Reviewer Fernanda Alfieri - FBK-ISIG
CitationElena Brambilla liefert in diesem Buch, in dem sie Forschungen der letzten Jahre aufgreift und zusammenstellt, eine umfassende und systematische Analyse von Theorien, Ansichten, Macht- und Wissenskonflikten, die den Hintergrund zur Entschlüsselung und Beherrschung «außergewöhnlicher» Phänomene der Neuzeit, von der Heiligkeit bis zu ihrem genauen Gegenteil, der dämonischen Besessenheit, bildeten. Sie nimmt den Zeitraum zwischen dem 17. Jahrhundert, das eine beinahe epidemische Explosion ekstatischer und konvulsiver Erscheinungen erlebte, und der Mitte des 18. Jahrhunderts in den Blick, als sich begleitet von dem Einfluss, den die neue Wissenschaft schon nach 1660 ausübte, gewichtige Veränderungen bei der theologischen Interpretation von Besessenheit und Heiligkeit abzeichneten und dieselben religiösen Autoritäten mit Argwohn einen rigoroseren und rationaleren Blick auf solche Phänomene richteten. So verschwand langsam ein «alltäglicher Aristotelismus» (S. 10), eine Wissenschaft auf Anordnung der Orden der «katholischen Riconquista / Rückeroberung» (S. 28) – gelehrt in den Kollegien, aufgenommen vom Klerus, der dort ausgebildet wurde, und angewandt in der Praxis der discretio spiritum –, um der These von der nervösen Hysterie Platz zu machen, die vom Mechanizismus kartesianischen Ursprungs gestützt wurde. Die Vorstellung aristotelischen Ursprungs, dass die Seele mit dem Körper verbunden sei, dass sie eine dreiteilige Funktion erfülle (vegetativ, empfindsam, rational) und durch ihre Verbindung mit der körperlichen Welt von flüchtigen Elementen – den vitalen Geistern – beeinflusst werde, die sie ebenso für die Wahrnehmung wie für das Eindringen dämonischer Kräfte öffne, wich in diesem «bio-theologischen» Paradigmenwechsel, als sich zunehmend die Vorstellung von einem Nervensystem verfestigte, dessen Funktionieren auf einem Organ, dem Gehirn, gründe, das sich anatomisch zergliedern und organisch fassen ließe.
Das erste Kapitel beschreibt die Situation der «theologischen Hegemonie», die das frühe 17. Jahrhundert bei Versuchen der Entschlüsselung und der Beherrschung von ekstatischen und konvulsiven Erscheinungen prägte, die der Sphäre des Fantastischen und Diabolischen zugeschrieben wurden, entgegengesetzte Erscheinungsformen der Kommunikation mit dem Übernatürlichen. Brambilla vergleicht und fasst eine reiche Historiographie zusammen, die in den letzten Jahren über den Vorrat an Überlegungen zur post-tridentinischen Lehre entstanden ist. Dabei zieht sie sowohl den theoretischen Apparat, der für die spirituelle Leitung und die Beherrschung ekstatischer Erscheinungen (ein Wissen, und das ist wichtig, das rein männlich war) ausgearbeitet wurde in ihre Betrachtungen ein, als auch die Spuren eines Erlebens (und auch das ist wichtig, das fast ausschließlich weiblich war), die sich in der engen und problematischen Verbindung mit dem geistigen Führer formten.
Indem die Autorin direkt aus den theologischen Handbüchern des 15. und 16. Jahrhunderts schöpft, erläutert sie das begriffliche Werkzeug. Es werden also metaphysische Kategorien erläutert, wie Form und Materie, psycho-biologische Kategorien aristotelischen Ursprungs, wie die empfindsame, vegetative und rationale Seele sowie animalische und vitale Geister, ebenso wie die Grundbegriffe der Meditationstechniken, insbesondere diejenigen, die von den Jesuiten vorgeschlagen wurden, wie Kräfte, Affekte, Vorstellungskraft. Ein Erkenntnissystem, das in dem betrachteten Zeitraum dazu neigte, die Medizin unterzuordnen. Diese Dynamik wird bei der Analyse der konvulsiven Erscheinungen offensichtlich, die häufig auf Erkrankungen der Gebärmutter (die mit moralischen, von Theologen beschlossenen Verboten behandelt wurden), oder auf Zauberei und Hexerei (heilbar demnach mit esoterischen Praktiken) zurückgeführt wurden.
