Annali dell'Istituto storico italo-germanico | Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts

36-37, 2010-2011/2

Mario Isnenghi

Storia d’Italia

Review by: Marco Mondini

Authors: Mario Isnenghi
Title: Storia d’Italia. I fatti e le percezioni dal Risorgimento alla società dello spettacolo
Place: Roma - Bari
Publisher: Laterza
Year: 2001
ISBN: 978-88-420-8757-1

Reviewer Marco Mondini - Università di Padova- Isig

Citation
M. Mondini, review of Mario Isnenghi, Storia d’Italia. I fatti e le percezioni dal Risorgimento alla società dello spettacolo, Roma - Bari, Laterza, 2001, in: ARO, 36-37, 2010-2011, 2, URL https://aro-isig.fbk.eu/issues/2010-2011/2/storia-ditalia-i-fatti-e-le-percezioni-marco-mondini/

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Mario Isnenghi war einer der wichtigsten Vertreter der italienischen Zeitgeschichtsschreibung der letzten vierzig Jahre. Einige seiner Bücher (I vinti di Caporetto nella letteratura di guerra aus dem Jahr 1967 und vor allem Il mito della Grande Guerra, zuerst 1970 veröffentlich und später überarbeitet und erweitert) waren Eckpfeiler der Kurswende in der Erforschung des ersten Weltkriegs in Italien. Andere, wie eben Il mito della Grande Guerra oder auch Le guerre degli italiani aus dem Jahr 1989, markierten die Ausrichtung auf neue Perspektiven im Bereich der italienischen Kriegsgeschichtsforschung, ein Gebiet, das gerade dank Isnenghis Arbeiten allmählich erste Schritte auf eine Öffnung in Richtung Kulturgeschichte hin machte; dieser Prozess stieß auf Widerstände und ist noch nicht abgeschlossen. Mit L’Italia in piazza (1994) eröffnete der Autor eine Perspektive auf den Einsatz des öffentlichen Raumes für die Inszenierung nationaler Rituale und das politische Ringen im 19. und 20. Jahrhundert, die hinsichtlich Weitblick und Originalität noch heute ihres Gleichen sucht. Und schließlich war es Isnenghi, der sich bei einem relativ breiten Publikum zum Mittelsman der Kategorie «Erinnerungsorte» machte, als er bei Laterza Ende der 90er Jahre die beiden Bücher I luoghi della memoria. Personaggi e date dell’Italia unita und Strutture ed eventi dell’Italia unita (1997) veröffentlichte, die sich am gleichnamigen Werk Pierre Noras inspirierten. Schon allein diese Beiträge (ganz zu schweigen von einer umfangreichen Produktion oft höchst origineller Aufsätze) machen Isnenghi zu einem Ausgangspunkt zum Verständnis der Veränderungen in der Geschichtsforschung und der Sensibilität der Leser (denen Isnenghis lebhafte und gefällige Schriften immer verpflichtet waren) gegenüber der Geschichte des Risorgimento und des 20. Jahrhunderts. Die Storia d’Italia. I fatti e le percezioni dal Risorgimento alla società dello spettacolo, sein letztes Werk, kann also als wichtige konzeptuelle Karte der gesamten italienischen Zeitgeschichtsschreibung betrachtet werden – jenseits von Isnenghis eigener historiographischen Produktion. Das Buch möchte sich, wie in der Einleitung erklärt wurde, als «Reise durch Italien», aber auch als Bilanz verstanden wissen: eine Bilanz der Nationalgeschichte anlässlich der Feierlichkeiten zum 150. Jubiläum, aber auch als summa aus vierzig Jahren Historikerhandwerk, «Intarsie der vorangegangenen Arbeiten», was ein aufmerksamer Leser wie Gian Piero Brunetta hervorgehoben hat (S. 5). Ein Beiträg zur ego-histoire also, um eine weitere Formel Noras zu bemühen? Zumindest zum Teil. Die Gliederung des Buches bietet in der Tat wenig zu einer ausdrücklich autobiographischen Dimension. Die zwölf, hinsichtlich Umfang und Quellen bisweilen sehr unterschiedlichen Kapitel, skandieren die Konstruktion des Staates und der nationalen Identität (I-IV), durchschreiten die Aporien des unvollendeten Liberalismus und der politischen Partizipation in den Jahren von Crispi und Giolitti (V-VI), den Ersten Weltkrieg, die Krise des Liberalstaates und das Aufkommen des Faschismus (VII-IX), das faschistische Regime und den zweiten Weltkrieg (X-XI), und schließlich – in einem langen zwölften Kapitel von weiteren hundert Seiten – das Italien der Nachkriegszeit und der Republik, von der verfassungsgebenden Versammlung (fast) bis zu Berlusconi. Nur in der Einleitung und – weniger explizit – auf den letzten Seiten, die sich um das schwierige Leben der italienischen Linken und die institutionelle Krise der 90er Jahre drehen, kommt