Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

36-37, 2010-2011/2

Guido Rebecchini

«Un altro Lorenzo»

Review by: Carlo Taviani

Authors: Guido Rebecchini
Title: «Un altro Lorenzo». Ippolito de’ Medici fra Firenze e Roma (1511-1535)
Place: Venezia
Publisher: Marsilio Editori
Year: 2010
ISBN: 978-88-317-0646-9

Reviewer Carlo Taviani

Citation
C. Taviani, review of Guido Rebecchini, «Un altro Lorenzo». Ippolito de’ Medici fra Firenze e Roma (1511-1535), Venezia, Marsilio Editori, 2010, in: ARO, 36-37, 2010-2011, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2010-2011/2/un-altro-lorenzo-ippolito-de-medici-carlo-taviani/

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Exotischer Hut, ungarische Kleidung, in einer Hand ein Schwert, in der anderen einen Streitkolben, stolzer Blick: Dies sind die Merkmale des 1532 von Tizian gemalten Bildes eines jungen Mannes. Was wie das Porträt eines mächtigen Ritters oder eines Fürsten anmutet, ist in Wahrheit das Bild eines Kardinals aus dem Geschlecht der Medici, Ippolito.

Das Buch von Guido Rebecchini erzählt das kurze Leben des Neffen von Lorenzo dem Prächtigen, der während der glanzvollen Jahre der Medici-Päpste Leo X. und Clemens VII. lebte, während in Florenz das Herzogtum in den händen seines Feindes und Cousins Alessandro war.

Die Nebenrolle Ippolitos, der zwar einem großen Geschlecht angehörte, es aber nicht zu einer entscheidenden politischen Rolle brachte, der isoliert wurde und in Ungnade gefallen ermordet starb, macht es dem Autor möglich, eine raffinierte Biographie zu schreiben, in der sich Politik-, Kultur- und Kunstgeschichte miteinander vermischen. Anscheinend haben Ippolitos politische und militärische Misserfolge seinen Hang zum Geldausgeben, seine maßlose Leidenschaft für Kunst und seinen Wunsch, einen großen Hofstaat um sich zu haben, verschärft.

Dieses Buch ist eine vollständige Biographie, die sämtliche Lebensbereiche Ippolitos untersucht. Wir haben es hier nicht mit dem typischen Text eines Kunsthistorikers zu tun, obwohl die kulturelle Bildung des Autors eine künstlerische ist. Wie in einigen anderen Fällen, die glücklicherweise im historiographischen Panorama immer öfter vorkommen, handelt es sich um ein Geschichtswerk. Es lohnt sich darauf hinzuweisen, da sich der Autor in mehreren kulturellen Bereichen auf Spekulationen einlässt; an Diskussionen und Kritiken unter den Experten gewisser Einzelaspekte, die freilich angesichts der Bedeutung des Buches nebensächlich sind, wird es nicht fehlen.

Das Buch besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil wird chronologisch die Biographie des Protagonisten erzählt: Seine Jugend in Rom, seine Beziehung zu den Päpsten, die Türkenmission in den 30er Jahren, der Fall aus der Gunst von Karl V. und Paul III., und sein tragisches Ende. Der zweite Teil ist eine thematische Abhandlung. Anhand von Chroniken und Portraits wird Ippolitos Fähigkeit zur Selbstdarstellung an seiner Kleidung abgelesen, die Bildung seines großen Hofes, seine Förderung von Malerei, Kunst und Literatur und schließlich die postume Transformation seines Andenkens werden analysiert. Durch eine solche chronologische und thematische Gliederung, die an Kate Lowes Biographie von Kardinal Francesco Soderini erinnert, gelingt es Rebecchini, dem Leser ein Bild nicht nur des künstlerischen Milieus zu vermitteln, in dessen Mittelpunkt Ippolito stand, sondern er lässt auch die Atmosphäre und die Stimmungslagen des weitläufigeren kulturellen Umfelds von Rom lebendig werden, das ebenso strahlend wie gefährdet war, als die Stadt 1527-1528 von der Tragödie des Sacco heimgesucht wurde.

