Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

40, 2014/2

Massimiliano Gregorio

Parte totale

Review by: Maurizio Cau

Authors: Massimiliano Gregorio
Title: Parte totale. Le dottrine costituzionali del partito politico in Italia tra Otto e Novecento
Place: Milano
Publisher: Giuffrè
Year: 2013
ISBN: 88-14-18196-9

Reviewer Maurizio Cau - FBK-ISIG

Citation
M. Cau, review of Massimiliano Gregorio, Parte totale. Le dottrine costituzionali del partito politico in Italia tra Otto e Novecento, Milano, Giuffrè, 2013, in: ARO, 40, 2014, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2014/2/parte-totale-le-dottrine-costituzionali-maurizio-cau/

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Zum Thema der politischen Parteien besteht mittlerweile eine sehr dichte Literatur. Die Parteiengeschichte einerseits und die Vielfalt der möglichen Sichtweisen andererseits haben das Interesse der nationalen Geschichtsschreibung für eines der prägendsten Phänomene der neuzeitlichen Politik wachgehalten. In diesem alles andere als einfachen Kontext findet sich jedoch keine weitreichende Studie, die aus einer Perspektive des langen Zeitraums die verfassungsrechtliche Geschichte der politischen Parteien und somit die im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts entwickelten und von der juristischen Tradition überlieferten Modelle und Konzeptionen zum Parteienbegriff erörtert hätte. Mit seinem überaus interessanten Band schließt Massimiliano Gregori nun diese Lücke, indem er die komplexe Beziehung der Rechtslehre zu diesem neuen Protagonisten der politisch-institutionellen Bühne beleuchtet.

Der konzeptionelle sich bereits im Titel des Bandes widerspiegelnde Ansatz der Analyse basiert auf dem Syntagma «Totaler Teil», das das Spannungsfeld, innerhalb dessen sich der Parteienbegriff als Verkörperung des pluralistischen Gepräges der gesellschaftlichen Interessen zum einen und als Repräsentation einer politischen Dezisionseinheit zum anderen bewegte, sehr gut exemplifiziert.

Der fortschreitende Auftritt der politischen Parteien als Hauptakteure der neueren Politik wird im Kontext der Staatslehre und der daraus resultierenden theoretischen Systematisierung gelesen. In diesem Prozess sind freilich auch die Einflüsse aus den anderen europäischen Kulturen spürbar, und im vorliegenden Band finden sich indes zahlreiche Verweise auf die britische und deutsche Verfassungsrechtslehre, die für die italienische Staatslehre bedeutende Vergleichsmodelle darstellen.

Die intellektuelle Reflexion über die mögliche Rolle der politischen Parteien im soeben entstandenen italienischen Nationalstaat stellte eine große Herausforderung dar und stand teilweise auch in Kontrast zur Aufmerksamkeit, die die führenden gesellschaftliche Klassen Italiens der Festigung des politischverfassungsrechtlichen Systems und somit der Verteidigung des parlamentarischen Systems und der Stärkung der Funktion der Abgeordnetenkammer widmeten.

Das von Vittorio Emanuele Orlando präsentierte auf dem deutschen Modell basierende Konzept, die Staatarchitektur nach Maßgabe der Rechtstaattheorie insofern neu zu bilden, als die Institutionen dem Einfluss der Politik entzogen werden, hatte einer deutlichen Schwächung der Rolle der Parteien in der Staatsrechtslehre zur Folge. Erst mit dem Anbruch des neuen Jahrhunderts nahm die Rechtslehre vor dem Hintergrund der damaligen sozialen Dynamik allmählich eine offenere Haltung gegenüber dem gesellschaftlichen Pluralismus ein. Die Stellung der Parteien im Verfassungsrecht festigte sich aber erst nach dem Ersten Weltkrieg im Zuge des Gesetzes zur Einführung des Verhältniswahlrechts von 1919 und insbesondere der Verordnung des Parlamentes von 1920 mit der daraus resultierenden Krise des liberalen Modells und der Herausbildung einer ersten Institutionalisierung der Parteien. Gaspare Ambrosini war einer der aufmerksamsten Beobachter dieses Paradigmenwechsels, indem er den Versuch einer ersten Systematisierung der Rolle der politischen Parteien in der juristisch-institutionellen Dynamik des Staats unternahm: eine Dynamik, in der die aufstrebenden Massenparteien – nach der Logik des sogenannten Parteienstaates agierend – den liberalen Kräften mit deren Verankerung im traditionelle Modell des Rechtsstaates gegenüberstanden.

