Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

38, 2012/2

Antonio Grilli

Il difficile amalgama

Review by: Émilie Delivré

Authors: Antonio Grilli
Title: Il difficile amalgama. Giustizia e codici nell’Europa di Napoleone
Place: Frankfurt a.M.
Publisher: Vittorio Klostermann
Year: 2012
ISBN: 978-3-465-04135-1

Reviewer Émilie Delivré

Citation
É. Delivré, review of Antonio Grilli, Il difficile amalgama. Giustizia e codici nell’Europa di Napoleone, Frankfurt a.M., Vittorio Klostermann, 2012, in: ARO, 38, 2012, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2012/2/il-difficile-amalgama-giustizia-e-codic-emilie-delivre/

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Der Rechtshistoriker Antonio Grilli bietet mit Il difficile amalgama eine wichtige zusammenfassende Darstellung des Versuchs, das französische Rechtmodell an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert in die erworbenen Territorien zu transferieren. Dieser Transfer (oder mit den Worten Grillis: dieser Zusammenstoß) zwischen verschiedenen Rechtskulturen ereignete sich zwischen dem Frieden von Campoformio (1797) und der Absetzung Napoleons im Jahr 1814. Er wird von Grilli systematisch unter dem Gesichtspunkt einer pragmatischen Frage untersucht: Inwiefern folgten der beabsichtigten Einführung neuer Codes, neuer Dekrete und Gesetze tatsächlich die praktische Implementierung und Akzeptanz in den neuen Territorien? Hier liegt ohne Zweifel der größte Verdienst von Grillis umfangreichem Buch: Er hält die Rezeption der napoleonischen Pläne vor Ort immer im Blick. Sein Pendeln zwischen den Texten, Dekreten und Briefen französischer Juristen und Politiker einerseits und des Widerstands oder der Anpassungsfähigkeit autochthoner Magistrate (z.B. in der Form von unerwarteten Urteilen in den Berufungsgerichten) andererseits rekonstruiert ein vollständiges Bild des (Miss-)Erfolgs des «Napoleone legislatore» in den eroberten Territorien.

Antonio Grilli war mit der «rheinischen Frage» bereits bestens vertraut gewesen. 1999 hatte er eine Monografie über Die französische Justizorganisation am linken Rheinufer 1797-1803 veröffentlicht. Noch früher hatte er Interesse für eine kulturelle Rechtsgeschichte gezeigt, als er sich mit der Gerichtssprache im Saardepartement beschäftigte. Für den Autor ist die Rechtsgeschichte offen- sichtlich nicht nur die Kommentierung früherer Kodexe, Gesetzbücher oder Verfassungen, sondern auch die Analyse ihrer Anwendung, ihrer Rezeption, der Widerstände, die sie erfahren haben, und der Anpassung, die sie durchlebten. Die Beschreibung des Kontextes, das heißt der bestehenden Rechtskultur, der Sprache, der Erfahrung der Magistraten sowie der Existenz einer juristischen Kaste ist der Anfangspunkt seiner Reflexion. Grilli erklärt dann, warum dies, wie der Titels sagt, ein «schwieriges Amalgam» war. Tatsächlich war es so: Napoleons Hoffnung auf eine totale Globalisierung (ererbt aus der Aufklärung und der Revolution) und seine imperialistischen Ansprüche auf eine Assimilierung des neuen französischen Rechts- und Verwaltungssystems sowie der Sprache, des Glaubens und der Rituale verstießen natürlich gegen Lokalismen und Traditionen. Diese Integration wurde nie ganz erreicht, auch wenn von außen gesehen alles provisorisch zu funktionieren schien. Nach der Abdankung Napoleons brachte die Restauration zwar das Zurücktreten der Partikularismen, aber der Code Civil hinterließ doch tiefe Spuren.

Grilli rekonstruiert diesen gescheiterten Prozess des Exports und der Amalgamierung eines Rechtssystems und verfolgt dafür einen Weg, der chronologisch durch Belgien, die rheinischen Länder, Piemont, Florenz, Rom und Katalonien führt. Die so gezeichnete Karte bietet ein exemplarisches Panorama der französischen Erwerbungen. Im ersten Teil der Monographie zeichnet er die Ansiedlung des französischen Justizmodells in den Territorien nach, die annektiert wurden. Natürlich verwandelte sich das politische Klima in Frankreich vom Direktorium über das Konsulat zum Kaiserreich: Drei Verfassungen folgten hintereinander, und wenn der Akzent der Franzosen zuerst (zumindest scheinbar) mehr auf humanistisch-revolutionären Ideellen bestand, gingen diese dann immer mehr verloren zugunsten schlicht disziplinierender Forderungen.