Die Erzählung vom Leben des Kardinals, welche die ersten Kapitel (I-V) umfasst, beginnt mit seiner Jugend. Einige kulturelle Aspekte, die auf den ersten Blick belanglos – wie das Halten von Heimtieren – oder nicht zur Biographie gehörig – wie die Kunstwerke im Familienpalast – erschienen mögen, liefern interessante Einblicke in die Bildung, die ein Vertreter des Geschlechts der Medici erhalten konnte. Die Behandlung der folgenden Jahre, die von seiner Ernennung zum Kardinal (1529) gekennzeichnet waren, stellt heraus, dass nichts am unglücklichen Schicksal Ippolitos vorherbestimmt war. Dass der junge Medici Kardinal war, bedeutete nicht notwendigerweise, dass der Papst ihn nicht als Herzog von Florenz haben wollte. Nichts war in Anbetracht der Nachkommenschaft der Familie sicher, bevor Alessandro zum Herzog ernannt wurde. Die sorgfältige Analyse der Geschichte dieses unglückseligen Mitglieds der Familie der Medici zeigt deutlich, wie sehr das Gedächtnis der Nachwelt ein für die Propaganda der Medici funktionelles Bild schaffen wollte. Die letzten fünf Jahre von Ippolitos Leben (1530-1535) sind ganz und gar von seinem Versuch erfüllt, Florenz um jeden Preis gegen den Willen seines Cousins, des Papstes und Karls V. einzunehmen. Diese Beharrlichkeit und die zahlreichen Aufstände gegen die Autorität Clemens’ VII. führten zu einem breiten Konsens über die Ermordung Ippolitos und seine Vergessenheit. Vielen mächtigen Persönlichkeiten war Ippolito unbequem geworden. Auch Paul III. Farnese, der sich vor seiner Wahl mit Ippolito geeinigt hatte, um dessen Unterstützung im Konklave zu erhalten, ergriff dann die Gelegenheit, Vorteil aus dessen Tod zu ziehen und sich dessen Vermögen anzueignen.

Tizians Porträt aus dem Jahr 1532 ist eine Art «Manifest» des jungen Kardinals (S. 160), weil es die rebellischen Charakterzüge seiner Persönlichkeit zusammenfasst: seine Ruhelosigkeit und die Ablehnung seines Status als Geistlicher, auf den er gerne verzichtet hätte, um Herzog von Florenz zu werden.

Der zweite Teil (Kapitel VI-IX und der Epilog) bietet viele interessante Anknüpfungspunkte, die hier nicht alle aufgelistet werden können. Rebecchini präsentiert beispielsweise eine neue Hypothese zu Tizians berühmten Bild, der sogenannten Venus von Urbino, nach welcher dieses in Wirklichkeit für Ippolito gemalt worden sein könnte. Er befasst sich mit der Produktion von Berni nach dem Sacco in Rom, welche ein Unbehagen und eine fortgeschrittene Entzauberung im Vergleich zu den Themen der vorausgegangenen Jahren belegt. Bei der Beschreibung von Ippolitos großem Hofstaat (Kapitel VI), spricht der Autor von einem offenen Organismus, der nicht nur für das Zirkulieren von Kultur in ihren verschiedensten Ausprägungen offen war, sondern auch von Gewalt, die bei einer naiven Betrachtung der Höfe häufig aus dem Blickfeld verloren wird. Der Autor erinnert uns daran, dass Gewalt präsent war, weil bei Hof die verschiedensten Personen verkehrten, weil er nach außen hin offen und also eine halb-öffentliche Einrichtung war (S. 180).

Neben den Informationen und den neuen detaillierten Interpretationen zu einigen Urhebern literarischer Texte oder Kunstwerke, überzeugt vor allem Rebecchinis Fähigkeit, einigen kulturellen Ereignissen der Renaissance einen umfassenden Sinn zurückzugeben. Im Kapitel über das literarische Mäzenatentums zeigt der Autor, wie im Rom der 30er Jahre einige literarische Spielereien wieder aufblühten, und wie sehr sich diese sich von denen aus den Jahren vor dem Sacco unterschieden. Ippolitos kulturelle Entourage, zu der Künstler und Literaten vom Format Vasaris, Bernis und Giovios zählten, hatte die Funktion eines Rettungsrings. Sie unterstützte und ermöglichte in den frühen dreißiger Jahren den Umzug einiger Akademien – und allgemeiner der literarischen Geselligkeit – von Florenz nach Rom, und flößte der Stadt neue kulturelle Inspiration ein. Offen bleibt die Frage, ob Giovanni Gaddi die Hauptantriebskraft hinter dieser Entwicklung war (S. 210).

Das Buch enthält im Anhang einige wichtige unveröffentlichte Dokumenten: einen Brief von Paolo Giovio über die Türken, die Abmachungen zwischen Ippolito und Alessandro Farnese hinsichtlich der Wahl des letzteren zum Papst und die Akten des Prozesses, der auf Ippolitos Tod folgte. Der Text ist trotz des großen Fußnotenapparats leicht und flüssig zu lesen. Und nur ganz selten gibt der Autor wie in einigen neuen Biographien (zum Beispiel Leo Africanus von Natalie Zemon Davis) der Versuchung nach, sich trotz fehlender Dokumentation Gedanken oder Handlungen seiner Hauptfigur vorzustellen (S. 106 und 120).

Insgesamt verdient es dieser raffinierte, scharfsinnige und angenehm zu lesende Band von Guido Rebecchini, nicht nur von Kunst- oder Literaturhistorikern gelesen zu werden, sondern von jedem, der auf der Suche nach einem schönen Geschichtsbuch ist.

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