Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

40, 2014/2

Stefano Cavazza (ed.)

Consumi e politica nell’Italia repubblicana

Review by: Giovanni Bernardini

Editors: Stefano Cavazza
Title: Consumi e politica nell’Italia repubblicana
Place: Bologna
Publisher: Il Mulino
Year: 2013
ISBN: 978-88-15-24122-1

Reviewer Giovanni Bernardini - FBK-ISIG e European University Institute

Citation
G. Bernardini, review of Stefano Cavazza (ed.), Consumi e politica nell’Italia repubblicana, Bologna, Il Mulino, 2013, in: ARO, 40, 2014, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2014/2/consumi-e-politica-nellitalia-repubblic-giovanni-bernardini/

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Der von Stefano Cavazza herausgegebene Band ist das Ergebnis eines mehrjährigen Forschungsvorhabens und will vor allem das Interesse der italienischen Geschichtsschreibung für die qualitative und quantitative Erforschung des Konsums nicht nur als Einkommensindikator, sondern als beständiges Element der italienischen Politikgeschichte des 21. Jahrhunderts wecken. Der Verfasser stellt heraus, dass es zwar einige illustre Präzedenzien gibt, die Historiographie in Italien aber im Vergleich zu den Ländern des angelsächsischen und deutschsprachigen Raumes – und nicht nur dort – das Thema des Konsums als «Form der sozialen Inklusion … verknüpft mit den Prozessen der Eingliederung in die Gesellschaft» erst sehr viel später aufgegriffen hat. Und selbst in diesen Fällen beschränkte sich das neue Interesse grundsätzlich auf die mit dem «Kalten Krieg» einhergehende generelle Erneuerung oder auf den militärischen und geopolitischen Bereich. Wenngleich die Polarisierung lange Zeit hindurch auch ein Wettbewerb auf Distanz zwischen Konsummodellen und deren Formen der Artikulierung, Differenzierung, Gegensätzlichkeit und Erneuerung war, kann sie dennoch zur Bereicherung der Erforschung des Konflikts per se und zur Thematisierung der strengen Unterscheidung von Innen- und Außenpolitik beitragen. Die Vorstellung, dass «der Wohlstand entscheidend für die Etablierung der Demokratien in der Nachkriegszeit und die Festigung der zwischen den beiden Weltkriegen bedrohten politischen Systeme in Europa gewesen sei», scheint sich in einer weiterführenden Überlegung nicht mehr wegdenken zu lassen und verdient deshalb eine vertiefende Auseinandersetzung.

Eine einheitliche Ursache dieser Vernachlässigung durch die Geschichtsschreibung lässt sich kaum oder gar nicht ausmachen. Implizit suggeriert der Band jedoch, dass dies in gewisser Weise damit zusammenhängen könnte, dass die bedeutendsten politischen Kulturen Italiens Mühe hatten, die zusehends komplexer werdende Dynamik des Konsums in ihre politischen Konzepte einzubinden. Bereits während des Faschismus – so Cavazza – habe es ein oftmals widersprüchliches Verhältnis von Politik und Konsum gegeben, wobei letzterer, wenn auch sehr langsam und ungleichmäßig, so doch beständig die gesellschaftlichen Verhaltensmuster immer mehr beeinflusst hat. Indem die Entstehung gewisser Tendenzen, die sich dann in den Nachkriegsjahren in vollem Umfang manifestiert haben, auf die 1930er Jahre rückdatiert wird, werden die Ereignisse Italiens kohärent und überzeugend in den größeren europäischen Kontext und der westlichen Welt verortet, in dem sie zu Recht schon seit längerer Zeit ungeachtet der verschiedenen politischen Systeme erfasst werden. Das faschistische Regime vermochte die inhärente Spannung zwischen Mythisierung des ländlichen Pauperismus und Tradition einerseits und den mit der damaligen sozio-ökonomischen Evolution einhergehenden Modernisierungstendenzen andererseits freilich nicht zu lösen.

