Reviewer Katia Occhi - FBK-ISIG
CitationZiel des Autors ist die Rekonstruktion der Rolle der außereuropäischen Güter beim Auslösen der Revolution des modernen Konsums und bei den gesellschaftlichen Veränderungen in Folge des zunehmenden Handels und der neuen Wechselbeziehungen zwischen Europa, Amerika und Asien mit dem Ende 17. und im Verlauf des 18. Jahrhunderts.
Das Buch hat sieben Kapitel. In den ersten drei analysiert der Autor die Debatte, die mit der Polemik gegen den Luxus begann und den Weg zur Handels- und Konsumfreiheit rechtfertigt. Das erste Kapitel beginnt mit der Untersuchung der Schriften einiger englischer Verfasser, die begannen, die Gesetze gegen den Luxus zu kritisieren, welche im Namen einer ausgewogenen Handelsbilanz den Einfuhr von Luxusgütern einschränkten. Wie das Kapitel zeigt, setzte sich am Ende des 17. Jahrhunderts die Unterscheidung zwischen einer moralischen Dimension von Luxus und seiner sozialen Dimension durch, welche auf dessen Fähigkeit beruht, Beschäftigung zu erzeugen, Einkommen zu erhöhen und das Handlungsfähigkeit von Regierungen auszubauen. Alle Autoren stimmen darin überein, dass es an den Autoritäten sei, politische Maßnahmen zum Ausgleich von Luxus und Handel zu entwickeln. Besonderes Gewicht kommt unter diesen Denkern Bernard de Mandeville zu, der die französischen und holländischen Beiträge zum Problem des Luxus‘ neu überdachte und innovative Ideen zum Konsum und zur Neigung zum Konsum entwickelte. Er nahm Bezug auf die Auffassung, dass Kultur das Ergebnis menschlicher Interaktionen, die in der Pluralität von materiellem und immateriellem Austausch zum Ausdruck kommt, und behauptete, dass diese ohne die moralischen Zügel von Tugend und Laster zu rein instrumentalen Aktionen würden, die darauf zielten, «dem Erfolg des eigenen Ranges» zu entsprechen (S. 13). Durch diese Überlegungen wurde der Konsum, sowohl von zur Deckung der Grundbedürfnisse notwendigen Gütern als auch von Produktions- oder Luxusgütern zu einem dynamischen Faktor des Wirtschaftswachstums, des Reichtums und der Macht der Nationen.
Diese Überlegungen entstanden unter dem Eindruck der Veränderungen, die sich zwischen der Mitte des 17. und der ersten Hälfte des darauf folgenden Jahrhunderts abzeichneten. In diesem Zeitraum versechsfachte sich der Import außereuropäischer Waren in Europa, sodass Asien mit Nord-, Mittel- und Südamerika im Welthandel ca. ein Drittel des Gesamtvolumens ausmachte. Protagonisten dieser kommerziellen Revolution waren Länder wie die Niederlande, England und Frankreich.
Die rasche Verbreitung des Tee-, Kaffee- und Kakaokonsums, der zum Zuckerund Tabakverbrauch hinzukam, trug zum Wandel des Begriffs von Luxus bei. Von Pietro Verri stammt die erste Definition des Verbrauchers und seiner Rolle als grundlegendem und autonomem Mitwirkenden an dem Prozess, der Produktion und Konsum festlegt (S. 81). In den Schriften von Adam Smith findet sich die Formulierung, dass der Markt durch den Tausch von überschüssigen Gütern und Dienstleistungen, deren Steigerung durch die stetig zunehmende Arbeitsteilung und Merkantilisierung gefördert werde, den Konsum gestaltet. Die Verbindung von Produkt, Arbeit und Konsum erlaubt es Smith, den Konsum und seine verschiedenen Formen neu zu definieren und deren ursprünglich negatives Bild zu überwinden. In diesem historischen Moment, in dem das Gebot «ich konsu- miere, also bin ich» vorherrscht – um Zygmunt Bauman («Leben als Konsum», 2009) zu paraphrasieren, in dem der Verbraucher selbst unbewusst zur Ware geworden ist, werden eine Reihe von Schriften aus dem 18. Jahrhundert wieder aktuell, um die Entstehung der «Konsumentengesellschaft» nachzuvollziehen. In dieser Phase kamen zu den Kategorien «Bedarfsgüter» und «Luxusgüter» zwei weitere Klassifizierungen hinzu: der «Grundbedarf» (Salz, Leder, Seife, Kerzen, Mehl usw.) und der «gehobene Bedarf» (Fleisch, Spirituosen, Zucker, Tabak, Gewürze, Tee, Kaffee, Stoffe usw.). Es entstand also dank der Verbesserung der materiellen und der immateriellen Verhältnisse eine Bidimensionalität des Konsums; mit anderen Worten «der Wunsch nach Bequemlichkeit und Zierrat …» sowie der Überwindung der Vorstellung, dass der Konsum bestimmter Güter moralischen Schaden erzeuge (S. 93). Die neue Wirtschaftspolitik, die aus diesen Überlegungen hervorging und auf der Freiheit der Wirtschaftsteilnehmer beruhte, schrieb dem Konsum und den Konsumenten bei der Gestaltung des Marktes eine Spitzenrolle zu und der Wahl der Konsumenten bei der Definierung der kollektiven Wirtschaftsentscheidungen eine Hauptrolle.
