Reviewer Carlo Taviani
CitationEast India Company ist eine Rechtsgeschichte (wie der Untertitel lautet) einer der bedeutendsten, weltweit einflussreichen Handels- und Finanzkompanien Englands. Die Untersuchung berücksichtigt das erste Jahrhundert in der Geschichte der Kompanie, von 1600 bis 1708. Im letztgenannten Jahr ging die alte East India Company (EIC) in einer neuen Institution auf, die am Ende des 17. Jahrhunderts gegründet worden war, um dem Handelsmonopol der EIC Einhalt zu gebieten. Wie in der Einleitung vermerkt (S. 17), untersucht die Studie zwei Punkte: die Frage der beschränkten Verantwortung (4. Kapitel) und die angeblich «demokratische Struktur» der EIC (5. Kapitel). Die restlichen Kapitel behandeln die allgemeine Geschichte der Kompanie und verorten sie in einem rechtsgeschichtlichen Kontext.
Das erste Kapitel ist gleichermaßen ein historiographischer Überblick und eine Zusammenfassung der hinlänglich bekannten Geschichte der EIC. Die Autorin legt dar, wie die angelsächsische und indische Geschichtsschreibung in der Vergangenheit verschiedene Ansätze hatten: Die erstgenannte interessierte sich für die EIC, die zweitgenannte ignorierte sie. Es wird ferner hervorgehoben, wie die EIC aufgrund des «Prozesses der Globalisierung und der wichtigen Rolle … der Aktiengesellschaften» (S. 31) kürzlich wieder in das Blickfeld der Historiker und Juristen gekommen ist. Hinzufügen ließe sich vielleicht, dass, weil die EIC eine der ersten handelnden Gesellschaften war, auch die Finanzkrise des Jahres 2008 das Interesse an diesem Thema gemehrt hat.
Die Literatur zur EIC ist sehr breit, und wenige Studien behandeln die juristischen Aspekte, die Gialdroni in den Blick nimmt. Dennoch ist es ein einschneidender Mangel, dass einige jüngere englischsprachige Studien nicht einbezogen worden sind. Hier seien wenigstens die Arbeiten von Philip Stern und Sudipta Sen genannt. Der erste hat intensiv die Kategorie der «corporation» angewandt und die territoriale Souveränität der EIC analysiert, zwei Aspekte, die beide von Gialdroni bearbeitet werden. Der zweite hat die EIC unter politischer, ökonomischer und kultureller Perspektive in den Blick genommen und dabei indische Quellen berücksichtigt (siehe Empire of Free Trade: The East India Company and the Making of the Colonial Marketplace, University of Pennsylvania Press, 1998, sowie Distant Sovereignty: National Imperialism and the Origins of British India, Routledge, 2002). Möglicherweise konnte die Autorin das wichtige Werk von Philip Stern, The Company State (Oxford University Press, 2011) nicht berücksichtigen, weil es erst sieben Monate vor der Publikation ihres Buches auf den Buchmarkt gelangt ist, doch von demselben Autor waren schon zuvor einige Aufsätze zugänglich.
Das zweite Kapitel bettet die Entwicklung der EIC in die größere Geschichte der Kontrolle des Meeres und der juristischen Auseinandersetzungen über das mare clausum und das mare liberum von Hugo Grotius ein.
Das dritte Kapitel analysiert den Begriff der «corporation» vermittels eines Exkurses über die ökonomischen Modelle vom Mittelalter bis zur EIC. Das vierte Kapitel vertieft dasselbe Thema und bettet es in die westliche Rechtsgeschichte, insbesondere in die deutsche ein. Der erste Teil des Kapitels ist von großem Interesse, denn Gialdroni rekonstruiert sehr systematisch und vertieft die lange deutsche Forschungstradition zu den Aktiengesellschaften. Die Autorin analysiert die Interessen der Historischen Rechtsschule vom Ende des 18. Jahrhunderts an den Themen der juristischen Persönlichkeit und an der Gesellschaft mit beschränkter Haftung und zeichnet die Einflüsse im angelsächsischen Raum nach. Dabei erinnert sie daran, wie die Modelle der Handelsgesellschaften des mittelalterlichen Italiens – und vor allem das genuesische mit den maone und der Casa di San Giorgio – im Zentrum einer langen Debatte zu den Anfängen der Kapitalgesellschaften standen. Der Beitrag der Autorin ist relevant, denn auch in jüngeren englischsprachigen Studien über die EIC und andere Kompanien wird die Tradition der deutschen Studien zum Thema als selbstverständlich angesehen oder man kennt sie nicht.
