende der Siebzigerjahre (wenn man sie als solche bezeichnen kann). Auch angesichts der Studenten- und Arbeiterunruhen erkannte Moro mit dem Ende der Siebzigerjahre, dass die alten Wege nicht mehr beschritten werden konnten. Zunächst recht vorsichtig, aber dann mit immer größerer Transparenz, begann er sich für die Schaffung dessen einzusetzen, was damals schließlich als «weiter fortgeschrittene Gleichgewichte» («equilibri più avanzati») bezeichnet wurde.

Wie zu Zeiten der ersten Mitte-Links-Regierung, war das vorherrschende Thema die Gewinnung jedweder möglichen Unterstützung für ein Reformprogramm, das aufs Neue auf tief im öffentlichen und gesellschaftlichen Establishment verwurzelte konservative Widerstände traf. In der Analyse dieser Phase zeigt Giovagnoli, dass Moros Befürchtungen – wie er in seinem letzten öffentlichen Interview am 28. Februar 1978 betonte – darin bestanden, das nach den Wahlen des Jahres 1976 zwischen Democrazia Cristiana und Partito Comunista Italiano ausgeglichene System laufe Gefahr, zu implodieren, da sich die beiden Konkurrenten möglicherweise «gegenseitig ausschalten» könnten. Aus diesem Grund gelte es, eine «nationale Solidarität» zu etablieren, die es gestattet hätte, den Übergang zu erleichtern, der am Horizont heraufzog, ohne Opfer der gegensätzlichen Bewegungen im Land zu werden.

Bekanntlich hat Moro das Engagement für diesen politischen Ausweg aus der Sackgasse, in die Italien geraten war, mit dem Leben bezahlt. Angesichts dieses tragischen Ereignisses wurde sein gesamter politischer Nachlass neu bewertet. In diesem Sinne untersucht Alberto Melloni Moros Verhältnis zur Kirche in Italien. Es schließen sich Analysen seiner Beziehungen in Europa (Acanfora), seiner politischen Kultur und seiner vermeintlich kryptischen Sprache (Gaiotti De Biase und Di Donato) sowie ein Aufsatz zur Bewertung Moros durch George Mosse an, der ihn in einem bekannten Beitrag als einen «Erneuerer des politischen Kontextes» bezeichnete. (Mosses Einschätzung wird aufgrund der Bedeutung des Autors, der sie formulierte, oft zitiert, allerdings ist dieses Urteil meiner Einschätzung nach weniger gewichtig, als zumeist behauptet wird.)

Es ist nicht möglich, alle im vorliegenden Band versammelten Beiträge und die unterschiedlichen in ihnen untersuchten Aspekte einzeln im Detail zu besprechen. Ich beschränke mich auf die Erwähnung einiger Elemente, die mehr als andere auch bei Lesern Interesse hervorrufen können, die mit der Biographie Moros nicht eingehend vertraut sind. Beispielhaft lässt sich der Aufsatz von Gentiloni Silveri über die amerikanische Sicht auf den Anführer der Democrazia Cristiana erwähnen. Die Bewertung der Figur durch die Diplomaten der USA fällt zunächst, d.h. seit der Kennedy-Krise im Jahr 1963, sehr positiv aus, doch sie ändert sich bis hin zu dem bekannten abschätzigen Eindruck Kissingers, der Moro für zweideutig und außenpolitisch uninteressiert hielt.

In diesem spezifischen Punkt widersprechen die hier versammelten Aufsätze dem Urteil des amerikanischen Staatsmannes, denn nicht weniger als fünfzehn Beiträge widmen sich der Aufmerksamkeit Moros für fast alle bedeutsamen Angelegenheiten, die sich auf dem internationalen Parkett der Sechziger- und Siebzigerjahren abspielten. Anzuzeigen sind hier aufgrund des Verhältnisses von Innen- und Außenpolitik die Aufsätze von Scarano über Moro und die Südtirolfrage sowie von D’Amelio über seinen Standpunkt zur Frage von Triest und Jugoslawien. In diesen Beiträgen wird aufgezeigt, wie sich in Moro politischer Realismus, analytischer Verstand und das Erkennen von Gelegenheiten mit einem Gespür verbanden, das ihn dazu brachte, eine «gerechte» Lösung für Fragen zu suchen, auf die einer ungezügelten interner Nationalismus starken Druck ausübte.

Eine interessante Sektion behandelt das öffentliche Bild Moros. Hier wäre es wahrscheinlich besser gewesen, ein Gesamtpanorama zu bieten, das fehlt. Die Rede ist von seiner Darstellung im Tagesblatt des Partito Comunista Italiano, in der amerikanischen Presse, in den der äußeren Rechten zugehörenden Zeitungen, im Kino und in der Kunst; zwei grundlegende Aspekte aber gehen leer aus: erstens die Art und Weise, wie Moro von der großen Meinungspresse behandelt wurde (dies fiel nicht nur auf den Titelblättern unterschiedlich aus, auch die Urteile der Meinungsmacher changierten in den verschiedenen Phasen), und zweitens sein durch das Fernsehen hervorgebrachtes «image». (Vor allem in der Hochphase der Mitte-Links-Regierung begann das Fernsehen, politische Debatten zu übertragen. Bald hatte es einen immer stärkeren Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung aller Politiker. Indes handelte es sich um ein Medium, das für eine Persönlichkeit wie Moro wenig geeignet war.)

Abschließend lässt sich sagen, dass dieses Buch sehr viele Anstöße gibt, Neuigkeiten mitteilt und Forschungsfelder eröffnet, seien sie auch fragmentarisch auf die große Anzahl der Beiträge verteilt, aus denen nicht versucht wurde, eine Synthese zu ziehen. Dies wird sich die Geschichtswissenschaft zur Aufgabe machen müssen, nicht zuletzt daher, weil die Quellen zu jener Zeit nunmehr in großer Zahl verfügbar sind. Die hier versammelten Aufsätze sind ein beachtlicher Beweis dafür. Sie sind ein guter Ausgangspunkt für eine Biographie Moros, aber auch eine wichtige Lektüre für jeden, der sich der Politik Italiens von 1945 bis 1978 widmen möchte.

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