In den folgenden Kapiteln untersucht Carmagnani detailliert den zunächst problematischen und ab 1710 explosiven Anstieg des Konsums neuer Güter, der mit der ersten Expansion des Importes von indischen Webwaren einherging. Das Auftauchen dieser Produkte – zwei davon asiatischen Ursprungs: chinesischer Tee und Stoffe aus indischer Baumwolle; zwei aus Asien und Amerika: nämlich Zucker und Kaffee; und schließlich Tabak, der sowohl in Nord- als auch in Südamerika angebaut wurde –, wurde nach Ansicht zeitgenössischer Denker ein wichtiger Bestandteil der interaktiven Dynamik zwischen Produktion und Konsum sowie des Erfolgs der kommerziellen Gesellschaft. Dazu kam es, weil die Arbeitsteilung zunahm, der Handel sich ausweitete, die Geldwirtschaft verstärkt wurde, was zusammen mit der Gewinnsteigerung zu verbreitetem wirtschaftlichen Wohlstand führte. Wie der Autor zeigt, rief die Ankunft dieser Neuheiten auf dem Markt anfangs eine Reflexion medizinischer Natur hervor, die zu einer Überlegung mit dem Luxus wurde, und dann endlich in der Debatte der entstehenden Volkswirtschaft mündete. Im dritten Kapitel rekonstruiert er die Geschichte der in Europa erschienen Veröffentlichungen über Nutzen und Wohltat von Tabak und Kaffee, die sich jedoch die Feindschaft der Mediziner zuzogen, die in den 70er Jahren des 17. Jahrhunderts von der medizinische Fakultät von Paris und dem Ärzte-Kolleg von Marseilles angeführt wurden. Diese Polemik – so erklärt uns der Autor – ging über die Grenzen des Kontinents hinaus und bezog in England die Gegner der East India Company mit ein, die angeklagt wurde, Waren in Umlauf zu bringen, die zu «ungezügelter Sexualität» und «unmäßiger Vergiftung» führten. Aber die Verbreitung dieser neuartigen Konsumgüter führte auch zur Verbreitung neuer Lokale: den Kaffee- und Schokoladenhäusern; hier zirkulierten Zeitungen und eine neue Form von Geselligkeit nahm dort ihren Ursprung. Auf zeitgenössische Quellen gestützt zeigt der Autor, dass beispielsweise die Anzahl der Kaffeehäuser in Paris von etwa zehn im Jahre 1679 bereits dreißig Jahre später auf über dreihundert angestiegen war. Dort, wo die häusliche Einheit in der Lage gewesen war, die eigene Arbeit neu zu organisieren, um so die Menge der produzierten Güter zu maximieren, kam es bei Arbeiterklasse und der Mittelschicht zu einer Erhöhung der freien Mittel, was die Ausweitung des Konsums ermöglichte, der dynamisch wurde statt zu stagnieren. Die Zunahme der Arbeitsintensität der familiären Arbeitskräfte erzeugte eine Zunahme des Angebots an Handelsgütern, erhöhte Geldeinnahmen und steigerte die Nachfrage nach jenen Gütern, die für Geld zu erwerben waren, was zwischen 1650 und 1800 zu einer Verbesserung des Lebensstandards der Arbeiterklasse führte. Dokumentiert ist diese Entwicklung zum Beispiel auch in Inventaren, welche eine große Bandbreite von Gütern belegen, die übrigens auch den italienischen Quellen zu entnehmen ist.
In Kapitel fünf und sechs untersucht Carmagnani die fünf Produkte detailliert und getrennt. Er will das neue Konsumverhalten beleuchten, den Zusammenhang zwischen Produktion und Gebrauch der neuen Güter, um ihren Nutzen, ihren Zustimmungsgrad, ihren Markt und den sozialen Status des Verbrauchers zu rekonstruieren. Ähnlich wie den anderen außereuropäischen Gütern ging es auch dem Tabak, dessen Siegeszug von einer anfänglichen Verdammung bis hin zur völligen Akzeptanz als Pionier unter den neuen Luxusgütern gekennzeichnet war. Am Beispiel des Tabaks, der zuerst wegen seiner heilenden Wirkungen (gegen die Pest, gegen Migräne und Geschlechtskrankheiten) eingenommen wurde, dann in der ersten Hälfte des 17. Jahrhundert rasch im privaten und öffentlichen Gebrauch auch dank der staatlichen Förderungsmaßnahmen, die auf die Besteuerung des Konsums abzielten (das erste königliche Monopol hatte Portugal), Fuß fasste, lassen sich die Attraktivität, die Wechselwirkungen und der Einfluss dieser neuen Produkte auf die Wirtschaft und den europäischen Lebensstandard beispielhaft ablesen.