Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

40, 2014/2

Simonetta Polenghi (ed.)

La scuola degli Asburgo

Review by: Florian Huber

Editors: Simonetta Polenghi
Title: La scuola degli Asburgo. Pedagogia e formazione degli insegnanti tra il Danubio e il Po (1773-1918)
Place: Torino
Publisher: Società Editrice Internazionale
Year: 2012
ISBN: 978-88-05-07299-6

Reviewer Florian Huber

Citation
F. Huber, review of Simonetta Polenghi (ed.), La scuola degli Asburgo. Pedagogia e formazione degli insegnanti tra il Danubio e il Po (1773-1918), Torino, Società Editrice Internazionale, 2012, in: ARO, 40, 2014, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2014/2/la-scuola-degli-asburgo-pedagogia-e-for-florian-huber/

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Dass das Unterrichtswesen nicht bloß zur Maria Theresias Zeiten ein «Politikum», sondern auch vor- und nachher Gegenstand öffentlicher und politischer Auseinandersetzung war, erscheint zunächst wenig überraschend. Aufschlussreich ist jedoch der Blick auf die gesellschaftlichen Zielvorstellungen, die sich hinter jener «Bildungsreform» verbargen. Der von Simonetta Polenghi herausgegebene Sammelband La scuola degli Asburgo widmet sich diesem Problemkomplex aus der Perspektive der Lehrerbildung und der disziplinären Entwicklung der Pädagogik zwischen 1773 und 1918. Wie Polenghi in ihrer Einleitung betont, ist es keinesfalls selbstverständlich, dass ein derartiger Band in Italien erscheint: Generelles Desinteresse und die Beharrlichkeit risorgimentaler Vorurteile waren für den historiographischen Blick auf den nördlichen Nachbarn lange Zeit wenig förderlich. Der methodische Zugang des Bandes ist durchaus anspruchsvoll: Die Frage, wie sich Pädagogik und Lehrerausbildung in der Habsburgermonarchie entwickelten, erfordert eine «multinationale» Perspektive (S. VII). Es geht daher nicht nur um die rechtlichen und wissenschaftlichen Vorgaben der Wiener Zentrale, sondern auch um deren Umsetzung in den Provinzen der Monarchie. Nicht die Wissenschaftsgeschichte also, sondern vielmehr die institutionelle Bildungsgeschichte steht in ihren überregionalen Wechselbeziehungen und Abhängigkeiten im Vordergrund.

Dieser Zuschnitt erlaubt es dem Band, ein möglichst breites thematisches und regionales Panorama zu entfalten. Die elf Beiträge behandeln die bildungspo- litischen Vorgaben Wiens, Norditalien, Ungarn, Slowenien und Siebenbürgen; instruktiv ist auch der Blick über die Grenzen der Monarchie nach Piemont. Die inhaltliche Bandbreite reicht von der Etablierung der Pädagogik als akademische Disziplin, der Auswirkung der Aufhebung des Jesuitenordens auf das habsburgische Bildungswesen, dem Einfluss der habsburgischen Bildungspolitik in Norditalien, der Bildungsreform Thun-Hohenstein, dem Bild des Kindes in pädagogischen Werken des 19. Jahrhunderts bis hin zur Rezeption der Herbartschen Pädagogik in den östlichen Ländern der Monarchie.

Von zentraler Bedeutung für diese Gesamtkomposition sind zunächst die drei Beiträge von Wolfgang Brezinka, Gerald Grimm, Christof Aichner und Brigitte Mazohl, die gleichsam die bildungspolitischen Vorgaben der «Zentrale» in den Blick nehmen. Drei Befunde gehen aus diesen Beiträgen hervor: Zunächst waren Bildungsreformen nie ausschließliche Konsequenz pädagogischer und gesellschaftlicher Bedürfnisse, sondern vielmehr in hohem Maße von politischen, finanziellen und weltanschaulichen Kontingenzen abhängig. So diente die mariatheresianische Bildungsreform auch der Sozialdisziplinierung und war in ihrer Umsetzung darüber hinaus deutlich von finanziellen Überlegungen geprägt. Die von der Thun-Hohensteinschen Reform eingeführten, bahnbrechenden Neuerungen im Sekundarschul- bzw. Hochschulwesen, wie etwa der Fachlehrer, Lehr- und Lernfreiheit oder die Einführung der akademischen Habilitation wären ohne die politischen Forderungen der Revolution 1848 und Leo Thuns katholischer Gesellschaftskonzeption nicht denkbar gewesen. Zweitens zeigt vor allem der Beitrag Brezinkas, dass die Etablierung der Pädagogik zum akademischen Fach keine lineare Entwicklung war: Ab 1805 führte die Monarchie bereits pädagogische Lehrstühle an ihren Universitäten ein, im Vormärz erlebte die Pädagogik, stark beeinflusst von Eduard Milde, eine erste Blütephase. Von 1848 bis 1869/71 wurde sie vom wissenschaftlichen zum praktischen Fach degradiert, erst mit der liberalen Wende nach 1867 setzte ihre endgültige Etablierung ein: Mit dem «Reichsvolksschulgesetz» 1869 erfuhr die Lehrerbildung ihre definitive Institutionalisierung, führende Pädagogen wurden an österreichische Universitäten geholt. Wichtiger waren jedoch außeruniversitäre Lehrerbildungseinrichtungen, die, wie in der Krain, die Verbreitung der Pädagogik als praktische und wissenschaftliche Disziplin entscheidend stützten.

