Reviewer Claudio Ferlan - FBK-ISIG
CitationIm Lauf der Jahrhunderte änderten sich in der Frühen Neuzeit Protagonisten, Formen und Arten des Reisens tiefgreifend, wie die vorliegenden Ausführungen Rita Mazzeis aufzeigen. Im Zeitraum zwischen 1500 und 1700 waren schlechthin Massen auf den Straßen Europas unterwegs, und sie machten sich mit unterschiedlichen Motiven und Zielen auf den Weg. Dass es ein schwieriges Unterfangen ist, die Komplexität des Phänomens mit wenigen Worten zu beschreiben, wird an der Lektüre des Werkes «Per terra e per acqua» deutlich. Ein Indiz für diese Problematik ist das häufige Wiederkehren einiger Argumente, die schwerlich innerhalb der Grenzen der einzelnen Kapitel abgehandelt werden können: Oft werden sie unverbunden erwähnt, um später weiterentwickelt zu werden. Dieses Hin und Her läuft Gefahr, den Leser zu verwirren, doch zugleich ist es Ausdruck der Dichte und Vielschichtigkeit der Untersuchung. Aus diesem Grund muss die Lektüre des Lesers (und des Rezensenten) nicht mit der vorgegebenen Linie der Autorin übereinstimmen.
Das erste Kapitel («Viaggi e Viaggiatori») beginnt mit einem Porträt der aus beruflichen Gründen Reisenden in der Frühen Neuzeit: Händler und Botschafter. Vor allem die erstgenannten werden untersucht. Ihre Fähigkeiten – also ihre Kompetenzen auf sprachlichem, geographischen und kulturellen Gebiet – weisen sie klar als professionelle Reisende aus, und gerade aufgrund dieser Fähigkeiten können sie denjenigen Protektion gewähren, die nicht in diesen Dingen bewandert sind. Die Auflistung der Wissensbestände der Händler dient einer Einleitung zu den anderen thematische Stärken des Buches: Es handelt sich um die Themen der unterschiedlichen Sprachen Europas und der Risiken für den, der sich auf den Weg machte. Zwischen dem frühneuzeitlichen Latein und dem Französisch des 18. Jahrhunderts gab es eine Reihe von Idiomen, die sich dem Reisenden als nicht immer einfach zu überwindende Hindernisse in den Weg stellten. Über die Gefahren hinaus, die sich durch Un- bzw. Missverständnis ergeben, machten vielerlei Gefahren eine Reise zu einem Abenteuer mit nicht immer glücklichem Ausgang. Man bedenke nur, dass es in der Frühen Neuzeit üblich war, vor Reiseantritt ein Testament aufzusetzen. Sich auf den Weg zu machen, war allerdings oft weniger gefährlich als zu bleiben. In der Tat brachen viele auf, um zu fliehen, sei es vor Epidemien oder vor möglichen religiösen Verfolgungen. Die «Ungewissenheiten des Weges» («Le incognite della strada») sind mithin das Thema des zweiten Kapitels, in dem es um die Schwierigkeiten geht, die mit der Überquerung von Grenzen verbunden waren, Problemen also, die durch die Reformation und die Religionskriege in Europa verkompliziert wurden. In der Gruppe zu reisen, war die häufigste Strategie der Risikominderung. Aber man maskierte und verkleidete sich auch oder reiste unter falschen Angaben (wie etwa jener, stumm zu sein, um nicht den Akzent des Fremden oder die mangelnde Sprachkenntnis preiszugeben). Es geht hier um jene Reise inkognito, die aus anderen Gründen zu einer Mode unter den Fürsten des 18. Jahrhunderts wird, wie aus dem Schlusskapitel (dem fünften, «Viaggiare nel secolo dei Lumi») hervorgeht.
Zur Unterstützung der Reisenden wurde mit den Jahren ein wahres System der aufnehmenden Institutionen entwickelt. Als sich die Praxis des Reisens (seit dem 14. Jahrhundert) konsolidiert, gesellen sich öffentliche Gasthäuser zu den traditionellen Formen der kirchlichen Gastlichkeit. So kommt es zur Ausbildung der Figur des Gastwirtes. Er gewährt nicht nur Obdach gegen Geld für Menschen und Tiere, er kann auch Informationen geben, als Übersetzer fungieren und Schutz für Waren und Gepäck garantieren. Unterkunft wird nicht in räumlicher, sondern auch in sozialer Hinsicht gewährt, wie das Beispiel der häretischen Italiener beweist, die in den durch ihre Landsleute in Polen errichteten Netzwerken in Polen Unterschlupf finden. Aufgrund der Kompetenzen der Autorin werden Polen und Litauen ausführlich behandelt. Polen wird nicht nur als eine Art Rettungsanker für Flüchtlinge religiöser Auseinandersetzungen dargestellt, sondern auch als eine Art «europäisches Kuriosum», ein unbekannter Ort, der Neugier und Angst gleichermaßen weckt.
