Reviewer Katia Occhi - FBK-ISIG
CitationDas größte Verdienst dieser Aufsatzsammlung ist, dass sie eine Reihe neuer Studien zur Wirtschaftsgeschichte des italienischen Raums vorstellt und zwar im Lichte der jüngsten Debatten der internationalen environmental history, insbesondere der angelsächsischen, die in der Einleitung wiedergegeben wird. Die Themenfelder, um die die einzelnen Beiträge kreisen, sind die in der vorindustriellen Gesellschaft verfügbaren Ressourcen und Energiequellen sowie die Auswirkungen geodynamischer und klimatischer Bedingungen, womit der Band an eine Tradition der italienischen Historiographie anknüpft (A. Caracciolo, R. Morelli, P. Malanima, R. Finzi).
In den folgenden kurzen Bemerkungen wird es nicht möglich sein, der Tragweite der Forschungen, der Vielfalt der verwendeten Quellen und der angebotenen methodologischen Anstöße der 23 Aufsätze, die sich nahezu über das gesamte nationale Territorium erstrecken, gerecht zu werden. Ich beschränke mich daher darauf, dem Leser eine Übersicht über verschiedene Beiträge zu geben, manche eher analytisch und problematisierend, andere eher beschreibend.
Die sechs Aufsätze der ersten Hälfte des Bandes konzentrieren sich auf Institutionen als regulierende Instrumente der Interaktionen zwischen Mensch und Umwelt. Die hier untersuchten Themen reichen von den Praktiken der Angliederung der Kommunen (E. Colombo) zur Fähigkeit des Ökosystems des Casentino im präunitarischen Italien (L. Nicolini), über die Veränderungen des landwirtschaftlichen Anbaus und der Organisation des Oltrepò Pavese, in der Provinz Pavia südlich des Po (L. Maffi), bis hin zur Anwendung der Savoyer Gesetzgebung in der Dorfgemeinschaft von Venaria, seit Mitte des 16. Jahrhunderts Jagdgebiet der Savoyer (D. de Franco). Von herausragender Bedeutung ist der Aufsatz von A. Guenzi und R. Rossi, der die Institution der Aragoneser Dogana delle pecore (eine Abgabe auf den Besitz von Schafen) als mögliches institutionelles Modell einer integrierten Kontrolle von territorialen Ressourcen für die Pastoral- und Agrarwirtschaft untersucht. Die Studien zur Wald- und Wassergeschichte der Republik Venedig (A. Lazzarini, R. Vergani und S. Ciriacono) erlauben A. Zannini, eine deutliche Bilanz der venezianischen «Umweltpolitik» vorzulegen und die Erfolge und Nachteile der Integration von Hauptstadt und Terraferma, die tiefgreifenden Folgen der Umlenkungen der Hauptflüsse sowie der Arbeiten zur Umwandlung der Lagune aufzuzeigen. Hierbei entsteht ein Gesamtbild, welches anachronistische Annahmen und Klischees, die bis vor kurzem noch auf die venezianische Herrschaft angewandt wurden, massiv in Frage stellt.
Die fünf Beiträge des zweiten Teils untersuchen die wirtschaftlichen, sozialen und demographischen Folgen der Eingriffe in die Umwelt auf lange und sehr lange Sicht. R. Finzi analysiert die Ausdehnung des Flachsanbaus und der Lohnarbeit auf dem Land um Bologna, während L. Mocarelli die Interaktion zwischen Klima und Wirtschaftsentwicklung im Mailänder Staat in zwei historischen Phasen während des 18. und 19. Jahrhunderts betrachtet und dabei zeigen kann, dass das Klima einen tiefgreifenden Einfluss auf die Preisbildung der Agrarerzeugnisse und auf die Entstehung von Hungersnöten hatte. E. Guidoboni setzt sich mit den vielen Erdbeben auseinander, die in Kalabrien zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert auftraten. Die Autorin fällt ein hartes Urteil über die fehlenden Maßnahmen zur Anpassung der überkommenen Bausubstanz, die wiederholten Erdbeben nicht standhalten konnte. Auch die öffentlichen Eingriffe Anfang des 19. Jahrhunderts bewertet sie angesichts von Spekulation und einer starken Überbürokratisierung als ineffizient. G. Alfani nimmt das bipolare System von Ivrea und Biella und die integrativen Beziehungen zwischen den beiden Städten in Augenschein, die auf Heiratsallianzen und Taufpatenschaften gründeten. Der Autor betont, wie die physischen Umweltbedingungen durch wirtschaftliche Interessen überwunden wurden und wie weit auch die Abschwächung der Scharnierfunktion von Verkehr und Wirtschaft Ivreas nach 1560 der zentralistischen Politik des Staates Savoyen geschuldet war. Der Abschnitt wird von E. di Stefano abgeschlossen, der zeigt, wie es mit Wasserenergie betriebene Unternehmen an den zahlreichen Flüssen und Kanälen in Umbrien und der Provinz l’Aquila, zusammen mit zahlreichen Pässen und Knotenpunkten des Zentralapennin, ermöglichten, diese Gebiete in überregionale Wirtschaftskreisläufe einzugliedern, die im späten Mittelalter und den ersten Jahrhunderten der Frühen Neuzeit vor allem (aber nicht nur) von der Papierherstellung lebten.
