Reviewer Stefan Bauer
CitationDer Band versammelt die Beiträge einer internationalen Konferenz, die vom 25. bis 27. Juni 2007 in Rom stattfand. Anlass dazu war der 400. Todestag des Kardinals Cesare Baronio (Sora 1538-Rom 1607). Dieser neue Band steht anderen Publikationen zur Seite, die aus wissenschaftlichen Veranstaltungen zum selben Anlass erwachsen waren (Arte e committenza nel Lazio nell’età di Cesare Baronio. Atti del Convegno internazionale di Studi, Frosinone e Sora 16-18 maggio 2007, hrsg. von P. Tosini, Roma 2009; Baronio e le sue fonti. Atti del convegno internazionale di Studi, Sora 10-13 ottobre 2007, hrsg. von L. Gulia, Sora 2009). Im Rahmen dieser Forschungslandschaft leistet das Buch vor allem auf zwei Feldern einen wichtigen Beitrag. Erstens werden, durch eine Konzentration auf Begriffe wie Heiligkeit und Geschichtsschreibung, die Nuancen – oder besser gesagt, die konfliktträchtigen Elemente – untersucht, welche die historischen Werke Baronios (die Annales ecclesiastici und das Martyrologium Romanum) kennzeichnen. Zweitens werden die Darstellungen untersucht, die – sowohl auf dem Feld der Historiographie als auch in dem jahrhundertelangen Prozess um seine Heiligsprechung – von seinen Werken und von seiner Tätigkeit als einflussreichem Mitglied der Kurie gegeben wurden.
Was den ersten Aspekt anbelangt, so hat man bemerkt, dass Baronio sich zwar der jüngsten Fortschritte der Philologie und der historischen Kritik bewusst war. Als «offiziellem» Historiker der Kirche gelang es ihm jedoch nicht, sich von einer apologetischen Notwendigkeit zu befreien: Er musste die Identität und die Vorrechte der nachtridentinischen Kirche bestätigen. Baronio selbst stellte seine Bemühungen als Historiker als Unternehmung dar, welche von einem göttlichen Auftrag herrührte und, gemäß der Vorsehung, darauf ausgerichtet war, die Rechtmäßigkeit der katholischen Kirche in Auseinandersetzung mit den Protestanten zu untermauern. In diesem Sinn erscheint eine parallele Lektüre der Beiträge von Mario Mazza und Simon Ditchfield nützlich. Mazza setzt die methodologischen Besonderheiten Baronios in einen historiographischen Kontext und zieht dabei auch den Vergleich mit der zeitgenössischen protestantischen Historiographie. Er hebt hervor, dass Baronio und sein Werk einem Moment des Übergangs angehörten: Gemeint ist der Übergang von Formen des historischen Schreibens, die der mittelalterlichen Tradition zuzurechnen sind, hin zu neueren Formen, die mehr im gelehrten Panorama der Frühen Neuzeit verankert sind. Simon Ditchfield erklärt, inwiefern die Geschichte Baronios eine Historia sacra war, die eng mit Liturgie und Gebet verknüpft war. Sie war in die «Kultur des Erinnerns» eingebunden, die sich als besonderer Charakterzug des Katholizismus in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts etablierte. Baronio beschwor in seiner Geschichte die Exempel Christi, der Märtyrer und Heiligen herauf, und er zeichnete, in Erwartung des Endes der Welt, die künftige Kommunion mit ihnen vor.
Eine solche Überlegung zu den generellen Charakteristiken des Werkes Baronios wird dann durch die detaillierte Analyse einiger Gesichtspunkte vertieft. Zu nennen sind hier Beiträge über: die Redaktion des Martyrologium Romanum (Giuseppe Guazzelli); die Rolle, die Baronio im Konflikt zwischen Venedig und Rom spielte (Stefano Andretta); das komplizierte Verhältnis zu Spanien, in dem Baronio durch seine Gelehrsamkeit die Positionen Roms unterstützte. In diese letztere Auseinandersetzung fügt sich auch die Debatte über die Doktrin des Luis Molina ein, zu der Baronio sich äußerte (Paolo Broggio).
Der zweite Hauptaspekt des Bandes betrifft, wie oben angedeutet, das Nachleben Baronios, d.h. die Wahrnehmung und Darstellung seines Werkes und seiner Person. Verschiedene Aufsätze unterstreichen, dass seine Schriften als eine Art Schatzkammer gesehen wurden, in der das gesamte historische und kulturelle Vermögen der römischen Kirche aufbewahrt war. Schon in den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts galt Baronio als maßgeblicher Bezugspunkt, beispielsweise für die katholische Gelehrtenwelt Polens: Er verkörperte eine Quelle und ein Vorbild für das Werk des Piotr Skarga (vgl. den Beitrag von Andrea Ceccherelli). Durch Vermittlung Polens wurden seine Werke auch in denjenigen osteuropäischen Gebieten eine oft benutzte Quelle, die direkter an Russland und die orthodoxen Metropolien angrenzten (trotz der Tatsache, dass seine Werke formell angefochten wurden; vgl. den Beitrag von Giovanna Brogi Bercoff). Die Vorbildrolle Baronios war allerdings nicht auf das historiographische Feld beschränkt, sondern er beeinflusste auch theoretische Überlegungen zur Kunst und zur Erforschung und Restaurierung frühchristlicher Denkmäler (vgl. die Beiträge im dritten Teil des Bandes von Lucrezia Spera, Ingo Herklotz und Alessandro Zuccari).
Der problematischste Aspekt des Nachlebens Baronios bleiben freilich die jahrhundertelangen Versuche, seine Anerkennung als Heiliger zu erreichen. Zwischen Baronios Heiligkeit und seinem historischem Schreiben hat sich in der Folge ein anscheinend unversöhnlicher Konflikt gebildet. Michetti (in der Einleitung) und Guazzelli (in den Schlussbemerkungen) gehen dem Konflikt nach. Dieser habe Baronio in einer konventionellen hagiographischen Darstellung «gefangen gehalten», welche eine vertiefte Analyse seiner Schriften und seiner Taten behinderte. Der Konflikt habe schlussendlich auch den Blick darauf getrübt, wer Baronio wirklich war. Zwei Beiträge untersuchen die Konstruktion des hagiographischen Bildes Baronios und den Seligsprechungsprozess (Tommaso Caliò, Edoardo Aldo Cerrato). Sie zeigen, dass die Versuche, die auf kultische Anerkennung Baronios abzielten, immer auf der Grundlage von beträchtlichem dokumentarischen Material durchgeführt worden sind.
Dieser Sammelband unterstreicht die Notwendigkeit, sich mit erneuertem kritischem Geist auf das hagiographische Bild Baronios zu konzentrieren und dabei das Material zu verwenden, das für die Niederschrift seiner bisherigen Biographien sowie für seine Selig- und Heiligsprechungsprozesse gesammelt wurde. Nur so kann man das Nachleben Baronios besser verstehen und nur so könnte auch entstehen, was bisher das größte Desideratum im Schrifttum über Baronio bleibt: eine aktuelle wissenschaftliche Biographie.