Drittens schließlich war diese disziplinär-institutionelle Entwicklungsgeschichte eng mit der katholischen Kirche bzw. mit den christlichen Konfessionen verbunden: Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein war Pädagogik geradezu eine «katholische Disziplin»: Ein Großteil des unterrichtenden Personals gehörte, freilich mit erheblichen regionalen Unterschieden, dem Klerus an, die disziplinäre Entwicklung der Pädagogik nahm ihren Beginn im 18. Jahrhundert als Teil des Theologiestudiums, der Pädagoge und spätere Wiener Erzbischof Milde prägte das Fach beinahe ein halbes Jahrhundert lang. Aber auch in Teilen Transsilvaniens war die Ausbildung der Lehrpersonen erheblich von der orthodoxen Kirche gefördert, wie Ana Victoria Sima hervorhebt. Die akademische Etablierung der Pädagogik und der Lehrerbildung lässt sich mithin auch als Verweltlichungsprozess lesen, der ab 1850 zu erheblichen Spannungen, den Kulturkämpfen, zwischen Kirche und Staat führte.

Ein Großteil der Beiträge widmet sich rezeptions- und transfergeschichtlichen Prozessen nach Süden und nach Osten. Simonetta Polenghi und Valentina Chierichetti beschreiben anschaulich, wie sehr Transferprozesse von den lokalen Bedingungen der Rezeption abhängig sind. So wirkten sich die Bildungsreformen in der Lombardei, besonders die «Politische Schulverfassung» von 1805, die hier 1818 eingeführt wurde, erheblich stärker aus als in Venetien. Die Reformen des 18. Jahrhunderts, ein bildungsfreundliches Bürgertum und fortschrittliche Wirtschaftsstrukturen schufen hier einen fertilen Boden für pädagogische Innovation und eine erhebliche Nachfrage an ausgebildeten Lehrern. Die italienweit wohl höchste Alphabetisierungsrate um die 70%, eine nahezu lückenlose Erschließung des Territoriums mit Schulen und eine steigende Zahl an ausgebildeten Lehrern geben dem Erfolg der habsburgischen Schulpolitik in der Lombardei eindrucksvollen quantitativen Niederschlag. So überrascht es auch nicht, dass von hier aus die habsburgische Schulpolitik und die Pädagogik Mildes ganz erheblich auf das nahe Piemont abfärbten. Im strukturschwachen Veneto dagegen, wo sich arme Landgemeinden oft keinen ausgebildeten Lehrer leisten konnten, lag die Alphabetisierungsquote noch 1890 bei gerade mal 54%.

Faszinierend schließlich sind die wissenschaftlichen Transferprozesse zwischen Mittel- und Mittelosteuropa nach 1850, die in den Beiträgen von András Németh, Edvard Protner und Ana Victoria Sima sehr instruktiv dargestellt werden. Im liberalen Ungarn setzte die Rezeption der Herbartschen Pädagogik auch deshalb ein, um das katholische Übergewicht im Bildungswesen zurückzudrängen und dem säkularisierten Schulwesen eine laizistische Theorie zu verleihen. In der Krain war es vor allem dem umtriebigen Pädagogen Henrik Schreiner zuzuschreiben, dass der Herbartismus in einer abgeschwächten Form Verbreitung und Einfluss gewann. In Transsilvanien waren es schließlich junge Studenten, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mit der Unterstützung der orthodoxen Kirche in den Zentren des Herbartismus, Jena und Leipzig, studierten und, in ihrer Heimat zurückgekehrt, das Lehrerbildungswesen im Sinne der herbartschen Pädagogik aufbauten.

Es gelingt dem Band sehr gut, die Komplexität des Verhältnisses zwischen wissenschaftlicher Entwicklung und deren institutionellen Implementierung darzustellen, ein Verhältnis, das häufig auf transnationalen Transferprozessen beruhte. Insofern ist es bedauerlich, dass der Band die Erkenntnisse der intensiven deutsch-französischen, mittlerweile auch postkolonialen Diskussion um die Ansätze der Transfer-, Vergleichs- oder Verflechtungsgeschichte nicht berücksichtigt. Auch ist es erstaunlich, dass kaum auf die Widerstände und die Argumente gegen Bildungsreformen, vor allem jene der Kulturkämpfe nach 1850, eingegangen wurde. Insgesamt betrachtet, bietet der Band jedoch eine lesenswerte Zusammenführung vielschichtiger Transferprozesse und eine eindrucksvolle, transnationale Sozialgeschichte der Schule der Habsburgermonarchie.

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