Im Verlauf des Kapitels wird das für die Rechtsgeschichte wichtige Problem der beschränkten Verantwortung (limited liability) behandelt. Dabei wird die gesetzte Zeitgrenze bis zum Ende des 18. Jahrhunderts überschritten, denn in der Tat entsteht diese Institution erst 1855. Mit Recht bemerkt Gialdroni, dass im 17. Jahrhundert «jener Aspekt [die beschränkte Verantwortung], einfach nicht diszipliniert wurde» (S. 237) und fragt anders, in welchem Ausmaß «die Mitglieder einer Kompanie von dritten behelligt werden konnten» (S. 237). Gialdroni zitiert die Behauptung von Ron Harris, es habe eine Verwirrung hinsichtlich der Fragen der Historiker zum Thema der beschränkten Verantwortung gegeben (Industrializing English Law, Cambridge University Press, 2000, S. 129). Meiner Ansicht nach streift die Autorin Harris’ Hauptpunkt nur, ohne daraus alle Konsequenzen zu ziehen, insbesondere, wenn sie schreibt: «Harris … insistiert auf der Verwirrung der Fragen, die unserer Erachtung nach unvermeidbar ist» (S. 237, Anm. 192). Es sei hingegen interessant, diese Verwirrung zu studieren und zu vermeiden. Jedoch hat Harris nicht einfach behauptet, es habe eine «Verwirrung der Fragen» hinsichtlich der limited liability gegeben, sondern auch: «it should not be assumed that the seventeenth or eighteenth centuries functioned under the modern perception of limitation of liability as a binary legal feature that a corporation or an era has or lacks» (Harris, S. 129). Nach Harris ist es anachronistisch, von limited liability zu sprechen, denn es mache wenig Sinn sich zu fragen, ob ein Zeitalter oder eine corporation «eine [juristische] Charakteristik nicht aufweisen», die erst zwei Jahrhunderte später erfunden wurde. Dies mag spitzfindig erscheinen, aber die Frage, auf welche Weise die Mitglieder einer Kompanie durch Dritte gerichtlich belangt werden konnten, unterscheidet sich sehr davon, ungefiltert und a posteriori die Kategorie der limited liability auf das 17. Jahrhundert anzuwenden, die als solche erst seit 1855 besteht. Im zweiten Fall jagt man den Geist eines Anachronismus. Warum hat die Autorin diesem Thema 28 Seiten gewidmet, ohne jemals die Perspektive zu diskutieren, in der es oft von Juristen studiert wurde, um schließlich in einer Zeile zu konstatieren, dass es keine Bedeutung habe (S. 237)? Man gewinnt den Eindruck, dass Gialdronis Schlüsse, wenn sie differenzierter gewesen wären, es ihr ermöglicht hätten, das Thema anders zu behandeln und dabei die Übertragbarkeit auf die Vergangenheit zu diskutieren.
Auch das letzte Kapitel folgt eben jener Logik: Die Autorin spricht von einer angeblichen Debatte um eine «Demokratizität» der EIC und gibt der Frage viel Raum. Wenige Forscher hätten darüber geschrieben, vor allem Francesco Galgano. Dieser konstatierte, zu Zeiten Lockes sei das englische Parlament ein «Spiegel der Feudalinteressen» gewesen, und dass die politischen Ideen Lockes weniger vom englischen System, als vielmehr von dem der Versammlungen der EIC beeinflusst worden wären, bei denen man nach Mehrheitsprinzip abstimmte (F. Galgano, La forza del numero e la legge della ragione, Il Mulino, 2007, S. 100). Bei näherem Hinsehen benutzt Galgano jedoch das Wort «Demokratie» nur zusammen mit dem Adjektiv «spezifisch» (S. 105), denn was ihn interessiert, ist in Wahrheit das Mehrheitsprinzip. Galganos Vorschlag folgt im Übrigen unwissentlich einer jüngeren Tendenz, die Einflüsse ökonomischer und politischer Modelle der großen Handelskompanien auf die gleichzeitigen politischen Ideen zu sehen (dazu allgemein die guten Arbeiten von Andrew Fitzmaurice und jene zu Hobbes und der Virginia Company des Noel Malcolm, oder von Srinivas Aravamudan).
Warum widmet Gialdroni einem Thema wie der «Demokratizität» der EIC viele Seiten, wenn es doch, wie es scheint, nicht aus einer Forschungsdebatte erwächst? In diesem Fall kommt die Autorin im 4. Kapitel schon dazu, ein historiographisches Problem vertieft zu analysieren, aber die Frage ist sehr viel weniger bedeutsam als jene der limited liability, denn es handelt sich hier de facto lediglich um die Aussage eines einzelnen Forschers, der sie übrigens eher zufällig fallengelassen hat, während er über John Locke schrieb.
Obwohl einige Seiten der Studie von dem juristischen Ansatz eher behindert als befruchtet werden, bietet Gialdronis Buch dem an die vielen ökonomischen Studien gewöhnten Leser eine neue und interessante Perspektive auf die EIC, die hoffentlich auch von der angelsächsischen Geschichtswissenschaft wahrgenommen werden wird.