Reviewer Giovanni Bernardini - FBK-ISIG e European University Institute
CitationDie jüngste Veröffentlichung von David Ellwood, die der Autor selbst im Nachwort als «das Buch eines Lebens» bezeichnet, behandelt die komplexe, verschlungene und intensive Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und Europa während des «Amerikanischen Jahrhunderts». Die Veröffentlichung des Textes auf Englisch fügt diesen verdientermaßen in eine historiographische Debatte ein, die im letzten Jahrzehnt durch ungebrochene Lebendigkeit und einen überraschenden Reichtum auf beiden Seiten des Atlantiks gekennzeichnet war, wovon auch das fast zeitgleiche Erscheinen des Bandes von Mary Nolan The Transatlantic Century: Europe and America, 1890-2010 zeugt.
Es sind vor allem zwei Interpretationsansätze, die den Beitrag von Ellwood aus einem außergewöhnlich reichen Umfeld an Studien herausragen lassen und von Anfang an jeden Ansatz einer reinen chronologischen Liste an Ereignissen «transatlantischer Begegnungen» unterbinden. Zunächst einmal strahlten die Vereinigten Staaten bereits seit dem Ende des 19. Jahrhundert, bevor die Macht von jenseits des Atlantiks die Europäer zur Gegenüberstellung auch mit der hierin enthaltenden kulturellen Dimension nötigte, eine unvergleichliche Fähigkeit aus, die eigene, vielseitige und wandelbare Modernität als normatives Modell zu entfalten, was die Europäer zu einem Nachahmungswettbewerb antrieb. Diese grundsätzliche Dynamik sollte an mindestens drei historischen Gelegenheiten, die auch die fundamentalen Passagen des Buches ausmachen, erneut kräftig zum Vorschein kommen: Der Aufstieg der wirtschaftlichen und technologischen US-amerikanischen Macht, die in ihrem entscheidenden Eingreifen in den «Europäischen Bürgerkrieg» von 1914-1918 mündete; die massive Neuerfindung der amerikanischen Modernität durch den Rooseveltschen «New Deal», die sich nach Europa im Kielwasser einer Armee an Soldaten, Technikern und Managern voll von großen Erwartungen während und nach dem zweiten Weltkrieg entlud; die erneute technologische und kulturelle Revolution der «Globalisierung» auf den Trümmern des Kalten Krieges, die, so zumindest die Wahrnehmung, eine erneute Herausforderung der US-amerikanischen Modernisierung an die Welt darstellte. Trotz einiger Zweifel und Befürchtungen angesichts der moralischen und materiellen Probleme Europas, fand die «Offensive» in allen drei Fällen eine positive Rezeption. Um es mit einem der Protagonisten des Buches von Ellwood auszudrücken, war der alte Kontinent geneigt, sich vom amerikanischen Traum verzaubern zu lassen, da «es bereits genügend Albträume gab». Geplagt von einer Identitätskrise am Anfang sowie am Ende des Jahrhunderts, fast begraben unter den Trümmern zweier verheerender innerer Konflikte, paradoxerweise eingekeilt zwischen dem Bedarf nach einer neuen Zukunft und dem Bedürfnis nach Stabilität, zwischen der Anhänglichkeit an reale oder eingebildete Erbschaften, und der Öffnung hin zu Neuerungen sowie der politischen, kulturellen und sozialen Neuausrichtung, die diese mit sich brachten.
Der zweite wohlgewählte Ansatz, den Ellwood über das gesamte Buch hinweg verfolgt, ist derjenige der Allegorie der zwei Ufer des Nordatlantiks als zwei sich gegenüberstehenden Spiegeln, oder, wenn man so will, zwei Kinoleinwänden (dies erscheint besonders passend). Abgesehen von einer kleinen Minderheit kulturell verständiger Reisender und deren Fähigkeit «objektive» Reiseberichte zu liefern vorausgesetzt, hat die große Mehrheit der Europäer und US-Amerikaner für mehr als ein Jahrhundert auf den jeweils anderen Partner Befürchtungen und Wünsche, Albträume und Träume, Utopien und Dystopien projiziert, die eher mit ihrer eigenen Welt zu tun hatten. Dennoch wurde die scheinbare Symmetrie dieser Logik bald von einer Gewissheit unterbrochen. Was die schlechtesten Aussichten betrifft, hatten die alte und die neue Welt immer viel zu bedenken: Die imperialistische Degeneration Europas und die Kommerzialisierung der Existenz in den Vereinigten Staaten, genauso wie die lähmende Anhänglichkeit der einen Seite an die Vergangenheit und die Insensibilität der anderen für lokale und historische Besonderheiten. Doch jedes Mal wenn «Modernität» synonym mit Fortschritt und positiver Innovation verstanden wurde, konnte sich das Bild der Vereinigten Staaten gegenüber dem, was Europa im 20. Jahrhundert produzierte, mit entwaffnender Leichtigkeit durchsetzen: bis hin zum vom Autor festgestellten ironischen Paradox, dass lange alles, was als «modern» und innovativ gesehen wurde, automatisch auf eine amerikanische Erfindung zurückgeführt wurde, ob dies nun der Wahrheit entsprach oder nicht. Mit anderen Worten: Es ist sicherlich eine würdige Aufgabe für aufmerksame Spezialisten, die europäischen Ursprünge vieler Einrichtungen des «New Deal» zu rekonstruieren, oder die französische Herkunft vieler Innovationen im technischen und organisatorischen Bereich, die den Aufstieg Hollywoods begründeten, in Erinnerung zu rufen, oder, wie jüngst geschehen, auf den europäischen Wurzeln des «World Wide Web» zu insistieren: dort, wo die Eigenwerbung Spektakel ist und das Mittel die Botschaft (nach der bekannten Formulierung von Marshall McLuhan), ist es Elwood ein Leichtes zu zeigen, wie ungleich der Kampf seit den Tagen gewesen war, als die europäische Tournee von Buffalo Bill die Eroberung des Wilden Westens in das erste Epos des show business verwandelte. Auf der Basis der sich verändernden Machtbeziehungen war somit die unvergleichbare Fähigkeit der Vereinigten Staaten, die sich allmählich durchsetzenden Kommunikationsmittel zur Förderung des um alle schlechten Aspekte gebührend gereinigten eigenen Images einzusetzen, der unausweichliche Maßstab für die Modernisierung Europas. Wie der Autor betont, waren diese immer wiederkehrenden Erfolge einer Verbindung von politischer Initiative und privater Beteiligung geschuldet, die andernorts nur schwer wiederholbar war. Letztere wird in einem doppelten Sinne verstanden: Beteiligt waren hieran Firmen, die während der langen Zeit der Durchsetzung amerikanischer Standards und Konsummodelle in Europa große Gewinnmargen erzielten; aber auch kulturelle und philanthropische Stiftungen, die sich der «Reorganisation des Bewusstseins» verschrieben hatten und versuchten, ihre Gesprächspartner davon zu überzeugen, dass soziale Lösungen – wie die in den Vereinigten Staaten angewandte governance – am besten geeignet waren, die Erfolge und Widersprüche der Massendemokratie zu beherrschen. Es ist kein Zufall, dass in Ellwoods Band ersterer Aspekt, oder die im Verlauf des Jahrhunderts aufeinander gefolgten Unternehmungen der Regierungen, einen anteilsmäßig geringeren Raum im Vergleich zu vielen ähnlichen Abhandlungen bekommen, während es der Autor bevorzugt, sich häufig der Pluralität der Initiativen und der wichtigen Rolle einer Vielzahl nicht-staatlicher Akteure für die Schaffung einer «transatlantischen Wertegemeinschaft» zu widmen. Auch in diesem Fall ist die Absicht eindeutig, mit der jüngsten internationalen Historiographie in einen Dialog zu treten. Zweck ist, dem spezifischen Beitrag kultureller, wirtschaftlicher und künstlerischer Agenten Rechnung zu tragen. Gleichfalls wird dem massiven Widerstand gegen Formen und Inhalte der USamerikanischen Modernisierungsbotschaft, die sich im Lauf des Jahrhunderts in Europa entwickelten, große Aufmerksamkeit gewidmet. In diesem Sinn ist Elwood weit entfernt von der unbedarften Bilanz der «Amerikanisierung» verstanden als eine – im Sinne ihrer Befürworter – mit Erfolgen gespickten Geschichte. Nicht nur gab es viele Intellektuelle verschiedener Herkunft, die die Risiken und Verirrungen von Kulturtransfers oder -verschmutzungen, die den Charakter von richtiggehenden Invasionen annahmen, verunglimpften; weniger auffallend aber sicherlich effizienter war der Widerstand der führenden Klassen, auch derjenigen, die am ehesten bereit waren, den transatlantischen Bund im Sinne von wirtschaftlichen Beziehungen und vor allem von Beziehungen von Sicherheit im Kontext des «Kalten Krieges» zu stärken. Wie attraktiv die amerikanischen Neuerungen auch waren, so war ihre Übernahme von einem andauernden Vermittlungsprozess durch die gesellschaftlichen und politischen Eliten und einer Anpassung an die lokalen Traditionen und Notwendigkeiten geprägt. Der intensiv im Text diskutierte Fall des Fernsehens ist vielleicht das augenfälligste Beispiel; auf der wirtschaftlichen und sozialen Ebene waren beispielsweise die Auswirkungen der produktiven und logistischen Revolution komplex und kontrovers, die für die amerikanischen Techniker ein fundamentales Element bei der langfristigen Entwicklung des Marshallplans bilden sollte. Die Inspiration der jüngsten Literatur, das Bild einer reinen «Amerikanisierung» der Vorstellungswelt und des Lebens der Europäer aufzugeben und stattdessen die Vorstellung zu akzeptieren, dass viele materielle und kulturelle Erzeugnisse amerikanischer Herkunft zunehmend ihren ursprünglichen Sinngehalt verloren haben und – abhängig vom Kontext des Empfängers – mit neuen sozialen Bedeutungen gefüllt wurden, wird von Elwood aufgegriffen und erweitert.
Wenn der Text einen Mangel hat, so findet sich dieser im Abschnitt, der den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts reserviert ist, und in dem sich – um es mit dem Autor zu sagen – «der einseitige Prozess der Amerikanisierung … nun unabhängig von seinen Ursprüngen praktisch erschöpft hatte». Diese Frage geht über die reine Rückführung auf den Widerstand der 68er innerhalb des Westens hinaus, und ihre Verbindung mit der amerikanischen Herausforderung zu Beginn des Endes des Kalten Krieges bleibt unklar. Es handelt sich jedoch hierbei eher um Forschungsvorschläge als um einen Fehler des Bandes. Dieser hingegen stellt, dank eines flüssigen Stils und der Vielfalt an vorgestellten und untersuchten Persönlichkeiten, Ebenen und Sachzusammenhängen einen verpflichtenden Referenzpunkt für jede Studie zu den transatlantischen Beziehungen dar, ist aber als Lektüre mit Sicherheit auch für ein größeres Publikum als die reinen «Spezialisten» interessant.