Eine zwiespältige Wechselbeziehung, die auch nach der Entstehung der Republik und der stetigen Konsumzunahme infolge des Wiederaufbaus und Wirtschaftsbooms fortbestand. Wenngleich die Regierungsparteien das «Recht auf Konsum» als Attraktivitäts- und Legitimierungselement der gesellschaftlichen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg stillschweigend akzeptierten, gab es in der Bevölkerung weiterhin starke Vorbehalte im Hinblick auf die Folgewirkungen des Konsumismus, da dieser in ihren Augen der Erziehung nicht förderlich sei und die Gesellschaft von den «wahren Werten» ablenken könne. Neben der Opposition der Kommunisten, kamen die vorwiegend vom Pauperismus getragenen Kritiken auch aus weiten Teilen der Democrazia Cristiana, die für die Belange des Vatikans offener waren. Kritische Stimmen gegenüber der Konsumgesellschaft wurden ebenso unter den Intellektuellen in Italien und anderen Ländern Europas laut (man denke nur an die Kritiken der Frankfurter Schule). In diesem Zusammenhang versäumt es der Autor nicht, auch auf einen subtiler und differenzierter geführten Diskurs hinzuweisen, der mit der Gründung der ersten Mitte-Links-Partei entstanden ist und die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen Individual- und Kollektivkonsum sowie die erzieherische Funktion des Staates bei der Balancierung der beiden Konsumkategorien in den Vordergrund stellt. Ein Diskurs, das sei hier erwähnt, der sich freilich auch aus der erneuten Popularität bedeutender internationaler Werke wie jener von John Kenneth Galbraith speiste.

Die nachfolgenden Abhandlungen stellen denn auch besondere Aspekte der wechselseitigen Beziehung von politischer Kultur und Konsum in der Geschichte der italienischen Republik heraus. So fokussiert der Beitrag von Elisabetta Bini auf den Erdöl- und Energiekonzern ENI (Ente Nazionale Idrocarburi) in seiner Funktion als bedeutende öffentliche Körperschaft. In der Phase des Wiederaufbaus lancierte die Konzernspitze die Vorstellung, dass dem Staat beim Wiederaufbau des Landes und der Sicherung des Wohlstands der Bevölkerung eine bevorzugte Rolle auch durch die kontrollierte Verbreitung von Massenkonsum zukommen solle. Damit wollte sich ENI letztlich (mit nur partiell positiven Ergebnissen) die unaufhaltsame Verbreitung der Massengüter zunutze machen, um «zur Einführung neuer Definitionen von Demokratie, Individualfreiheit und nationale Zugehörigkeit im öffentlichen Bereich» beizutragen. Mit Unterstützung namhafter Experten auf dem Gebiet der öffentlichen Wirtschaft und des öffentlichen Management versuchte ENI die These zu untermauern, dass der Zugang zur «Motorisierung» in erster Linie, aber ebenso die neuen Freizeitformen und die daraus resultierenden zusätzlichen Konsumkategorien gleichermaßen zu einem neuen Verständnis des Bürgerrechts führen würden, das sich an den Erfordernissen der modernen Demokratien und im Besonderen des amerikanischen «New Deal» orientiere, den man mehr als alles andere emulieren wollte. Der Beitrag von Michele Marchi hat hingegen die katholische Welt im weitesten Sinne und deren diffizile Haltung zur Modernität des Konsums im Blick: Der wirtschaftliche Aufschwung der Nachkriegszeit setzte in Italien zwar später als in anderen europäischen Ländern ein, stieß aber auf politisch-institutioneller, kultureller und intellektueller Ebene lange Zeit hindurch auf Widerstand und Missverständnisse. In seiner vorzüglichen Wiedergabe des Geistes einer Epoche, macht der Autor auf das Paradox aufmerksame, dass das «Ende des christlichen Italiens» sowie jenes der traditionellen Werte, die durch die Verbreitung des Massenkonsums in ihren Grundfesten erschüttert worden sind, ausgerechnet mit der Regierungszeit der «Partei der Christlichen» zusammenzufallen scheint. Michele Marchi gelangt in seinen Ausführungen letztlich zu der Schlussfolgerung, dass es dem Vatikanischen ebenso wie dem politischen Katholizismus sehr lange schwerfiel, sich von der simplizistischen Gleichsetzung von Konsum und Konsumismus zu lösen, weil sie von vornherein eine Gesamtreflexion über die Entwicklung der Wohlstandsgesellschaft, dem Streben nach individueller Selbstverwirklichung und dessen Legitimation durch das demokratische System ablehnten.