Zurück zur Identität der Reisenden: Es sind mehr Männer als Frauen, zumindest bis zum Zeitalter der Aufklärung. Vor dem 18. Jahrhundert reisen Frauen in Begleitung ihrer Männer und unter Schutz. Die weibliche Mobilität ist ein Feld, dass es weiter zu erforschen gilt, wie die Autorin betont, beispielsweise die Reisen von Königinnen und Fürstinnen im Rahmen der in der Frühen Neuzeit so bedeutsamen Heiratspolitik (Kapitel 4, «Corti in movimento»). Auffallend ist der (fast zu) große Raum, den die Autorin dem 18. Jahrhundert im Lauf der Abhandlung fortwährend zugesteht. Mazzei fühlt sich verpflichtet, häufig zu betonen, dass sich mit dem Zeitalter der Aufklärung alles ändert. Die Neuerung betrifft insbesondere den Protagonisten, den die Autorin als den «philosophischen Reisenden» bezeichnet, «denjenigen, der mit offenen Augen beobachtet, die sich ihm bietenden Eindrücke analysiert und die Eigenheiten der Örtlichkeiten beurteilt, mithin die interessantesten Aspekte der sich ihm eröffnenden Welt erfassen kann. Seine Perspektive ist nicht verengt, und der Literat lässt Politik und Wirtschaft nicht beiseite» (S. 225). Das Reisen geschieht aus Lust, mit dem Ziel der kulturellen Bereicherung durch die konkrete Beobachtung von Gebräuchen, die sich von den eigenen unterscheiden: Dies ist das zentrale Motiv der grand tour, einer Art Bildungsreise, die unter solchen jungen Männern weit verbreitet war, die in Zukunft Teil der politisch tonangebenden Klasse werden sollte. Hauptziel der Tour ist Italien, ein Land, das durch die Erinnerung an eine große Zeit fasziniert. Die Halbinsel ist übersäht mit archäologischen Stätten. Städte wie Rom, Venedig und Florenz sind berühmt. Die religiösen Feste beeindrucken durch die lokale Frömmigkeitsvielfalt. Wie am Beginn des Buches dargelegt wird, löst sich der Reisende des 18. Jahrhunderts auch von der fast ausschließlichen Eingebundenheit in den städtischen Kontext, um seine durch die Wissenschaften, etwa durch Botanik und Geologie geweckte Neugierde der Natur zuzuwenden.
Die Identität des Reisenden in der Frühen Neuzeit ist «fließend», wie es der Titel des dritten Kapitels nahe legt. Neben den schon erwähnten Typen gibt es da auch die Studenten und Professoren. Sie sind Akteure einer Mobilität, die sich auf die Kollegien und Universitäten richtet, und dies insbesondere im Zuge der Reformation, als die Konfession auch den akademischen Weg zu bestimmen beginnt. Für sie, insbesondere für die Studenten, hat die Rückkehr besondere Implikationen, insofern in den Studienjahren gesammelte materielle Dinge und Erfahrungen an die Herkunftsorte rücktransportiert werden müssen. Dann sind da die Pilger. Gegen die Anfechtungen des mittelalterlichen Pilgerwesens durch die Reformatoren wehrt sich die katholische Kirche vehement, indem sie der Institution der Jubeljahre neues Gewicht verleiht, auch zugunsten der Zentralstellung Roms. Ein weiterer Typ des Reisenden in der Frühen Neuzeit fehlt in dem Buch: der Missionar. Zwar trifft es zu, dass Missionierungsreisen meist im außereuropäischen Kontext vollzogen werden, doch es muss betont werden, dass vielerlei innereuropäische, kontinentale Missionskampagnen zu einer bedeutenden Mobilisierung von Ordensleuten, insbesondere von Franziskanern und Jesuiten führten. Sie haben oft gut verfolgbare Spuren hinterlassen und ihre schriftlichen Hinterlassenschaften im Sinne einer Geschichte der Reisen «zu Wasser und zu Land» in die Untersuchung einzubinden, hätte daher eine fundamentale Bereicherung dargestellt. Dies nicht zuletzt daher, weil Ordensleute mit allen Reisenden der Frühneuzeit ein Charakteristikum teilen, welches die Autorin hervorhebt: Eine Physis, die es gestattet, die enormen Anstrengungen auszuhalten, welche mit der unbequemen Fortbewegung zu Fuß, auf dem Rücken eines Esels, in den seltensten Fällen in einem Gefährt oder gar, in den Wintermonaten, auf einem Schlitten verbunden waren.
Um schließlich die Reihe der Portraits von Reisenden zu vervollständigen, sei daran erinnert, dass oft auch Herrscher mit ihrem Gefolge reisten. Fürstenbesuche in den unterschiedlichsten Regionen des eigenen Reiches stellten eine politische Verpflichtung dar und waren notwendig, um erkannt zu werden und sich Anerkennung zu verschaffen. Häufig handelt es sich um vergnügliche Reisen, auf denen die angenehmsten Winkel des eigenen Herrschaftsgebietes angesteuert werden. Das hauptsächlich auf Reisebeschreibungen und Sekundärliteratur basierende Buch «Per terra e per acqua» schließt mit einer reichen Endbibliographie und einem kleinen, aber repräsentativen Anhang von dreizehn bildlichen Darstellungen.