Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

39, 2013/2

Giovanni Ricci

Appello al Turco

Review by: Massimo Rospocher

Authors: Giovanni Ricci
Title: Appello al Turco. I confini infranti del Rinascimento
Place: Roma
Publisher: Viella
Year: 2011
ISBN: 978-88-8334-635-4

Reviewer Massimo Rospocher - FBK-ISIG

Citation
M. Rospocher, review of Giovanni Ricci, Appello al Turco. I confini infranti del Rinascimento, Roma, Viella, 2011, in: ARO, 39, 2013, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2013/2/appello-al-turco-i-confini-infranti-del-massimo-rospocher/

PDF

Mit Appello al Turco vervollständigt Giovanni Ricci eine Trilogie, die er 2002 mit der Ossessione Turca begonnen und 2008 mit I Turchi alle porte fortgesetzt hatte – Arbeiten, in denen er die reale oder imaginierte Präsenz der Türken in der italienischen Kultur, Gesellschaft und Politik der Renaissance untersucht hatte. Der Leitfaden dieses Forschungsjahrzehnts war die Infragestellung der Theorie des amerikanischen Politologen Samuel Huntington vom «Kampf der Kulturen», die in den Jahren des Übergangs vom 20. ins 21. Jahrhundert viele Diskussionen und Kritik hervorgerufen hat.

In den Rahmen der Revision dieses Konfliktmodells reiht sich nun die Analyse des expliziten Appells, den die europäischen Herrscher, und insbesondere die italienischen, in der Renaissance an die Türken gerichtet hatten. In diesem Band illustriert der Autor die überraschende Leichtigkeit, mit der sich die Christen an die Türken wandten (oder damit drohten), um im Zeitraum zwischen zwei traumatischen und periodisierenden Ereignissen – der Eroberung von Konstantinopel im Jahr 1453 und der Schlacht von Lepanto 1571 – ihre politischen oder privaten Konflikte zu lösen.

Ricci benutzt schreibgewandt und mit einem sehr persönlichen wissenschaftlichen Stil die Mikrogeschichte als heuristisches Instrument; und mit Biographiefragmenten mehr oder minder bekannter Persönlichkeiten gelingt es ihm, ein Bild zu zeichnen, das weitgehend von der offiziellen Version der Geschichte abweicht. Wir befinden uns hier in einer reichen Tradition der italienischen Historiographie, der Mikrogeschichte, mit Carlo Ginzburg als ihrem Stammvater. In der Tat werden Lücken in den Quellen häufig durch Interpretation und den Erzählstil des Autors gefüllt. Die geschickt zusammengestückelten eher schwachen dokumentarischen Spuren ergeben ein überraschendes Beziehungsgeflecht zwischen Welten, die eigentlich unverkennbar gegeneinander gerichtet sein sollten.

Das Beispiel kam von oben, vom Zentrum der Christenheit, von den Römischen Päpsten. Der erste Papst, der sich an die Türken wandte, war Pius II. Piccolomini. In einem Brief an Mehmet II. (1460/61) forderte der Papst den Sultan auf, zum Christentum zu konvertieren und bot ihm im Gegenzug den Titel «Kaiser der Christen» und den Beginn einer Friedensperiode an. Der Aufforderung wurde natürlich nicht nachgekommen und wenig später sollte Pius II. sich zum Kreuzzug entschließen. Aber mit Hilfe von etwas Vorstellungskraft kann man den Blick auf kontrafaktische Möglichkeiten einer alternativ verlaufenen Geschichte werfen: welchen Namen hätte der zum Christentum konvertierte osmanische Sultan wohl angenommen?

Auch Päpste wie Alexander VI. Borgia taten das Unaussprechliche: Sie wandten sich an die Türken. Als Karl VIII. in Italien einfiel wandte er sich nach Osten und versuchte ein Bündnis mit Bayezid II. einzugehen. In einem Brief vom Mai 1494 vertraute der Papst dem Sultan Schutz und Verteidigung des Kirchenstaates an. Auch in diesem Fall fiel der Apell auf taube Ohren. Und im Gegenzug waren es wieder die Türken, an die sich die Italiener wandten – wie beispielsweise der Florentiner Gelehrte Agostino Vespucci –, um von der Korruption und Erniedrigung des Borgia-Papstes befreit zu werden.

