Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

38, 2012/2

Marco Cavarzere

La prassi della censura nell'Italia del Seicento

Review by: Ingo Herklotz

Authors: Marco Cavarzere
Title: La prassi della censura nell'Italia del Seicento. Tra repressione e mediazione
Place: Roma
Publisher: Edizioni di Storia e Letteratura
Year: 2011
ISBN: 978-88-6372-281-9

Reviewer Ingo Herklotz

Citation
I. Herklotz, review of Marco Cavarzere, La prassi della censura nell'Italia del Seicento. Tra repressione e mediazione, Roma, Edizioni di Storia e Letteratura, 2011, in: ARO, 38, 2012, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2012/2/la-prassi-della-censura-nellitalia-del-ingo-herklotz/

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Welch außergewöhnliche Bedeutung die Öffnung der vatikanischen Inquisitions- und Indexarchive von 1998 für die kirchengeschichtliche Forschung mit sich brachte, ist bekannt. Cavarzeres Band über das Zensurwesen des 17. Jahrhundert kommt eine besondere Stellung zu, denn anders als zahlreiche neuere Spezialuntersuchungen wagt er den großen Wurf. Die Gesamtdarstellung, die Vittorio Frajese für die Gründungsphase des römischen Index im 16. Jahrhundert vorgelegt hat (Nascita dell’Indice. La censura ecclesiastica dal Rinascimento alla Controriforma, Brescia 2006) findet hier, gestützt auf reiches, über die vatikanischen Archivalien weit hinausgreifendes, häufig noch unpubliziertes Material, eine angemessene Fortsetzung. Wie funktionierten die unterschiedlichen Institutionen der Zensur, und worin bestanden ihre Aufgaben? Wodurch zeichneten sich die mit ihr zusammenarbeitenden Zensoren aus? Inwiefern drang das entsprechende Kontrollsystem in das gesellschaftliche Bewusstsein ein? So die Leitfragen, denen die drei Teile des Buches folgen. Nicht das geringste Verdienst des Verfassers besteht darin, mittels seiner weit verstreuten Quellen den Blick von der römischen Zentrale weg immer wieder auch auf die lokalen Verhältnisse zu richten.

Kompetenzgerangel stellte ein entscheidendes Charakteristikum in der Organisation des Zensurwesens dar. Die 1572 gegründete, in erster Linie mit der Nachzensur befasste Indexkongregation stand von Anbeginn im Schatten der sehr viel autoritativeren Inquisitionskongregation, an die sie alle problematischen Fälle abtreten musste. Beide stritten um die Weisungsbefugnis den lokalen Inquisitoren gegenüber, denen vor allem die Präventivzensur oblag. Zwei weitere Rivalen, die Bischöfe nämlich und die staatlichen Behörden, traten außerhalb Roms hinzu. Für die Vorzensur in der Urbs war der Magister sacri palatii zuständig. Da sein Archiv verloren ist, lassen sich nur sporadische Aussagen über seine Tätigkeit machen. Die von Cavarzere verwendeten persönlichen Aufzeichnungen der einzelnen Magister deuten darauf hin, dass es eher zweitrangige Pamphlete und Gelegenheitsschriften waren, die ihrer Kontrolle anheimfielen. Man mag allerdings einwenden, warum der Verfasser nicht eine systematische Durchsicht der in Rom publizierten Bücher vornimmt. Angaben zu den im Auftrag der Magister erfolgten Zensurlektüren und somit auch Hinweise auf die mit ihnen zusammenarbeitenden Gelehrten finden sich dort in großer Zahl. Eher beiläufig erfährt der Leser schließlich (S. 139), dass auch der Vicegerente des Kardinalvikars die Vergabe des imprimatur beanspruchen konnte. Im Fokus der Zensur standen nicht die protestantischen Theologen, um derentwillen die Inquisitionsund Indexkongregationen im 16. Jahrhundert gegründet worden waren; vielmehr ging es dem 17. Jahrhundert darum, das Schrifttum des katholischen Italiens von allem schädlichen Gedankengut zu bereinigen. Die Auseinandersetzungen galten dem Jansenismus, dem Quietismus, den Lehren zur immaculata conceptio, dann aber auch den bedenklichen naturwissenschaftlichen Theorien, vorab dem Heliozentrismus, und den neuen Vorstellungen vom Staatsrecht; doch selbst gegen das Theater und die musikalischen Aufführungen schritt man ein.

Die im Range von Relatoren und Konsultoren als die eigentlichen Zensoren tätigen Mitarbeiter der Indexkongregation waren zumeist Protegés der für diese zuständigen Kardinäle. Kritik an ihrer Tätigkeit hat es auch von katholischer Seite immer wieder gegeben; zumal die Jesuiten warfen der Kongregation ihre einseitigen, den Dominikanern nahestehenden Positionen vor. Ansonsten aber – und diese These entwickelt sich zum Leitmotiv des vorliegenden Buches – gilt, dass Zensoren wie Niccolò Riccardi, Lucas Holstenius, Leone Allacci oder Francesco Bianchini, aber auch die lokalen Inquisitoren denselben Gelehrtenkreisen entstammten wie die zensierten Autoren. Man kannte sich aus den Universitäten, den Akademien und von den Kardinals- und Fürstenhöfen. Diese gemeinsame Basis machte, wie der Autor an einzelnen Beispielen aufzeigt, aus den censori zugleich mediatori, die sich bemühten, den ins Visier genommenen Literaten die Vorbehalte der päpstlichen Institutionen nahezubringen und sie zu den gewünschten Änderungen in ihren noch unpublizierten Manuskripten und den Neuauflagen der inkriminierten Bücher zu bewegen.

