Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

40, 2014/2

Emmanuel Betta

L’altra genesi

Review by: Fernanda Alfieri

Authors: Emmanuel Betta
Title: L’altra genesi. Storia della fecondazione artificiale
Place: Roma
Publisher: Carocci
Year: 2012
ISBN: 978-88-430-6628-5

Reviewer Fernanda Alfieri - FBK-ISIG

Citation
F. Alfieri, review of Emmanuel Betta, L’altra genesi. Storia della fecondazione artificiale, Roma, Carocci, 2012, in: ARO, 40, 2014, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2014/2/laltra-genesi-storia-della-fecondazion-fernanda-alfieri/

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In diesem Band rekonstruiert Emmanuel Betta ausgehend von den ersten Experimenten vor etwas mehr als zwei Jahrhunderten die Geschichte der künstlichen Befruchtung. Unter den zahleichen Implikationen eines derart komplexen Themas arbeitet der Autor im Besonderen drei miteinander verknüpfte Aspekte heraus: den Werdegang der medizinischen Experimente, die Entwicklung der gesetzlichen Grundlagen und der ethischen Diskussion und schließlich die Entstehung individueller und kollektiver Ängste vor dem Hintergrund der (zunächst utopischen und dann plausiblen) Hypothese, wonach der Einzelne «künstlich» in die Natur eingreifen und die Technik den Menschen zur Gänze beherrsche könne (eine Vorstellung, die immer noch präsent ist). Der Autor stützt sich dabei auf die Diskurse der Ärzteschaft und Meinungsbildner (Lexikoneinträge, Artikel aus Fach- und Allgemeinpresse, Privatdokumente, Gesetzesvorlagen, Lehrmeinungen und erzählende Literatur) und auf die gesetzlichen Regelwerke, die im Laufe von zweihundert Jahren daraus hervorgegangen sind. Die Tatsache, dass der Band nicht visualisiert, wie das Thema «von unten» rezipiert und erlebt wird, nimmt dem Szenarium, das in seiner ganzen Dialektik und Brisanz dargestellt wird, nichts von seiner Vitalität. Das zugrunde liegende Leitprinzip ist stets der diffizile Bezug auf die «Natur» als übergeordnete und unerschütterliche Ordnung gegenüber dem Willen des Einzelnen, der durch die Praktiken der künstlichen Befruchtung angeblich auf gefährliche Weise ins Wanken gerät. Damit verbunden ist die immer noch bestehende Angst, dass durch diese Methoden die Verknüpfung zwischen Sexualität und Fortpflanzung verloren geht und das traditionelle Rollenbild zwischen Mann und Frau sowie deren Beziehung zueinander in Frage gestellt werden.

Die Anfänge der künstlichen Befruchtung gehen auf die Beobachtungen aus Tierversuchen zurück (Kap. 1), und die Wissenschaft der menschlichen Fortpflanzung ist in ihrer Gesamtentwicklung stets durch Einflüsse aus anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen geprägt. Es war der Abt Lazzaro Spallanzani, Professor an der Universität Pavia, dem es 1777 erstmals gelang, zunächst die Eizellen eines Frosches und dann jene einer Hündin künstlich zu befruchten. Das Experiment hatte keinen therapeutischen Zweck, es diente vielmehr der Erfassung des Zeugungsvorgangs. In den Jahren, in denen Spallanzani Experimente an Säugetieren und Amphibien durchführte, ließ der englische Chirurg John Hunter verlautbaren, die Eizellen einer Frau künstlich befruchtet zu haben, und das mit Erfolg. Auf den Engländer folgte alsbald der französische Kliniker MichelAugustin Thouret, der ebenso davon überzeugt war, die alleinige Urheberschaft über die neue Befruchtungsmethode zu haben. Die gewonnenen Erkenntnisse führten zum Bruch mit den jahrhundertealten Arsistotelisch geprägten Theorien der Zeugung als natürlichem Vorgang oder als Ergebnis des Einwirkens einer aura seminalis oder als spiritualistischer Vermengung des männlichen mit dem weiblichen Samen, wie der Band sehr gut herausstellt. Die Entwicklungsgeschichte der künstlichen Fortpflanzung bedingt indes eine Neubetrachtung der Wissensgeschichte der Embryologie und derer normativer Implikationen. Man denke nur daran, dass der «weibliche Samen» jahrhundertelang als dem männlichen ähnlich betrachtet wurde (man dachte, die Zeugung erfolge über das durch das warme Wohlgefühl während der sexuellen Vereinigung überhitzte Blut), jedoch weniger «vollkommen» sei und deshalb durch die männliche Substanz «beseelt» werden müsse. Auf dieser Unvollkommenheit des weiblichen Samens, der als unbrauchbare Materie gesehen wurde, basierte auch die biologisch determinierte Ursache der weiblichen imbecillitas. Am Ende des 18. Jahrhunderts begann man die physiologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau und den einzigartigen und ganz besonderen Beitrag des jeweiligen Geschlechts bei der Zeugung zu erforschen. In den 1820er Jahren wurde das Spermatozoon isoliert, dessen Funktion in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Zelltheorie von Rudolph Virchow erkannt wurde. In den 1820er Jahren wurde die Eizelle bei Säugetieren entdeckt und isoliert, man nahm allerdings weiterhin an, dass sich die Empfängnis durch den Samenerguss des Mannes vollzieht. In den 1840er Jahren wurde dann die Auffassung, dass die Ovulation vom Akt der sexuellen Vereinigung abhängt, widerlegt. Man erkannte, dass die Eizelle bei Säugetieren in regelmäßigen Abständen geschlechtsreif wird und dass dieser Zeitpunkt mit der Menstruation zusammenfällt. In jenen Jahren bestätigte sich zudem die Auffassung, dass sich im weiblichen Körper geschlechtsreife Perioden mit unfruchtbaren Perioden abwechseln. Diese Erkenntnisse – die sich nicht zufällig von Frankreich aus verbreiteten, wo die Diskussion über die Physiologie der Zeugung eng mit den Ängsten über den dort stattfindenden Bevölkerungsrückgang verknüpft war – wurden erst in den 1920er Jahren revidiert, als der Vorgang des Eisprungs nach den heute geltenden Grundsätzen erkannt wurde. Jene Jahre waren aber auch für die Geschichte der künstlichen Befruchtung maßgebend. Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Biologen Il’ja Ivanov in Russland angewandten Techniken zur künstlichen Befruchtung von Kühen, um deren Milchleistung zu erhöhen, gelangten in den 1930er Jahren erstmals auch beim Menschen zur Anwendung. Es sind dies die Jahre unmittelbar nach dem Grauen des Ersten Weltkriegs, in denen die Perspektive einer möglichen Beeinflussung der Natalität auf Rekonstruktionsutopien stößt (Kap. 3).

