Reviewer Émilie Delivré
CitationVorliegende Publikation erschien als 2. Teil einer von drei Forschern der Universität Triest (Cesare Vetter, Marco Marin und Elisabetta Gon) zum Thema des Glücks in der Zeit der Französischen Revolution durchgeführten Arbeit und ist ein gleichermaßen kurioses wie unvollendetes Werk.
Der Band, online als auch in gedruckter Form erhältlich, nimmt umfangreiches digitalisiertes Literaturmaterial zur Französischen Revolution in den Blick: Marats Oeuvres politiques und einige seiner Schriften aus der vorrevolutionären Zeit (zehn Bände); Saint-Justs Œuvres complètes; elf Einzelbände des Sammelwerks Œuvres von Robespierre; Héberts Le Père Duchesne (1790-1794) bestehend aus zehn Einzelbänden sowie Lequinios Werk Du Bonheur. Hinzu kommen eine Reihe politischer Katechismen (vorwiegend in gedruckter Form) aus der gleichen Epoche (die Forscher manifestieren in beiden Bänden die Absicht, künftig auch Werke von Condorcet, Babeuf, Meslier etc. berücksichtigen zu wollen).
Ebenso wie der 1. Teil geht vorliegende Publikation von Saint-Justs berühmtem Satz «Le bonheur est une idée neuve en Europe» vom 3. März 1794 aus und impliziert die Herausbildung einer neuen Auffassung von «Glück» in der Zeit der Französischen Revolution und insbesondere im zweiten Jahr (1793/94) der Revolution: einer Idee vom Glück als Emanzipation (weniger im privaten als vielmehr im öffentlichen Leben), als eine von den Revolutionsbeauftragten überbrachte «bonne nouvelle». Für die Montagnards und Jakobiner handelte es sich dabei um ein durch die Umerziehung und Abschaffung der Ungleichheiten zu erreichendes «Glück»; für die Girondisten bestand das Ziel hingegen in der Erreichung eines Zustands, in dem jedes Individuum auf seine eigene Weise das Glück suchen konnte. Das Ergebnis dieses Bedeutungswandels erscheint theoretisch als ein für jedermann zugängliches Glück, gesellschaftlich vom Gleichheitsgedanken geprägt und politisch durch den Revolutionsgedanken erzeugt.
Zur Verifizierung dieser Annahme und in Anknüpfung an Jacques Guilhaumou (seit 1982 im Laboratorium für politische Sprache an der École Normale Supérieure in Saint-Cloud tätig und Autor des 1989 erschienenen pionieristischen Werks La langue politique et la révolution française: de l’événement à la raison linguistique) hat die Trias der Forscher unterschiedliche Software (Concordance, DBT, Bruco) verwendet. Durch Eintragung gezielter Fragen soll «es dem Leser ermöglicht werden, die jüngsten und bedeutendsten Diskurse zu Themen der Französischen Revolution anhand von lexikologischen und lexikometrischen Evidenzen zu testen».
Nach Formulierung des Forschungsthemas, des methodischen Vorgehens und der untersuchten Korpora präsentiert der Band die Ergebnisse der lexikologischen und lexikometrischen Auswertungen, indem vor allem Okkurrenzen (absolute und relative Häufigkeiten), aber ebenso Kookkurrenzen, Kollokationen, Expressionen von Rangfolgen, zeitliche Verläufe, Konkordanzen sowie Kookkurrenz-Konkordanzen herausgearbeitet werden.
Was ergibt sich als Fazit für einen Historiker, der sich mit der Französischen Revolution befasst? Die Arbeit überrascht zu allererst durch die umfangreiche Grundlagenarbeit zur Erschließungen der für die Untersuchung erforderlichen Referenzdaten. Die Autoren exemplifizieren indes die zahlreichen Schwierigkeiten bei der Suche nach einem verwendbaren, ‘sauberen’ Korpus zur Sicherstellung einer äußerst geringen Fehlerquote. Die unzähligen Probleme im Hinblick auf Urheberrechte, Digitalisierung, Format (Gallica ermöglicht z.B. keine lexikometrische Untersuchung), die Verwendung von oftmals mit Fußnoten anderer Autoren versehenen ‘unreinen’ Texten (seit dem 2005 erschienenen Band bemühen sich die Autoren, die in der gedruckten Auflage enthaltenen Fußnoten zu entfernen) vermitteln mitunter den Eindruck eines heroischen Unterfangens.