Die Mediation der Zensoren ist für Cavarzere indes nur ‘ein’ Indiz der «alleanza tra ambienti culturali e Chiesa» (S. 242), wie es das Italien des 17. Jahrhundert charakterisiert haben soll, bevor die Zensur im frühen 18. Jahrhundert wieder stärker in die Hand der staatlichen Organe geriet. Von der Resonanz, die die Arbeit der kirchlichen Behörden bei den Intellektuellen fand, zeugen ebenso die zahlreichen Anzeigen einzelner Bücher durch Dritte. Natürlich standen hier die Eigeninteressen der Denunzianten im Vordergrund, sei es, dass diese für die Ehre ihrer Familie oder ihrer Stadt, sei es, dass sie für die Rechte ihres Ordens eintraten. Für den grundlegenden Dialog zwischen Zensur und literarischer Öffentlichkeit spricht dann aber auch die Möglichkeit zur Selbstkorrektur, die die Behörden den kritisierten Verfassern einräumten. Einzelne Fälle jahrelanger Verhandlungen zwischen ihnen und den Kongregationen korrigieren das Klischee der unnahbaren, anonymen päpstlichen Indizierung. Natürlich stellte auch die «autocensura preventiva» eine der Wirkungen des Kontrollsystems dar: Die Autoren schrieben von vornherein, was man von ihnen erwartete. Zu erwägen bliebe indes, inwiefern darüber hinaus das Ausweichen auf weniger gefährliche Gebiete – die Altertumswissenschaft etwa gehörte zu den von der Zensur weitgehend unberührten Terrains – in Betracht gezogen wurde, um dem Druck zu entgehen. Dass daneben die Möglichkeit existierte, mit Unterstützung der Mächtigen, seien sie geistlichen oder weltlichen Standes, die Beschlüsse der kirchlichen Organe zu unterlaufen und verbotene Bücher zu lesen, dass es einzelnen Vertretern des Libertinismus (an diesem Begriff hält der Autor nach wie vor fest) gelang, unliebsame Meinungen zwischen den Zeilen zum Ausdruck zu bringen, verwundert angesichts der Klientelstrukturen des 17. Jahrhundert nur wenig.

Das hier gezeichnete Bild vermag in seinen großen Linien zu überzeugen. Allerdings wird man sich fragen, ob das postulierte Konzept der censori-mediatori (S. 136), mit dem Cavarzere, ohne es zu sagen, an eine Diskussion anknüpft, die während der neunziger Jahre bereits von S. Seidel Menchei und P. Simoncelli im Hinblick auf die venezianischen Inquisitoren geführt worden war, nicht doch zur Idealisierung der Verhältnisse tendiert. Tatsächlich waren es keineswegs nur die gebildeten Zensoren, die das Gespräch mit Ihresgleichen zu suchen hatten. Wer die 1701-1705 datierenden Akten zur geplanten Indizierung von Jean Mabillons Eusebii epistola (1698), einer Kritik am römischen Reliquienkult, die Cavarzere ebenfalls aufarbeitet (S. 163-168), kennt, der weiß, dass die entscheidende Mittlerrolle weniger Francesco Bianchini als dem Kardinal der Indexkongregation Leandro Colloredo zufiel, weil er nicht nur Mabillon, sondern auch dem Mauriner-Prokurator Guillaume Laparre nahestand. Als 1617-1621 das Antikencorpus des Schotten Thomas Dempster auf dem Prüfstein stand, fiel diese Rolle Maffeo Barberini zu, der als Kardinalprotektor Schottlands Dempster bereits kannte. (Vgl. L. Gulia, Hrsg., Società, cultura e vita religiosa in età moderna. Studi in onore di Romeo De Maio, Sora 2009, S. 335-337.) Es ging somit weniger um gelehrte Kollegialität als um die bereits vorhandenen persönlichen Kontakte, von denen man sich die besagte Mediation versprach. Dass die Intellektuellen die Arbeit für die Zensurbehörden mithin gehasst haben und wie sehr sie die aufwendigen Lektüren als verlorene Zeit empfanden, die sich zum Schaden ihrer eigenen Forschungen auswirkte, machen Hostenius’ Briefe unmissverständlich. Zwar mag es einzelne Zensoren gegeben haben, die sich als Anwälte der Gelehrten beweisen wollten, doch standen daneben auch einseitig und gnadenlos auf dem Standpunkt der kirchlichen Orthodoxie beharrende Hardliner. Nur so erklärt sich der Umstand, dass es innerhalb der Indexkongregation anlässlich derselben Bücher immer wieder zu unterschiedlichen Gutachten kam. Angesichts von Bianchinis wohlwollender Stellungnahme zu Mabillons Epistola sollte das dieselbe Schrift als häretisch einstufende Urteil des Relators Antonio Giacomo Zini nicht in Vergessenheit geraten. Auch Cavarzeres Wertung, dass die Neuauflage von Mabillons Band (1705) den Text seiner Erstausgabe kaum verändert habe, fällt allzu euphemistisch aus. Gab es den hier beschworenen «controllo effettivo anche grazie al continuo travaso di persone tra il ruolo di censore e quello di accademico e letterato» (S. 243) also wirklich? In Einzelfällen vermutlich; davon aber eine verbindliche Regel abzuleiten, scheint vorerst allzu gewagt. Hier sind weitere Fallstudien zu leisten.

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