Reviewer Massimo Rospocher - FBK-ISIG
CitationBuchdruck, Zensur und öffentliche Meinung sind grundlegende Phänomene des frühneuzeitlichen Europas. Aufgrund ihrer fundamentalen Bedeutung für den Eintritt in die Modernität und allgemein für die Geschichte der westlichen Welt sind diese Begriffe seit langem Thema der Geschichtsschreibung. Sandro Landi legt nicht nur einen aktuellen Forschungsüberblick zu den drei Themen vor, sondern lädt dazu ein, sie auf eine weite Zeitspanne (vom 15. bis zum 18. Jahrhundert) und für einen geographischen Raum, der sich von Westeuropa bis zur arabischen Welt hin ausdehnt, gemeinsam zu analysieren.
Der Forschungsüberblick – erschöpfend hinsichtlich der angelsächsischen, französischen und italienischen Literatur, weniger hinsichtlich der deutschen – konzentriert sich vor allem auf die Arbeiten, die in den letzten dreißig Jahren erschienen sind, nachdem die Pionierwerke von McLuhan, Bourdieu und Habermas jeweils die Geschichte des Buchdrucks, der Zensur und der öffentlichen Meinung radikal auf neue Grundlagen gestellt haben. Einer kritischen Untersuchung dieser drei Forschungsparadigmen zu den Themenbereichen entsprechen die drei Sektionen, in die das Buch unterteilt werden kann.
Der erste, zugleich dichteste, Hauptteil ist der kritischen Prüfung der traditionellen Interpretation gewidmet, die im Buchdruck einen Faktor der Modernisierung sieht. In den ersten zwei Kapiteln wird der Begriff der printing revolution analysiert, einer «Revolution», die von der Geschichtswissenschaft der letzten zehn Jahre angezweifelt worden ist. Diese hat in der Tat das Verständnis von einer revolutionären Rolle des Buchdrucks im Sinne eines Wendepunktes für die Menschheit abgeschwächt, der den Eintritt in die Modernität bedeutet hätte. Heute neigt man dazu, von einer Übergangsphase zu sprechen, und so werden neben den Veränderungen auch die Kontinuitäten hervorgehoben. Das dritte Kapitel geht auf die «Welt jenseits des Buchdrucks» ein. Es ist eine Welt innerhalb der «Gutenberg-Galaxis», in der noch immer die Kulturen der Mündlichkeit und der Handschriften vorherrschen. Aus der aktuellen Forschung geht «ein wahres Paradigma der Kommunikationsgeschichte [hervor] das dazu neigt, die verschiedenen Kommunikationsmöglichkeiten als ein System zu sehen, in dem Buchdruck, Handschriften und Mündlichkeit koexistieren und miteinander interagieren» (S. 51). Die Analyse der muslimischen Welt, welche durch einen säkularen Widerstand gegen den aufkommenden Buchdruck geprägt ist, erlaubt es, das eurozentrische Vorurteil ferner zu relativieren, das in der Erfindung Gutenbergs ein Hauptindiz für Modernität erkennt.
Im vierten Kapitel wird die These vorgestellt, welche die grundlegend repressive Rolle der Zensur in der Frühen Neuzeit – einen kürzlich entkräfteten historiographischen Allgemeinplatz – in Zweifel zieht. Für Landi ist die Zensur – vor allem die säkulare des 18. Jahrhunderts – nicht nur ein Faktor, der den öffentlichen Diskurs unterdrückt, sondern ein System, das aus Personen besteht, die sich mit Prozessen der Publikation beschäftigen. In diesem System werden die Grenzen dessen verhandelt, was öffentlich werden kann, und dessen, was geheim bleiben muss. Intellektuelles Manövrieren ermöglichte dabei Herausgeberschaft. Die Sichtweise von Habermas umdrehend, gemäß der die moderne Öffentlichkeit dadurch entsteht, dass die Mechanismen der Kontrolle von Ideen sich auflösen, werden hier die Zensur und die Meinungskontrolle als ein komplementärer, nicht als ein entgegengesetzter Aspekt der Öffentlichkeit präsentiert.
Der Analyse der Kategorie «Öffentlichkeit» in der Frühen Neuzeit ist denn auch das fünfte und letzte Kapitel gewidmet. Die kritische Überprüfung der These Habermas’ von der Entstehung der Öffentlichkeit wurde vor allem von der frühneuzeitlichen Geschichtsschreibung der letzten Jahrzehnte betrieben. Der Autor beschränkt sich nicht darauf, einen Überblick über die Kritik an Habermas’ Modell zu geben. Er erkennt hingegen den produktiven Anstoß an, den der deutsche Philosoph mit seinem fundamentalen Werk der Forschung zur Öffentlichkeit gegeben hat. In europäischer Langzeitperspektive ist die Öffentlichkeit heute sehr viel komplexer als der vor fünfzig Jahren durch Habermas aufgezeigte Idealtypus. Die Geschichtswissenschaft hat zuletzt neue Aspekte der politischen Debatten im frühneuzeitlichen Europa unterstrichen. Unter diesen hebt der Autor hervor: die Präsenz der Öffentlichkeit als Kategorie im politisch-philosophischen Diskurs von der Renaissance zum 18. Jahrhundert (von Machiavelli bis Kant); die Rolle der vor allem in der Sphäre der Mündlichkeit auf Plätzen und Straßen der Städte entstehenden Volksmeinung in der «republikanischen politischen Öffentlichkeit» des frühneuzeitlichen Italiens; das Konzept von «Öffentlichkeit» nicht nur als Ort des Streits und der Kritik an der Macht, sondern auch als Ort des Konsenses und der Legitimation von Macht.
Die Analyse der drei Begriffe Buchdruck, Zensur und Öffentlichkeit als eng miteinander verbundene Phänomene erlaubt, die traditionelle Gegenüberstellung der Entstehung der Pressefreiheit und der Entwicklung der Zensur zu dekonst- ruieren. Im Gegenteil waren gemäß Landi Zensur und Buchdruck konstitutive Elemente der Öffentlichkeit in der westlichen Welt.
Dieses nicht nur für Spezialisten geschriebene Buch rekonstruiert eine Vergangenheit, die komplexer ist, als man es sich vorstellt, und es lädt ein, die heutigen Veränderungen der Sphäre des Öffentlichen angesichts des Aufkommens der neuen Kommunikationstechniken der social media zu überdenken. Doch die Geschichte wiederholt sich nicht. Dies ist die Interpretation Landis, der keine leichtfertigen anachronistischen Analogien mit der Gegenwart sucht und stattdessen die unverkennbare Verschiedenheit der Veränderungen in der heutigen Welt der Kommunikation zu jener der Vergangenheit in Erinnerung ruft.