In den 1870er Jahren beginnt sich die katholische Kirche im Rahmen einer Reihe von Stellungsnahmen zu Sexualmoral und Hygiene sowie als Reaktion auf eine zunehmende Technisierung der medizinischen Wissenschaft mit dem Thema auseinanderzusetzen (Kap. 2). Ein Studium der Quellen der Glaubenskongregation des Vatikans ergibt, dass sich die katholische Kirche erstmals 1878 in einer lehramtlichen Erklärung zur künstlichen Befruchtung äußert und diese als natur- und sittenwidrig ablehnt, zugleich aber darauf hinweist, dass es notwendig sei, das Dokument nur beschränkt in Umlauf zu bringen, um der Verbreitung schädlicher Erkenntnisse nicht förderlich zu sein. Erst zwanzig Jahre danach, infolge wiederholter Forderungen nach weitführenden Erklärungen und einer langwierigen Überprüfung durch eine Expertengruppe aus Ärzten und Theologen, gelangt der Heilige Stuhl zu einer offenen Verurteilung. Dies erschien notwendig, weil die Praktiken der künstlichen Befruchtung eine immer größere Verbreitung fanden und das Wissen um diese Praktiken vor dem Hintergrund einer zunehmenden Fachliteratur potentiell für jedermann zugänglich wurde. Das Lehramt bestätigte seine ablehnende Haltung 1929 und erneut Mitte des 20. Jahrhunderts und berief sich dabei auf die normative Kraft der «Natur» und auf die traditionelle Kanonistik, wonach die sexuelle Liebe wesentlicher Bestandteil der Ehe zur Fortpflanzung sei und «der Lüsternheit Abhilfe schaffe». Nach Auffassung der katholischen Kirche erfüllte die künstliche Befruchtung keine dieser beiden Funktionen. Man hielt sie deshalb der Ehe nicht förderlich und moralisch verwerflich, da ein Dritter (der Arzt) in die Intimsphäre der Eheleute eingreife. Aus den theologischen Fachzeitschriften, den Lehrbüchern zur Moraltheologie und Pastoralmedizingeht geht jedoch hervor, dass die Meinungen der Vertreter der katholischen Kirche keineswegs so einheitlich waren. Während das Lehramt die neuen Praktiken strikt ablehnte, waren die Auffassungen der Moral- und Pastoraltheologen sowie des unteren Klerus weniger eindeutig und mitunter auch aufgeschlossen.

Die historische Konstruktion der künstlichen Befruchtung erfordert eine globale Perspektive, die vom Vatikan bis nach Übersee reicht. Der Band veranschaulicht, wie der gesetzliche Reglementierungsprozess seinen Anfang in den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich nahm (Kap. 4) und hauptsächlich die heterologe Befruchtung betraf, die das Neugeborene der Ungewissheit der Vaterschaft und den Arzt dem Risiko einer diffizilen Mediatorrolle zwischen Eheleuten und Spender aussetzt. Diese Form der künstlichen Befruchtung löst europaweit die meisten Befürchtungen aus und führt in den 1950er Jahren zu den ersten restriktiv ausgelegten gesetzlichen Regelungen. In Italien scheint die im letzten Kapitel (Kap. 5) dargestellte Entwicklungsgeschichte der künstlichen Befruchtung durch die Prävalenz moralischer und bürgerlicher Normen (Schutz der Familie, des Ungeborenen, der Bedürfnisse der menschlichen Natur) gekennzeichnet zu sein, die ihren Höhepunkt im schwierigen Verfahren findet, das zur Ausarbeitung des Gesetzes 40/2004 geführt hat. Der Band zeichnet sich dadurch aus, dass die komplexe Entwicklungsgeschichte der künstlichen Befruchtung mit ihren bedeutenden politischen Implikationen auf klare und umfassende Weise dargelegt wird.

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