Auch wenn der Appell des Papstes am meisten überrascht, richteten sich in der durch die französische Militärpräsenz auf der Halbinsel erzeugten Panik auch andere italienische Fürsten an die Türken. So beispielsweise der Herzog von Mailand, Ludovico il Moro. Im Jahr 1499, als er sich von dem mit Frankreich verbündeten Venedig bedroht sah, bot er Sultan Bayezid II. im Gegenzug für Militärhilfe die Hand einer seiner Töchter. Als er schließlich seinen Staat verloren hatte, sandte er Botschafter zum Topokapi-Palast, um für seine Interessen zu sprechen und die Türken in die europäische Politik miteinzubeziehen. Dasselbe tat die Republik Venedig nach der militärischen Niederlage, die sie 1509 die Kontrolle über die Terraferma gekostet hatte. Im venezianischen Senat wurde lange über die Möglichkeit debattiert, die Türken als Alliierte nach Italien zu rufen. Und die Allianz mit dem osmanischen Sultan wurde schließlich 1536 vom König von Frankreich besiegelt, um sich der wachsenden Macht Kaiser Karls V. entgegenzustellen. Diese Politik der Freundschaft und Zusammenarbeit wurde nach dem Sechs-Tage Krieg von 1967 sogar von General Charles de Gaulle wieder in Erinnerung gerufen.

Neben den Geschichten von «hohen Herren» – von Botschaftern, Heerführern Dogen, Päpsten, Fürsten und Souveränen – kommen auch Geschichten von weniger bekannten Menschen zum Vorschein. Beispielsweise die eines Bologneser Kürschners. Im Jahr 1508 wurde der Handwerker auf dem Platz von Bologna gehängt, da er gegenüber dem päpstlichen Gouverneur erklärt hatte, die Herrschaft der Türken der der Priester vorzuziehen. Sein Ruf nach den Türken hatte keine politische Zielsetzung, sondern war Ausdruck eines in der italienischen Gesellschaft weit verbreiteten Antiklerikalismus und kostete ihn letztlich das Leben. Oder die des Propheten Salomon Molcho, der im Jahr 1532 auf dem Scheiterhaufen in Rom verbrannt wurde, da er öffentlich die Türken dazu aufgerufen hatte, den päpstlichen Stuhl zu besetzen.

Deutlich seltener gab es muslimische Hilferufe an Christen. Wenn, dann kamen sie aus dem Grenzgebiet von Christentum und Islam. Aus geopolitischen Gründen riefen vor allem Muslime aus Nordafrika Christen um Hilfe an.

Die Türken nahmen die christlichen Appelle nie wirklich ernst, aber die pure Existenz dieser Bitten und ihrer Zurückweisungen ist bedeutsam und trägt dazu bei, das Bild einer erbarmungslosen Konfrontation zu zerstören. Die Bitten, da sie uns Christen zeigen, die bereit waren, sich mit den Türken zu alliieren; die Zurückweisungen, da sie die Türken als wenig kriegerisch zeigen. In beiden Fällen bleibt die Religion im Hintergrund und ist nur selten ein entscheidender Faktor.

Diesem Buch kommt das Verdienst zu, die Unzuverlässigkeit und Unbegründetheit vieler historischer Simplifizierungen, die die Basis von Huntingtons Theorie vom «Kampf der Kulturen» bilden, zu demonstrieren. Das in der Renaissance zwischen dem Okzident und der islamischen Welt entstandene Verhältnis war ein widersprüchliches und schwieriges, und daran hat sich bis heute wenig geändert. Dieses Verhältnis bestand zwar aus Ängsten und Zusammenstößen, aber auch aus Begegnung und Austausch, aus einzelnen Identitäten, die sich einbrachten und so die Grenzen zwischen zwei offiziell gegnerischen Welten durchbrachen und durchlässiger machten.

Das Mittelmeer war der Raum in dem sich diese Grenzen verwischten. Und zwischen den Zeilen dieses Buches kann man eine gegen die Theorie des Konfliktes gerichtete Perspektive erkennen, diejenige der sogenannten «mediterranen Alternative». Von arabischen und europäischen Historikern ausgearbeitet, stützt sich diese Theorie auf die Kompromissfähigkeit und die friedliche Koexistenz, welche vor dem Ausbruch der Nationalismen im 19. Jahrhundert und der politischen und religiösen Integralismen im 20. die Bewohner des Binnenmeeres ausgezeichnet habe.

Das Thema bleibt von großer Aktualität. Heutzutage erregt die Aufnahme der Türkei in Europa gegensätzliche Reaktionen und gibt der kollektiven Angst einer ‘Bedrohung’ durch die Türken vor den Toren des christlichen Westens erneut Auftrieb. Die Kontinuität mit der Vergangenheit, so erinnert uns der Autor, liegt im Grunde im Schwanken zwischen kollektivem «Konflikt» und individueller «Begegnung».

Subscribe to our newsletter

Partners