Eines der Kernthemen in der vom Autor gebotenen Rekonstruktion beschäftigt sich natürlich mit den Positionen der Rechtslehre zum Parteienbegriff in den zwanzig Jahren der faschistischen Herrschaft, die eindeutig eine Diskontinuität gegenüber der politischen und juristischen Tradition der liberalen Ära darstellte und in der Parteientheorie eines ihrer bevorzugten Themen fand. Der Autor hebt die von der Staatslehre jener Zeit alles andere als einheitliche Position zur Parteienlehre hervor, die neben einer «orthodoxe» Lesart des Partito Nazionale Faschista als «Staatsorgan» eine «heterodoxe» Idee von der Partei als «Machtstaat» zur Organisierung und Übertragung des Volkswillen auf die institutionelle Ebene propagierte.

Diese Auffassung von politischen Parteien als Mittler zwischen Regierten und Regierenden erhält Ende der 1930er Jahre dank der aufkommenden neuen Generation von Staatsrechtlern (Mortati, Crisafulli und Esposito) im Rahmen des Methodenstreits eine überzeugende theoretische Konkretion: Die Parteien werden in einer nicht strikt auf einer autoritären Staatsauffassung fokussierten Perspektive als «totaler Teil» rezipiert, die als solche die soziale Vielfalt zu einer politischen Dezisionseinheit bündeln.

Dieses theoretische Konzept, dessen Auswirkungen weit über den politischen Kontext des Faschismus hinausgingen, entfaltete seinen ganzen Einfluss in der republikanischen Phase des Landes. Eine Anpassung dieser Reflexion an das demokratische Modell, das auf die Auflösung und Überwindung jeder Form von autoritärem Staat zielte, erwies sich freilich als notwendig. Ein beutender Teil des abstrakten Konstrukts wurde jedoch nie fallen gelassen und erwies sich sogar für die Definierung der Rolle der politischen Parteien innerhalb des neuen institutionellen Rahmens als hilfreich. Die demokratische Methode bekräftigte zwar die zentrale Stellung der politischen Parteien als Mittler für die Interessen und den Willen der Bürger, dennoch führte der Umstand, dass die politischen Parteien große Mühe mit der Anerkennung sämtlicher Verfassungsnormen hatten, zu einer Abspaltung der Staatsrechtslehre der Nachkriegszeit vom republikanischen System.

Gregorio rekonstruiert in seinem Buch die komplexe Geschichte der Rechtsauffassungen zum politischen Repräsentativsystem sowie das partielle Scheitern des Paradigmas der politischen Partei als «totaler Teil», das teils von den politischen Kräften abgelehnt und teils durch die Repräsentativitätskrise der Institutionen in den 1950er Jahren ausgehöhlt wurde. Die zunehmende Kluft zwischen normativem Charakter der Verfassung und tatsächlicher (Nicht-)Durchführung derselben bewirkte mit anderen Worten einen Vertrauensverlust der Staatsrechtslehre im Hinblick auf das politische System in seiner Rolle als wortegetreuer Interpret des neuen Verfassungskonzepts. Auch deshalb erwarteten die Staatsrechtler mit großem Interesse die Aufnahme der Aktivitäten des Verfassungsgerichtes, das bei der Umsetzung des neuen Verfassungskonzepts unzweifelhaft die zentrale Rolle spielte. Das Vertrauen zu den politischen Parteien, die sich der Abkehr von deren Funktion als Repräsentanten und Mittler von Volk und Staat schuldig gemacht und somit die ihnen vom demokratischen Verfassungsstaat zugewiesene Aufgabe nicht erfüllt hatten, konnte nicht mehr hergestellt werden. Auf dem Spiel stand letztlich nicht bloß ein Interpretationsmodell, nämlich jenes der Parteien als «totaler Teil», sondern in erster Linie vielmehr das Schicksal des sich auf die politischen Parteien stützenden demokratischen Systems selbst, wie die Geschichte der nachfolgenden Jahrzehnte noch zeigen würde. 

Aufgrund seiner Weitsichtigkeit, argumentativen Fundiertheit und seines vorzüglichen Schreibstils stellt Gregorios Buch eine überzeugende Darstellung der durch den suggestiven Filter der Parteienlehre gelesenen Verfassungsgeschichte Italiens im 19. und 20. Jahrhundert dar. Eine alles andere als reduzierte und begrenzte Sichtweise; vielmehr eine Perspektive, die einen weiten Blick in eine Vielzahl von Kernfragen der politisch-institutionellen Geschichte der letzten beiden Jahrhunderte wirft.

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