Das Ergebnis ist überaus akkurat, präzise und liefert einen guten Überblick über die in den politisch-sozialen Diskursen jener Epoche vorkommenden Schlüsselwörter (natürlich «Glück», aber auch «Diktatur», «Naturrecht» oder «Freiheit» mit expliziten Verweisen auf die jeweiligen Textstellen). Besonders interessant erscheint die Untersuchung über die in den politischen Katechismen am häu- figsten formulierten Fragen: Jene kleinen, für ein bereits Publikum bestimmten, präzisierenden Universen, aus deren Analyse ein Bild des begriffsgeschichtlichen Interesses der Französischen Revolution hergeleitet werden kann (S. 469). Es ist nicht verwunderlich, dass an erster Stelle der Begriff «Mensch» steht (in den spanischen politischen Katechismen würde man an erster Stelle wohl «spanisch» oder «christlich» finden).
Nach diesen Prämissen bleiben aber doch einige Fragen. War es wirklich notwendig, in die Frequenzanalyse auch bedeutungslose Wörter (Artikel, oder Präpositionen) einzubeziehen und dadurch den Umfang des Bandes erheblich zu erhöhen? Wäre es nicht interessanter gewesen, diesen Raum für eine Analyse des umfangreichen Ergebnismaterials zu den Kookkurrenzen zu nutzen? Und war schließlich diese übermäßige Lemmatisierung von Lequinios Werk über das Glück notwendig?
Der Leser ist letztlich über das Fehlen einer abschließenden Zusammenfassung und Bewertung des überaus umfangreichen Forschungsmaterials enttäuscht. Im Grunde befasst sich der Band auch nur marginal mit Glück; es rückt neben der Menge an Informationen zu ganz anderen Konzepten doch eher in den Hintergrund. Es bleibt der Eindruck, dass die Autoren es verabsäumt haben, das gewaltige Ergebnismaterial in eine historisch angereicherte Perspektive zu übertragen. Zu beklagen ist ebenso das Fehlen eines Glossars mit der Erklärung der verwendeten Fachbegriffe. Dem weniger mit der Fachsprache der Linguistik (und vor allem der Computerlinguistik) vertrauten Leser bliebe dadurch das mühsame Vor- und Zurückblättern erspart, um die mit essentiellen, aber doch eher verborgenen Angaben versehenen Fußnoten am Ende des Essays ausfindig zu machen.
Von diesen Betrachtungen abgesehen, die vielleicht im 3. Band Berücksichtigung finden werden, vermisst man ebenfalls Bezugnahmen auf die deutsche Begriffsgeschichte (es findet sich lediglich ein Verweis auf Koselleck und dessen Vergangene Zukunft). Nur knapp formuliert Vetter die zentrale Rolle von Begriffen als Indikatoren und Faktoren historischer Sinnbildung (Guilhaumou hat z.B. in der Perspektive eines Denklabors auf die Knotenpunkte mit Geschichtliche Grundbegriffe in dem von Hans Erich Bödeker 2002 herausgegebenen Band Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte hingewiesen). 2009 ist zudem der Band Grundbegriffe der europäischen Geistesgeschichte: Glück von Georg Schildhammer erschienen.
Abschließend mag es eine Anregung für künftige Forschungsarbeiten des Teams um Vetter sein, auch die Bedeutungsentwicklung sprachlicher Ausdrücke zum Bereich der Emotionen in den Blick zu nehmen. «Glück» wird zuweilen «als ein Geschmack und eine Leidenschaft» (S. 19) empfunden, und einige Katechismen enthalten indes Definitionen von «Liebe» und «Neid» (S. 637). Le Bonheur ist auch eine Frage der Emotionen, und der Rezensent wäre interessiert zu erfahren, ob durch die Analyse der revolutionären Diskurse ein Bedeutungswandel der Emotionsbegriffe in der französischen Sattelzeit erschlossen werden kann.