Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

41, 2015/2

Massimiliano Amato - Marcello Ravveduto

Riformismo mancato

Review by: Giovanni Bernardini

Authors: Massimiliano Amato - Marcello Ravveduto
Title: Riformismo mancato. Società, consumi e politica nell’Italia del miracolo
Place: Roma
Publisher: Castelvecchi
Year: 2014
ISBN: 978-88-6826-148-1

Reviewer Giovanni Bernardini - FBK-ISIG e European University Institute

Citation
G. Bernardini, review of Massimiliano Amato - Marcello Ravveduto, Riformismo mancato. Società, consumi e politica nell’Italia del miracolo, Roma, Castelvecchi, 2014, in: ARO, 41, 2015, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2015/2/riformismo-mancato-societa-consumi-e-p-giovanni-bernardini/

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Die Geschichte des republikanischen Italiens hat in der Vergangenheit das Interesse der internationalen Geschichtsforschung hinsichtlich einiger kritischer Phasen seiner Entwicklung gefunden. Untersucht wurden diese vor allem mit dem Ziel zu bestimmen, in welchem Ausmaß diese Entwicklung mit jener Europas in der Nachkriegszeit übereinstimmte oder von ihr abwich. Man denke, um nur zwei Beispiel anzuführen, an die lange Phase der «Normalisierung» des Landes unter De Gasperi, die von Westbindung und der politischen Formel des «centrismo» (also einer Politik der Mitte) getragen war; oder aber an die spätere und problematischere Phase des «compromesso storico», als die niemals da gewesene Möglichkeit einer Zusammenarbeit der Democrazia Cristiana mit der stärksten kommunistischen Partei des Westens Auswirkungen auf das kontinentale politische Gleichgewicht zu zeitigen schien. In diesem Sinne erscheint die allgemeine Unterbewertung einer Übergangszeit, welche den Verlauf der nachfolgenden Geschichte Italiens sowie dessen Verhältnis zu Europa geprägt hat, weniger verständlich: Es handelt sich um die erste Phase der Mitte-LinksRegierung seit dem Beginn der Sechzigerjahre. Der Journalist Massimiliano Amato und der Historiker an der Università di Salerno Marcello Ravveduto scheinen mit ihrem gemeinsamen Buch einen Beitrag zur Wiederbelebung dieser Debatte liefern zu wollen. In Wahrheit hat diese Debatte in Italien nie eine ausgedehnte Hochphase gehabt. Sie war stattdessen oft in Gefahr, durch banales Wiederholen von immer gleichen autoreferentiellen Interpretationen aufgerieben zu werden, und so ist es notwendig, sich ihr mit einem multidisziplinären Ansatz und internationalen Vergleichen zu nähern.

Warum nicht auch mit einer guten Portion Experimentierfreude, wie es auf den ersten achtzig Seiten, den besten des Buches, geschieht? Auf ihnen zeichnet Ravveduto das Bild eines Landes, das an einem radikalen und unumgänglichen Scheideweg steht, und dies im Hinblick auf alle Sektoren und die ganze Gesellschaft, bis hinunter in die tiefste Ebene. Es ist kein Zufall, dass die Erzählung mit dem persönlichen Schicksal der Eltern des Autors in einer südlichen Stadt mittlerer Größe wie Salerno beginnt und schließt. Es ist dies ein guter Ausgangspunkt, um im Detail zu untersuchen, wie die rapide Entwicklung im Untersuchungszeitraum, um es mit einem anderen Autor zu sagen, die Art und Weise «der Produktion und des Konsums, des Denkens und des Träumens, des Lebens in der Gegenwart und des Planens für die Zukunft» veränderte. Viele Aspekte dessen werden schnell paradigmatisch, von den neuen Möglichkeiten, die sich durch die Bildung oder durch die Standardisierung und Massendisponibilität von Konsum ergeben, über die langsamen aber erkennbaren Veränderungen im Verhältnis der Geschlechter, bis hin zu neuen Formen der Soziabilität, welche die Klassenunterschiede aufzulösen scheinen.