das «Ich» des Historikers zum Vorschein und tritt mit dem Leser in einen direkten Dialog. Im Übrigen spiegelt der Blick des Autors die Vielfalt seiner Interessen und seiner Annäherungsweise an Gegenstände und Lektüren, die weit mehr als anderthalb Jahrhunderte Geschichte behandeln und Überlegungen und Forschungen reflektieren, die hinsichtlich ihrer analytischen Methoden und Originalität nicht immer homogen sind. In der Tat hat man nach der Lektüre der Storia d’Italia das Gefühl, dass es sich um einen stark heterogenen Text handelt, in dem anregende und innovative Beiträge auf Kapitel von eher eingeschränktem Interesse folgen. Die Seiten, die der «Kindheit der Nation» gewidmet sind, besonders diejenigen, die dem Thema frühkindliche Bildung und Erziehung zur Männlichkeit in der Öffentlichkeit und in der Privatsphäre des 19. Jahrhunderts gewidmet sind, und das Kapitel über das «Frausein» im Italien der einsetzenden Moderne zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert sind (nicht nur für den Nicht-Fachmann oder für den nicht-italienischen Leser) eine Gelegenheit, sich mit noch wenig beachtete Themen vertraut zu machen und für welche originelle Lesarten und Perspektiven angeboten werden. Anderswo stößt man freilich auf Kapitel, in denen seltsamerweise jede reale Auseinandersetzung mit den neusten Forschungen und bisweilen auch mit einigen der bedeutendsten Wissenschaftler der nationalen Geschichtsschreibung fehlt. Es ist zum Beispiel recht eigenwillig, dass der Autor von nationaler Identität spricht und dabei die Arbeiten von Alberto Banti beinahe völlig außer Acht lässt (im ganzen Band wird dieser nur einmal zitiert, und zwar als Doktorvater, S. 185), oder dass Namen von Historikern wie Emilio Gentile oder Maurizio Ridolfi, die doch nicht zu vernachlässigende Beiträge zur italienischen Zeitgeschichte geleistet haben, in der Bibliographie nicht vorkommen. Die Kapitel, die den Ersten Weltkrieg und den Faschismus behandeln, lassen schlichtweg verschiedene neue Forschungsansätze der letzten zehn Jahren außer Acht und liefern so einen relativ klareren Einblick in das, was der kritischste Punkt der Storia d’Italia zu sein scheint: die Verschließung des Autors – zumindest was einige Themen betrifft – gegenüber von Beiträgen, die nicht aus seiner historiographischen Schule – das heißt der Universität Venedig – und von seinen Schülern oder von einigen Freunden und Mitarbeitern älteren Datums stammen. Zu einem Großteil lässt sich dieses Problem – vor allem was die beiden Weltkriege und das faschistische Italien betrifft – darauf zurückführen, dass sich der Autor mit dem großen mehrbändigen Werk identifiziert, das von ihm geleitet und (mit Ausnahme von Band V, Le armi della Repubblica, der von Nicola Labanca herausgegeben wurde) in Zusammenarbeit mit seinen Schülern herausgegeben wurde, Gli italiani in guerra. Conflitt, identità, memorie dal Risorgimento ai giorni nostri (UTET 2008/2009). Mit einer weitreichenden Planung im Hintergrund und der Beteiligung von dutzenden Mitarbeitern stellte Gli italiani in Guerra eine besonders beeindruckende Herausforderung dar. Es sollte einen knappen Überblick über die Geschichte der Kriege Italiens bieten und gleichzeitig ein ausdrücklich breites Publikum mit den neusten Entwicklungen in der «Militärgeschichte» und – vor allem – einer neuen Historikergeneration bekannt machen. Gelungen ist diese Unterfange jedoch nur zum Teil: Einige Bände boten die Gelegenheit zu durchdachter Teamarbeit, um brillante Untersuchungen auch anderen zugänglich zu machen und nützliche Vergleiche anzustellen, andere wurden freilich eher planlos und nachlässig betreut. Beim Lesen vieler Seiten der komplexen Darstellung der italienischen Geschichte entsteht der Eindruck, dass Isnenghi die unterschiedliche Qualität von Gli Italiani in guerra nicht erfassen konnte oder wollte, und sie in vielerlei Hinsicht zu seinem ausschließlichen Bezugspunkt erkoren hat. Es wurden so Lesarten und Interpretationslinien ausgeblendet, die seine Erzählung sicherlich bereichert hätten. Auch deswegen bietet die Lektüre der Storia d’Italia einen faszinierenden und fesselnden Einblick in die Arbeit eines großen Historikers, eine überzeugende Gesamtdarstellung der Geschichte eines Landes bietet sie freilich nicht.

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