Ricardo Brizzi arbeitet in seinem Beitrag das schwierige Verhältnis von kommunistischer Partei und Konsumgesellschaft aus der Perspektive der Massenkommunikation – vor allem des Fernsehens – heraus, was gewissermaßen kurios anmuten mag. Zwar konstatiert er zu Beginn seiner Ausführungen, dass die Italienische Kommunistische Partei (PCI) Mühe hatte, den Durchbruch der Konsumgesellschaft mit nüchternen Augen zu betrachten, ohne diese als bloße «Amerikanisierung» oder Versuch abzutun, der willentlich auf die Aushöhlung des revolutionären Potenzials der Arbeiterklasse abzielte. Die daran anschließende Analyse über die Entwicklung des Fernsehens zeigt aber, dass die Kommunisten in Italien Anfang der 1960er Jahre rechtzeitig die Relevanz des Fernsehens als politisches Kommunikationsmedium nicht nur für die eigene Stammwählerschaft und die traditionell kommunistisch orientierten Gesellschaftsgruppen erkannt hatten. Bemerkenswert war in dieser Hinsicht die Sendung «Tribuna politica», die als erste Spitzenpolitiker im direkten Gespräch mit Medienvertretern einem breiten Publikum zugänglich machte und zeigte, dass zahlreiche Vertreter der kommunistischen Partei den Bildschirm besser dominierten als ihre Widersacher und somit Wählerstimmen für sich gewinnen konnten.

Der Band schließt mit der langen und sehr differenziert ausgestalteten Abhandlung von Giuseppe Maione, die sich in zwei Teile gliedert. Der erste ebenso provokante wie strittige Teil propagiert die Vorstellung, dass das durch permanente Aushandlungen zwischen den Akteuren und sehr hohe Kosten geprägte USGesundheitssystem im Vergleich zu den europäisch orientierten Sanitätssystemen sehr viel mehr Anreize für Forschung, Investition und Konsum generiere. Der zweite Teil liefert hingegen vor dem Hintergrund der Konsumproblematik eine originelle Analyse der Ursachen, die ab den 1980er Jahren zu einer substanziellen ökonomischen Involution Italiens geführt haben. Der Wirtschaftsboom der Nachkriegsjahre sei – so der Autor – indes darauf zurückzuführen, dass der nationale Produktionsapparat (und damit einhergehend der Konsumapparat) imstande war, rechtzeitig auf die internationalen Trends zu reagieren. Vermochten die Führungsschichten der damaligen Zeit diesen Prozess noch zu fördern, so war das ab den 1980er Jahren im Zuge der globalen Umstrukturierung der Wirtschaft und der daraus resultierenden Neuorientierung der Tarifgestaltung und des Konsumverhaltens nicht mehr möglich.

Insgesamt betrachtet, verzichtet der Band ganz bewusst auf eine erschöpfende Analyse, was angesichts der beschränkten Beitragslänge auch gar nicht möglich wäre, stellt aber gerade deshalb eine vorzügliche Einführung in das schwierige Thema des Wechselverhältnisses von Politik und Konsum in Italien nicht zuletzt auch für jene internationale Forscher dar, die originelle Wege der Forschung abseits der mitunter abgenutzt anmutenden Interpretationsmodelle erkunden wollen.

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