Dass es sich nicht lediglich um eine statische Ausgangsbasis handelt, vor deren Hintergrund die politische Geschichte der Entstehung des Centro-Sinistra (mithin das Hauptanliegen des Buches) dargelegt wird, ist schnell an zwei Faktoren zu erkennen, die glücklicherweise hervorgehoben werden. Erstens wird durchweg implizit verdeutlicht, dass der Wandel hauptsächlich chaotisch, unausgewogen und nicht homogen verlief. Dieses Bewusstsein einte viele politische und intellektuelle Hauptvertreter des Centro-Sinistra, auch wenn sie sich durch unterschiedliche politische Sensibilität auszeichneten. Das Projekt entstand also aus dem Wunsch, die gewachsenen Staatskompetenzen zu nutzen, um eine stärkere Rationalität des Eingreifens einzuführen, um Fehlentwicklungen, Ungerechtigkeiten und Kollateralschäden zu korrigieren, beispielsweise auf dem Feld der Städteplanung oder des Umweltschutzes, und um dem neuen Wohlstand durch Systematisierung eine längere Dauer zu verleihen. Zweitens werden die individuellen Geschichten zurecht mit dem Faktor verbunden, der nachvollziehbar als wichtigstes Ergebnis der Mitte-Links-Regierung angesehen wird: mit der Verstaatlichung der Energiewirtschaft und der Gründung einer sie steuernden und sie gemäß sozialverträglichen (und nicht nach profitorientierten) Regeln landesweit verbreitenden Institution. Diese Elemente sind hochgradig charakteristisch, und es ist das Verdienst beider Autoren, zu ihrem tieferen Verständnis beizutragen. Im ersten Fall legen sie eine Darstellung der intellektuellen Modelle vor, welche dem parteipolitisch taktierenden Handeln zugrunde lagen, im zweiten Fall sind es Zahlen und Aussagen, anhand derer die Bedeutung der Gründung der Enel (Ente nazionale per l’energia elettrica) in jener historischen Phase deutlich wird. Allerdings fehlt in dem Buch ein differenzierter Vergleich mit den zeitgleichen Entwicklungen im Rest Europas, die sich durch vergleichbare Initiativen der «Programmierung» nicht nur der wirtschaftlichen) und der selektiven Verstaatlichung auszeichnen, deren Grundgedanke ihr Einsatz als Mittel zu einer Modernisierung ist, welche nur aufgrund von Marktregeln unmöglich ist. Dieser Mangel kann den beiden Autoren jedoch nicht angelastet werden, scheint ein solcher Vergleich doch nicht ihr Ziel gewesen zu sein. Dennoch zeichnet sich ein solches Unterfangen keineswegs ab, auch wenn es von großem Nutzen wäre, um das unauslöschliche Verdikt des «außergewöhnlichen Falles Italien» zu modifizieren, welches so lange die Geschichtsschreibung des Landes bestimmt hat.

Die Analyse der beiden Autoren ist besonders dort anregend, wo sie das konfliktreiche Verhältnis zwischen gerade stattfindendem sozialen Wandel und der Entstehung des Centro-Sinistra aufweist, dessen strukturelles Reformwerk auf einigen Sektoren verlangsamt, beziehungsweise, nicht nur durch die inneren Oppositionen hinsichtlich der Regierungsparteien oder des Bereichs der öffentlichen und privaten Wirtschaft unterbrochen wurde. Die These lautet in der Tat, dass gerade die Förderung des Privatkonsums den öffentlichen schädigte, also der Primat des individuellen vor dem kollektiven Wohl, oder allgemeiner ausgedrückt der Umstand, dass die Entwicklung einer «Vermittelstandung» («cetomedizzazione») als Erblast der vorherigen Zeit für den Hauptanteil der Wähler den Übergang zu einer programmatischen Politik erschwerte, die auf stärkeres Eingreifen des Staates mit Blick auf Wirtschaft und Ankurbelung des öffentlichen Konsums setzte. Andererseits sollte der bald einsetzende ökonomische Niedergang zu neuen gesellschaftlichen Konflikten führen, die den moderaten Zielen der Anhänger des Centro-Sinistra selbst kaum so günstig waren wie hingegen dem Partito Comunista.

«Klassischer», aber nicht weniger detailreich, sind jene Passagen des Buches, welche den harten Verhandlungen zwischen den Hauptakteuren der Democrazia Cristiana, des Partito Socialista und den weiteren laizistischen Parteien gewidmet sind, welche jene Erkenntnisse in ein akzeptables und funktionierendes Regierungsprogramm gießen sollten. Es war dies ein Anspruch, so die Ansicht der Autoren, der sich immer mehr als illusorisch erwies, selbst für die überzeugtesten Anhänger des Centro-Sinistra. Sie mussten bald auf bestimmte Reformprojekte verzichten, die zuvor als unverzichtbar gegolten hatten (beispielsweise auf die ungelöste Frage der urbanistischen Reform). Zumeist waren sie von der Notwendigkeit überzeugt, eine Form des Regierungshandelns beizubehalten, welche das Land möglichst gegen konservatives Abdriften oder staatsfeindliche Tendenzen wappnen sollte. Aus dieser Dynamik entsteht das «Bedauern» hinsichtlich der progressivsten Ergebnisse, die jene geschichtliche Phase versprochen hatte, aber nicht halten konnte oder wollte. Und doch bemühen sich Amato und Ravveduto, hinsichtlich des in ihrem Titel angeführten und auch sonst oft genannten Begriffs der «ausgebliebenen Reformen» («riformismo mancato») um eine nüchternere und ausgewogenere Bewertung der Ergebnisse des Centrosinistra in Italien, mit Blick auf die konkreten Machbarkeiten.

Den Autoren zufolge ist eine «fast ausgeglichene Bilanz» zwischen durchgebrachten und ausgebliebenen Reformen zu konstatieren. Vor allem aber scheinen sie weniger Zweifel als andere gehabt zu haben, herauszustellen, dass ein Teil der Projekte nicht nur aufgrund der Widerstände einiger Sektoren scheiterten, die ihnen aufgrund von grundsätzlichen oder politischen Motiven naturgemäß ablehnend gegenüberstanden (von den Baulöwen bis hin zur Banca d’Italia). Das Scheitern wurde auch durch die Illusionen einiger Anhänger des Centro-Sinistra hervorgerufen, ihre Zielvorstellungen von oben herab auferlegen zu können, ohne die Massen und die Öffentlichkeit konkret einzubeziehen und zu informieren.

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