Der dritte Abschnitt des Buches beschäftigt sich mit den natürlichen Ressourcen. Eröffnet wird dieser durch den Aufsatz von L. Pezzati über die Versorgung Mailands mit Holz, ein neues Thema für die lombardische Wirtschaftshistoriographie, sieht man von einigen Studien von A. Visconti ab. Im Übrigen bleibt die Schwierigkeit der Holzversorgung der städtischen Wirtschaftsgebiete der Halbinsel bis heute eine offene Frage, was hauptsächlich auf Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Buchführungsunterlagen und bei der Analyse verschiedener Quellengattungen (Zollakten und Notariatsakten) zurückzuführen ist. Der meiststudierte Fall ist derjenige der Lieferungen nach Venedig, aber nur für die Bereiche des Schiffs- und Häuserbaus. Dieser Beitrag bildet daher, unter anderen, einen der ersten Mosaiksteine eines für die Umweltgeschichte zentralen Themenbereichs.
Die weiteren Aufsätze untersuchen die Entwicklung der Macchie von Terracina, einer Buschvegetation, die mit den «bonifiche integrali» (dem italienischen Meliorisationswesen) des Faschismus verschwunden ist (G. Pagnotta), die politischen Wechselfälle einiger Lehen der Küste Latiums (O. Amore) und die Anbauvielfalt der Abbazia von Grottaferrata mit Hilfe der Kataster und Register der amministrazione commendataria (der Verwaltung der Territorialabtei von Santa Maria di Grottaferrata) (P. Chiappafreddo). Nach einer Umschau über die in den letzten Jahrzehnten in Italien publizierten Studien zur Forstgeschichte zeigt R. Sansa die vielfältige Nutzung von Forstressourcen auf und entwickelt Forschungshypothesen über die Dichtotomie von Waldnutzung in einigen Alpenregionen im Vergleich zu anderen Gebieten der Halbinsel.
Der letzte Teil des Bandes widmet sich der Umweltressource Wasser; von der Beziehung zwischen Wirtschaft und Umweltpolitik in der lombardischen Ebene unter spezieller Berücksichtigung der mit Konflikten verbundenen Bewässerung der Reisfelder (M. di Tullio) bis hin zum Thema der Flussinseln der Dora (A. Celi) unter Zuhilfenahme einer Quelle aus dem Jahr 1588, dem sogenannten Coutumier von Carlo Emanuele I., von dem einige Passagen abgedruckt sind (für die Lesbarkeit des Textes wäre es freilich besser gewesen, das Französisch des 16. Jahrhunderts zu übersetzen). Der Aufsatz von D. Andreozzi behandelt die Wassersysteme der Provinz Cremona, während M. Pitteri den Streit zwischen der Republik Venedig und dem Kirchenstaat um das Delta des Goro nachzeichnet. O. Aristone und A.L. Palazzo untersuchen im Aufsatz zur Schifffahrt am Oberlauf des Tibers den Unternehmergeist lokaler Akteure im Transportwesen mit Fuhrwerken entlang «des Treidelpfades» am schiffbaren Verlauf zwischen Rom und Orte, sowie die Regierungsmaßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung der Stadt in den ersten dreißig Jahren des 19. Jahrhunderts. Von der sehr schwierigen Urbarmachung von Sanluri im Sardinien des 19. Jahrhunderts, die von den herrschenden Schichten bekämpft und mit französischem Kapital finanziert wurde, handelt der Aufsatz von G. Salice. Die Errichtung von Deichen im Tavoliere delle Puglie in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts erlaubt M.G. Rienzo die Politik der Territorialadministration zu untersuchen und das schwierige Gleichgewicht zwischen der Nutzung von Wasser als Antriebskraft und der Verteidigung des kollektiven Wertes von Wasser herauszuarbeiten.
Der Sammelband bietet verschiedene Fallstudien zur Konditionierung menschlicher Aktivitäten durch die Umwelt sowie zu menschlichen Eingriffen in die Umwelt, die zwei großen Themen der Umweltgeschichte, ohne dabei den wirtschaftlichen Zentralaspekt der Führung der Verwaltung/Ausbeutung der Ressourcen zu vernachlässigen. Er ist daher ohne Einschränkung zu empfehlen, sowohl aufgrund der Bandbreite an dargebotenen Perspektiven, als auch wegen der Aufforderung der Herausgeber, diese Beiträge im Kontext einer fundierten Forschungstradition zu lesen, von L. Gambi über P. Bevilacqua bis hin zu D. Moreno und jünst M. Agnoletti und M. Armiero.