Das zweite Kapitel untersucht den Paradigmenwechsel bei der Entschlüsselung «außergewöhnlicher» Erfahrungen, den die Einführung der kartesianischen Perspektive (die die aristotelische ersetzte) in die Medizin mit sich brachte, welche die res cogitans von der res extensa – die rationale Erfahrung von der körperlicher Dimension – trennte und die Möglichkeit einer Überlagerung des Physischen und des Geistigen, des Natürlichen und des Übernatürlichen nicht mehr akzeptierte. Die Gemeinschaft der Theologen war empfänglich für diesen Perspektivwandel. Aber weil «die Ideen nicht alleine wandern», sondern «politische und soziale Umstände [erfordern], die ihre Verbreitung begünstigen» (S. 127), dringt das Buch in die Dynamiken ein, die im Herzen der orthodoxen Definition liegen beziehungsweise in den internen Debatten der römischen Kurie. Daraus ergibt sich, dass die wissenschaftliche Entwicklung – und ihre Akzeptanz im theologischen Umfeld – nicht nur mit einem wachsenden Argwohn der kirchlichen Autoritäten gegenüber dem mystischen Enthusiasmus und jenen Techniken geistiger Führung einherging, welche die fantasievollen und sinnlichen Aspekte der mystischen Erfahrung schürten und leicht in krankhaften Beziehungen mit einer problematischen sexuellen Komponente enden konnten, sondern seit dem letzten Viertel des 17. Jahrhunderts auch mit der Übermacht des frankophilen Lagers, das den Laxismus und die Jesuiten ablehnte, die Befürworter einer «barocken» und sinnlichen Spiritualität waren und Träger der scholastischen Kultur.
Das dritte Kapitel schließlich behandelt den Paradigmenwechsel in seiner letzten Phase: In den 40er Jahren des 18. Jahrhunderts sahen sich Mediziner und Theologen mit den rätselhaften Konvulsionen der «Jungfrau von Cremona» konfrontiert, ein Rätsel, das nur eine Ursache haben konnte, eine hysterische Störung. Aber von übernatürlichen Ursachen, von Besessenheit war nie die Rede.
Mit dem Rückzug des scholastischen Aristotelismus verlor nicht nur die erkenntnistheoretische Annahme an Bedeutung, die es erlaubte, die Grenzen zwischen Innerem und Äußeren, zwischen Sinnen und Objekten, zwischen Körpern und Geistern als ständig offen zu betrachten, und also die Möglichkeit von dämonischer Besessenheit und Ekstase (die im Titel angesprochenen «corpi invasi» und «viaggi dell’anima») in Betracht zu ziehen, sondern auch die Voraussetzung – und hier also der biopolitische Aspekt des erkenntnistheoretischen Wandels – für den Ablauf jener religiösen Praktiken (allen voran der Exorzismen), die dieses System beeinflussen wollten. Der Körper verschloss sich dem Einfluss diabolischer Geister und öffnete sich der medizinischen Interpretation; dieses triumphale Ergebnis der Medizin lässt das Buch gerade erahnen und macht an seiner Schwelle Halt. In der Übergangsphase, die von Brambilla fokussiert wird, kam es tatsächlich weniger zu einer offenen Konfrontation zwischen zwei entgegengesetzten Zweigen – nämlich Theologie und Medizin – und zwei Gruppen von Vertretern der jeweiligen Wissen – nämlich Theologen und Mediziner – als vielmehr zu einer wechselseitigen «Plünderung» von Kategorien und Haltungen. Die religiösen Autoritäten (Brambilla konzentriert sich auf das italienische Umfeld) versuchten angesichts der aufkommenden neuen Wissenschaft deren Instrumentarium zu übernehmen, was nicht immer reibungslos verlief. Die Medizin ihrerseits war weder frei von moralisierenden Haltungen (die gestörte Sexualität der hysterischen Frau ist mit einer guten Ehe zu «heilen»), noch erstverantwortlich für die «Hysterisierung» des weiblichen Körpers und Verhaltens, deren Grundlagen vielmehr vom theologischen Diskurs gelegt worden seien; so wie die Unterdrückungs- und Zwangssysteme in den psychiatrischen Einrichtungen keine Erfindung der Medizin des 18. Jahrhunderts seien, sondern ihre Vorbilder in den Konventen hätten. Mit diesen Elementen nimmt die Untersuchung von Brambilla eine andere und komplementäre Position gegenüber der «klassischen» Geschichte des Wahnsinns foucaultschen Ursprungs ein, die sich vor allem auf das 19. Jahrhundert und den Gegensatz zwischen Medizin und religiösem Diskurs konzentriert, ohne freilich auf die Kontinuitäten, die Anleihen und Umdeklarierungen einzugehen, die sich im Verlauf des Säkularisierungsprozesses der dämonischen Besessenheit in Hysterie ergaben.