Belgien war sozusagen der Trainingsplatz für eine juristische Verschmelzung des französischen Modells, doch bald stießen die zivilen Autoritäten auf religiöse und sprachliche Widerstände sowie starke lokale Identitäten. In den Rheinlanden gewann dem Autor zufolge der Zusammenstoß der zwei Rechtskulturen den Status eines Paradigmas: Grilli analysiert die Zwischenfälle bei der Einführung neuer Gesetze und der Neuorganisierung der Justiz, die Kandidaturen der Magistraten, die Modalitäten ihrer Auswahl, die Persönlichkeit wichtiger Kommissare. Er zeigt, wie in einem schwierigen, von der militärischen Einberufung charakterisierten Alltag die Kritiken von beiden Seiten sich vermehrten, wie der Rechtstransfer (vor allem bei der niederen Justiz) immer mehr Misstrauen erweckte. Beim besten Willen konnten in einer so kurzen Zeit, das heißt in weniger als einer Generation, manche Normen und generell die immense Vielfältigkeit der deutschen Rechtskultur, die dem Gewohnheitsrecht sehr verbunden war, nie erlöschen. Auch in den italienischen Territorien wurde der Gegensatz zwischen der verkündeten Rationalisierung des Justizapparats und sozialen Verbesserungen einerseits und Plünderungen, Zensur, autoritärem Staat andererseits immer klarer. Auch wenn in Piemont Gehorsamkeit und Treue vorherrschten, wurde der Zusammenhalt der existierenden Rechtskaste mit seinen Traditionen und Sitten kaum angetastet. In der Toskana, wo die élites sich von den Ehrungen Bonapartes beeindrucken ließen, blieben einige Probleme ungelöst: die niedrigen Gehälter der Justizbeamten, die viele Arbeit und die Abneigung gegen den Code Pénal, der als zu streng beurteilt wurde. Auch in Rom war die französische Präsenz zu kurz, um eine dauerhafte Assimilation zu schaffen. In Katalonien schließlich – wo man versuchte, keinen großen Riss in der juristischen Tradition zu provozieren – widersprach abermals die brutale militärische Besatzung jeder Pazifizierung.

In einem zweiten und kürzeren Teil konzentriert sich Grilli auf die Berufungsgerichte von Brüssel, Trier, Florenz, Rom und Barcelona. Durch die Analyse verschiedener Rechtssentenzen wendet er sich im Licht der zuvor vorgestellten Theorie der Rechtspraxis zu. So ist es ihm möglich, die Kluft zwischen einem «kosmetischen» Recht und dem Recht in der Wirklichkeit, der höheren Justiz und der niederen einzuschätzen. Eher Kontinuität als Bruch in der Rechtspraxis ist hier zu finden. Die Magistrate konnten die Rechtstraditionen vieler Jahrhunderte, nach denen sie ausgebildet worden waren, in wenigen Jahren nicht einfach vernachlässigen.

Was kann man zu dieser sehr gehaltvollen und gelehrten Arbeit hinzufügen? Einige Bemerkungen vielleicht. Vom Inhalt her sündigt die Monographie durch ihren Anspruch auf Vollständigkeit: Vielleicht hätten viele Wiederholungen vermieden werden können, wenn der Autor die verschiedenen Staaten synthetischer behandelt hätte, zum Beispiel durch einen systematischen Vergleich (wäre das Ergebnis dann aber so klar gewesen, wie es jetzt ist?). Um seinen Ansprüchen gerecht zu werden, Geschichte und Rechtsgeschichte zu «amalgamieren», hätte Grilli seine Arbeit auch im Rahmen der lebendigen geschichtswissenschaftlichen Literatur über Napoleons impact auf andere Sektoren verorten können (vgl. z.B. den exzellenten Überblick in K. Hagemann und K. Aaslestad (Hrsg.), Collaboration, Resistance and Reform: Experiences and Historiographies of the Napoleonic Wars in Central Europe, Sondernummer von «Central European History», 39, 2006). Interessant wäre gewesen, wenn der Autor darauf hingewiesen hätte, wie Napoleon einen totalen Transfer seines Rechtsmodell nur mit der zusätzlichen Einführung seines Katechismus von 1806 als möglich ansah. Der Code Civil und der Catéchisme à l’usage de toutes les Eglises de l’Empire français waren für ihn die zwei Seiten einer Medaille, die ihm Gehorsamkeit, aber auch Ehre und Liebe in seinem Reich gewinnen sollten. Im Katechismus wurde als religiöse Pflicht gepredigt, dass die Laien für den Kaiser beten, ihm huldigen, sich in die Armee einberufen lassen und die Steuern zahlen sollten. Wer dies nicht tun wollte, war für die ewige und wortwörtliche Verdammnis bestimmt. Um das Ausmaß des Katechismus zu verstehen, sei bemerkt, dass er in fast alle europäische Sprachen übersetzt worden ist und über nicht weniger Mittel als ein Gesetzbuch verfügte, um in den annektierten Territorien 1807/08 verbreitet zu werden.

Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass eine Karte und vor allem ein Register für eine solche reichhaltige Monographie sehr wertvoll gewesen wären. Eine Korrektur hätte auch mehrere Fehler auf Französisch und Italienisch (2 Fehler auf der ersten Seite) sowie das Verwechseln vom Code Pénal (1791) mit dem Code des délits et des peines (1795) (S. 158) vermeiden können.

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